„Köln war der place to be“Der Galerist Jörg Johnen hat seine Memoiren geschrieben

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Jörg Johnen (Mitte) mit Ulrich Wiegmann und Antoine Laroche in den 80er Jahren in Köln.

Jörg Johnen (Mitte) mit Ulrich Wiegmann und Antoine Laroche in den 80er Jahren in Köln.

Köln – Herr Johnen, Sie waren ein erfolgreicher Galerist, davon viele Jahre in Köln, und haben jetzt ihre Autobiografie geschrieben. Andy Warhol ist darin ein Leitstern für Sie. Warum gerade Warhol?

Jörg Johnen: Er war bereits in den sechziger Jahren ebenso berühmt wie berüchtigt. Berüchtigt vor allem durch seine Filme, in denen er seine queere Seite sehr offen und provokant auslebte. Seine frühen Filme waren etwas, das man gesehen haben musste, weil Dinge gezeigt und thematisiert wurden, die sonst im Kino nicht zu sehen waren. Warhol zeigte mir, was es sonst noch gab in der Welt – jenseits von Ulm. Seine Superstars verflüssigten damals schon die Gendergrenzen.

Sie beschreiben sehr eindringlich die Enge in ihrem Elternhaus. Die Kunst wurde für Sie früh ein Mittel, um Konflikte indirekt austragen zu können.

Mein Lebenslauf war eigentlich total vorprogrammiert. Wenn man ein Geschäft hatte, ging das Geschäft auf den Sohn über, das hatte bei uns Tradition, angefangen beim Urgroßvater. Ich fühlte mich aber überhaupt nicht kompetent, das Familiengeschäft, ein Bauunternehmen, fortzuführen und musste mir alternative Wege suchen. Die Kunst war eine Gegenwelt und Warhol einfach das Krasseste in diesem Spektrum. Einen Berufsweg hatte ich noch nicht im Kopf. Ich wollte mich nicht zu schnell festlegen und erproben, wie man durchs Leben gehen kann, wenn man sich für Kunst interessiert.

Das Museum Ludwig war mir zu sehr Verwaltung und Abarbeiten

Im Kölner Museum Ludwig absolvierten Sie ein Praktikum, waren aber enttäuscht, dass dort in der Mittagspause über Fußball gesprochen wurde.

Ich suchte eher die Gesellschaft von Leuten, die für die aktuellsten Kunsttrends brennen und sich weniger als Angestellte verstehen. Die habe ich dort nicht getroffen, Kasper König war ja noch nicht da. Das Museum war mir zu sehr Verwaltung und Abarbeiten. Ich habe das sausen lassen und bin stattdessen in den freien Journalismus gegangen.

Wie wurden Sie Galerist?

Wie das so ist im Leben, wenn man sich treiben lässt, ergeben sich Möglichkeiten. Ich habe als Kritiker junge Künstler wie Katharina Fritsch, Thomas Schütte und Thomas Ruff kennen gelernt. Teilweise hatte diese Künstlerinnen und Künstler noch keine Galerie, und da ich mit Rüdiger Schöttle, einem Münchner Galeristen, befreundet war, hat sich das beinahe von selbst ergeben. Köln war damals die Top-Location im deutschen Kunsthandel, und plötzlich gab es viele junge Galerien, etwa von Monika Sprüth oder Max Hetzler. Das hat mich dazu inspiriert zu sagen: Okay, dann mache ich das mit Schöttle auch. Zuerst ganz klein, aber das hat sich entwickelt.

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Sie schreiben, dass Ihnen beinahe sämtliche Talente zum Kunsthändler fehlen. Wie konnten Sie so erfolgreich werden?

Ich habe es mit Leidenschaft gemacht und ich wusste sehr genau, was ich wollte und was nicht. Das hat mir die Kraft gegeben, obwohl mir vor allem das Talent zum Alkohol nicht gegeben war. Wie Partys spielt das im Kunsthandel schon eine große Rolle.

Muss man wirklich trinkfest sein als Galerist?

