Elizabeth PeytonAmerikanische Künstlerin malt liebendes Porträt von Angela Merkel

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Merkelraute

Das Merkel-Porträt könnte man in eine Reihe mit Peyton-Bildern von Georgia O’Keeffe, Camille Claudel und Frida Kahlo stellen – starke, eigensinnige Frauen.

Wie schön sie ist! Angela. Zuerst fallen wohl ihre klaren, blauen Augen auf, strahlend möchte man schreiben. Aber strahlen ist vielleicht schon ein allzu aggressiver Akt. Nein, sie strahlen nicht, sie fangen das Licht ein mit ihrer Regenbogenhaut aus fünf weichen Pinselstrichen. Diese Augen sehen nicht einfach, sie verstehen.

Unter ihrem linken Auge (rechts, vom Betrachter aus gesehen) ist die Farbe verlaufen, eine Tränenspur, die sich bis zum Kinn zieht. Vielleicht kitzelt das ein wenig, vielleicht hat Angela deshalb ihren Mund seitlich nach oben gezogen, was ihrem flächigen, offenen Gesicht einen Ausdruck milden Spotts verleiht. Oder handelt es sich eher um jene anfängliche Verwirrung, der bald eine neue Erkenntnis folgt?

Elizabeth Peyton „Angela“, 2017, Öl auf Holz, 43 mal 35 Zentimeter

Elizabeth Peyton „Angela“, 2017, Öl auf Holz, 43 mal 35 Zentimeter

Eine Million Merkel-Fotos angesehen

Eindeutig kann man nur das Eine von Elizabeth Peytons kleinformatigem Porträt der deutschen Bundeskanzlerin feststellen, nämlich, dass es der Abgebildeten, die hier scheinbar vom Brunnen der ewigen Jugend gekostet hat, schmeichelt. Das wiederum darf man rundheraus von allen Gemälden und Zeichnungen der amerikanischen Menschenmalerin behaupten. Der 1965 Geborenen wird oft nachgesagt, dass sie eben Promis male, Rocksänger und Schauspielerinnen, Modemacher und Models, dass sie sich sogar im Glanz der großen Namen sonne.

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Aber das stimmt so nicht. Ja, sie hat Kurt Cobain, David Bowie, Nicole Kidman, Marc Jacobs und Chloë Sevigny in ewiger Jugend und Schönheit porträtiert, aber ebenso persönliche Freunde, Ludwig II., Napoleon Bonaparte, Abraham Lincoln und immer wieder ihren Hund Harry. Das Merkel-Porträt könnte man in eine Reihe mit Peyton-Bildern von Georgia O’Keeffe, Camille Claudel und Frida Kahlo stellen – starke, eigensinnige Frauen.

Was all die Abgebildeten – Frauen, Männer, Tote. Lebende, Hunde – vereint, ist allein die Nähe, die die Künstlerin ihnen gegenüber verspürt. „Du kannst viel vertrauter mit Menschen sein, die du nicht kennst“, hat sie in einem Interview gesagt. Angela Merkel hat ihr nicht Modell gesessen. Aber auch für Porträts von Freunden nutzt Peyton lieber eine Fotografie (oder mehrere) als das lebende Subjekt als Malvorlage. Mag sein, dass erst die Abwesenheit der Porträtierten den Blick auf das Überzeitliche einer Person ermöglicht. Von Angela Merkel habe sie sich eine Million Fotos aus den vergangenen 30 Jahren angeguckt, hat Peyton der „New York Times“ berichtet.

Entschlossen und zärtlich zugleich

Ihr Bild „Angela“ – fast alle Peyton-Bilder sind schlicht mit dem Vornamen der/des Abgebildeten betitelt – ist in der aktuelle Ausgabe der amerikanischen „Vogue“ abgedruckt, illustriert dort einen Artikel, der den Weg Merkels zur „mächtigsten Frau der Welt“ nacherzählt, zum „last real democratic leader standing“, zur letzten übrig gebliebenen demokratischen Führungsperson. „Mir ist aufgefallen“, sagte Peyton zur „New York Times“, wie sehr sich ihr Gesicht in den letzten beiden Jahren verändert hat. Da war soviel Schmerz zu sehen.“

Wo ist der Schmerz in diesem Bild? Markiert die eingangs erwähnte verlaufene Farbe tatsächlich Tränenflüssigkeit? Peyton bringt ihre Porträtierten häufig mit lasierenden Farbschichten im Bild zum Leuchten. Wenn es dann träufelt, sind das also eher die Spuren ihres liebenden Blicks.

Dunkeltürkise Schatten finden sich in ihrem Haar, violette und blaue unter ihren Augen. Sie kontrastieren sehr schön mit den kräftigen Rotstrichen des Jacketts. Mit anderen Worten: die wenigen dunklen Striche lassen Angelas Gesicht nur umso offener wirken. Ihr Gesicht sei so entschlossen und zärtlich zugleich, schwärmt Peyton in der „New York Times“, und vermeint darin auch noch die Hoffnung zu entdecken, dass man unter ihrer Führung an einen besseren Ort gelangen könne.

Zwischen Stimmungsbild und Ikone

Das klingt für deutsche Ohren hoffnungslos blumig und naiv. Aber man muss bedenken, wie die Bundeskanzlerin aus amerikanischer Perspektive wirkt, wofür sie in dem von Donald Trumps Irrationalismus gebeutelten Land steht – ob nun irriger- oder richtigerweise.

Peytons Porträt ist die Spannung zwischen Stimmungsbild und Ikone eingeschrieben, was uns heute als überbelichteter Polaroid-Schnappschuss erscheint, als Poesiealbumsblick auf eine Realpolitikerin, mag in 50 Jahren als Historiengemälde seine Zeit überdauert haben. Und nachfolgenden Generationen von den Hoffnungen des Jahres 2017 erzählen.

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