Im Cineplex-Kino am Rudolfplatz stellte Herbert Grönemeyer sein neues Album „Unplugged 2 – Von allem anders“ vor – und schwärmte von seiner Kölner Zeit.
Grönemeyer in KölnUnd dann stimmt Herbert einen Karnevalssong an

Herbert Grönemeyer beim Akustikkonzert in der Dortmunder Westfalenhalle im September 2025
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Früher gab es Schnittchen. Früher, erzählt Herbert Grönemeyer, traf man sich bei dem Klassenkameraden zu Hause, der sich die neue Ten Years After oder Doors gekauft hatte. „Dann setzten wir uns hin, zu zweit oder zu dritt – wenn man Glück hatte, machte die Mutter ein paar Schnittchen – und er legte die neue Platte auf. Die hörten wir gemeinsam sehr andächtig an. Nach 25 Minuten stand er auf und drehte die Platte um. Und dann redeten wir über das, was wir gerade gehört hatten.“
Früher, will Grönemeyer eigentlich sagen, war Musikhören noch eine Form des sozialen Miteinanders. Jetzt hat der letzte deutsche Konsenskünstler in den großen Saal des Cineplex-Kinos am Rudolfplatz geladen, Fans, Mitstreiter und Medienvertreter, aber hauptsächlich Fans. Solche, die sich auf jeder Tour zwei, drei, vier, fünf Konzerte anschauen. Die zum gemeinsamen „Album Listening“ eigens aus zum Beispiel Osnabrück angereist sind, für die der Mensch Grönemeyer ein Lebensbegleiter ist.
Schnittchen gibt es bei Grönemeyer keine, dafür Popcorn und Nachos
Schnittchen gibt es keine, dafür Popcorn und Nachos vom Verkaufsstand. Es senkt sich auch keine Nadel in die Schallplattenrille, die Musik kommt von der Festplatte, aber sie erklingt in Dolby Atmos, man ist im Kinosaal von Herbert umzingelt, taucht in Herbert ein, man atmet Herbert. Die Abmischung, flüstert ein mutmaßlicher Tontechniker seinem Sitznachbarn zu, habe der Sänger selbst besorgt. „Es ist leicht, es ist luftig, es macht unglaublich Freude“, wirbt Grönemeyer derweil bestens gelaunt vor der Leinwand im Gespräch mit Radiomoderatorin Sabine Heinrich. Dann zieht er sich wieder in die sechste Reihe zurück, im Kinosessel lümmelnd der eigenen Stimme zu lauschen.
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Zu hören gibt es ausgewählte Stücke aus dem neuen Album „Unplugged 2 – Von allem anders“. Das geht nicht nur grammatikalisch steil. Sein erstes „Unplugged“-Album veröffentlichte der nahbare Star vor 30 Jahren, der Musiksender MTV hatte Grönemeyer damals als ersten deutschen Act für sein gleichnamiges Konzertformat in die Potsdamer Babelsberg Studios gebucht. Jetzt eine zweite Akustiksammlung seiner Lieder herauszubringen, sei eigentlich die Idee seiner Plattenfirma gewesen, erzählt Grönemeyer. Er habe dann ausschließlich Stücke herausgesucht, die nach 1995 entstanden sind, nicht zwingend die großen Hits.
Es ist leicht, es ist luftig, es macht unglaublich Freude.
Mit einer Ausnahme: Als er „Flugzeuge im Bauch“ vor mehr als 40 Jahren in den EMI-Studios am Kölner Maarweg aufgenommen hat, musste er noch jede einzelne Backgroundstimme selbst einsingen. Jetzt standen ihm, im Meistersaal der Hansa-Studios, also dort, wo einst David Bowie Mauerschau betrieben hatte, die 64 Edelstimmen des mehrfach Grammy-prämierten Berliner Rundfunkchors zur Verfügung. Die klingen in Dolby Atmos besonders beeindruckend. Ziehen die Hörenden hinan wie himmlisch vokalisierende Heerscharen aus 90 Jahre alten Hollywood-Dramen. Im erdigen Kontrast dazu halten einen die warmen Akkorde des Fender-Rhodes-Pianos am Boden fest, die zu oft im Frühstücksradio gehörte Rockballade verwandelt sich in einen verführerischen Slow Jam.