Ja, absolut, und das gilt für Männer wie für Frauen. Man muss sehr, sehr trinkfest sein. Es gab damals den Lanserhof, wo man zum Entgiften hinging. Das war der Klassiker: In der Sommerpause vier Wochen ohne Alkohol und dann konnte man wieder in die neue Saison starten. Mit dem Alkoholpegel, der dazugehört.

Aber das heißt nicht, dass nur betrunkene Sammler für junge Kunst zu begeistern waren.

Nein, da ging es eher um die Aspekte Party, Geselligkeit, Entertainment. Das wurde immer wichtiger und das musste man mit bedienen. Es war Teil des Images: Die Künstler sind verrückt und schlagen über die Stränge - und die Galeristen am besten auch. Das hatte einen gewissen Unterhaltungswert mit dem ganzen Klatsch darüber, wer sich bei welchem Fest wieder daneben benommen hat.

Jörg Johnen mit Warhol-Gedächtnisperücke und in Begleitung von Fixie Fate 

Jörg Johnen mit Warhol-Gedächtnisperücke und in Begleitung von Fixie Fate 

War das eine Kölner Spezialität oder war das später in Berlin ähnlich?

Das ist immer gleich, egal wo. Aber vielleicht hat sich das mittlerweile auch gewandelt. Heute achtet man ja mehr auf die Gesundheit. Ich bin jedenfalls seit sieben Jahren aus dem Geschäft und froh darüber. Es ist mittlerweile auch alles so irre teuer geworden, angefangen bei den Produktionskosten bis hin zu den Versicherungen. Ich habe früher Arbeiten bei Thomas Schütte im eigenen kleinen Auto abgeholt. Heute bräuchte es dafür eine Spedition mit Klimakisten und Tralala. Ich musste damals auch Geld verdienen, klar. Aber heute ist das Finanzielle schon krass.

Eine wichtige Rolle spielt im Buch ihr Coming-out. Haben Sie die Kölner Kunstszene so liberal und tolerant erlebt, wie sich diese immer gibt?

Ich habe im Kunstbetrieb keine große Homophobie feststellen können. Klar, das ist im Großen und Ganzen eine Hetero-Welt. Aber ich fühlte mich vor allem benachteiligt, weil ich nicht saufen konnte. Das Schwul-Sein war nicht so das Problem. Die Kunstwelt ist tatsächlich lockerer und offener als andere gesellschaftliche Bereiche - und in Köln noch mal ein bisschen mehr. Durch den Karneval gibt es vielleicht eine Grundtoleranz in der Stadt. Dieses Motto „Jeder Jeck ist anders“, das schließt hier die queere Welt mit ein. Für beides, Kunst und Queer-Sein, war Köln in den 80er Jahren der Place-to-be.

Zur Person

Jörg Johnen gründete 1984 die Kölner Galerie Johnen + Schöttle und führte sie bis 2008. Zu seinen bekanntesten Künstlern gehörten Katharina Fritsch, Candida Höfer, Thomas Ruff, Thomas Schütte und Jeff Wall. Johnen lebt in Berlin, 2015 zog er sich aus dem Geschäft zurück. In seiner Autobiografie erzählt er sein Leben als Geschichte einer durch die Kunst ermöglichten Befreiung.

Jörg Johnen: „Warhol und das schreckliche Kind“, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 164 Seiten, 18 Euro

Sie hatten viele Düsseldorfer Künstler im Programm. Sind Sie mit der Kölner Kunstszene nicht recht warm geworden?

Mein Ding war eher die strenge Becher-Schule. Malerei war nicht akzeptabel, das fanden wir völlig gestrig. Gerhard Richter und auch das malerische Werk Andy Warhols sind deswegen an mir vorbeigerauscht. Man wird halt etwas betriebsblind, wenn man ein bestimmtes Programm durchsetzen muss. Trotzdem fiel mir an der Akademie in Düsseldorf der japanische Maler Yoshitomo Nara auf, der sich zu einem meiner Stars entwickelte.

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