Akustisch heißt hier offensichtlich nicht genügsam. Im Gegenteil. Herbert hat alles gegeben. Anderthalb Jahre habe er an dem Album gearbeitet, erzählt er im Kölner Kinosaal. Hat Rückschau gehalten, sich auch noch einmal den Liedern gestellt, die ihm schwer auf der Seele liegen. „Bleibt alles anders“, erschienen im selben Jahr, in dem seine Frau und sein Bruder im Abstand von nur fünf Tagen im November starben, sei seine tiefste und traurigste Platte: „Da weiß ich beim Singen, da wird es schwer.“
„Ich dreh' mich um dich“ war für Grönemeyer am schwersten zu singen
Allein, wie schwer, das hatte er dann doch nicht erwartet. „Ich dreh' mich um dich“ sei der Song gewesen, der am schwersten zu singen war, ohne im Konzert von zehntausend Fans getragen zu werden, ganz allein im Studio auf sich selbst zurückgeworfen: „Wenn alle Geheimnisse verraten sind/Und du dich verloren fühlst.“ Diesmal ist die Begleitung minimalistisch, jedenfalls, bis die Streicher einsetzen und den Sänger wieder dorthin tragen, wo Trost zu finden ist, unter Menschen.
Dunkel raunt der Rundfunkchor und Grönemeyer orakelt: „Wer jetzt nicht lebt/Wird nichts erleben.“ Dann treiben ihn brasilianische Batucada-Trommeln voran, schlängelt sich eine spanische Gitarre ins Klangbild, schwingt ein Salsa-Klavier die breiten Hüften: „Du fühlst, du träumst/Du fühlst, du glaubst, du fliegst“, schwärmt Herbert und fährt sogleich auf Französisch fort, beschwört Hoffnungsmomente.
Es war einmal ein Sommermärchen und ein Sänger, auf den sich alle einigen konnten. Ein Deutscher unter Deutschen, der mit seinen Mitbürgern nicht nur das Schicksal teilte, nicht tanzen zu können (in Köln erinnert Grönemeyer selbst noch einmal an das legendäre Läster-Lied von Wiglaf Droste und Bela B.), sondern auch den unbedingten Willen zur Lockerheit. Der Traum vom Fliegen, vom Freistrampeln und gemeinsamen Abheben.
Vor der Leinwand sitzt ein betont unbeschwerter Star, erzählt Dönekes vom Kölner Friseur, der Angst hatte, seine berühmte Locke abzuschneiden. Von seiner Leidenschaft für alte Alfa Romeo Giulias und dem kleinen Honda e, mit dem er tatsächlich durch Berlin brause. Vom 70., der im kommenden April ansteht und dem neuen Album, das er sich zum runden Geburtstag schenken will. Entschuldigt sich bei den Technikern, die drei Anläufe gebraucht hatten, bis der Einspielfilm auch mit seiner Stimme lief: „Ich bin manchmal ein bisschen bollerig. Peter Zadek hat immer gesagt, ich soll erstmal einen Zehn-Kilometer-Lauf machen, bevor ich auf die Bühne gehe.“ Schwärmt von Nina Chuba. Stimmt Karnevalsschlager an: „Wenn am Himmel die Stääne danze/Un dr Dom sing Jlocke spillt.“
Kurz: Herbert Grönemeyer verharrt im Sommermärchen-Modus. „Zusammen sitzen, Musik hören, das ist doch ein Knaller“, beschwört er im Cineplex. Doch „Von allem anders“ klingt vor allem nach Herbst. Schnittchen war gestern. „Warum“, heißt es im Duett mit Peter Fox, „singt keiner mit dir ein Lied?“

