MiQua-Direktor Thomas Otten„Der Antisemitismus hat eine unglaubliche Dynamik bekommen“

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Thomas Otten, Gründungsdirektor des MiQua.

Thomas Otten, Gründungsdirektor des MiQua.

Miqua-Direktor Thomas Otten spricht über die Wurzeln des Judenhasses und was Kulturinstitutionen dagegen tun können und müssen. 

Herr Otten, Sie gehören zum neu gegründeten Forum 321 und sind Teilnehmer eines Podiums des Forums zum Thema „Der Angriff auf Israel – Auswirkungen auf Gesellschaft und Kulturinstitutionen“. Glauben Sie, es ist die Pflicht von Kulturinstitutionen, sich im aktuellen Nahost-Konflikt zu positionieren?

Thomas Otten: Das glaube ich unbedingt. Und das betrifft nicht nur jüdische Museen, sondern auch andere Kulturbetriebe. Ganz grundsätzlich, nicht nur auf den 7. Oktober bezogen. Wir jüdischen Museen bemühen uns ja darum, dass jüdisches Leben sichtbar wird und – in unserem Fall – auch um historische Aufklärung. Wir kämpfen unter anderem mit didaktischen Mitteln genauso wie mit Ausstellungen gegen Antisemitismus, der über die Jahrhunderte entstanden ist. Der 7. Oktober hat die gesellschaftliche Situation, in der Antisemitismus ja nie verschwunden ist, jetzt noch mal deutlich verschärft.

Der deutschen Kulturszene wird vorgeworfen, zu zurückhaltend zu sein und sich nicht deutlich genug pro Israel zu positionieren. Haben Sie das auch so wahrgenommen?

Alles zum Thema Nahostkonflikt

Das waren schon sehr schleppende Reaktionen und das ist in verschiedenen Zusammenhängen ja auch schon mal als Empathielosigkeit bezeichnet worden.

Wie erklären Sie sich das?

Es hängt sicherlich damit zusammen, dass auch der Kulturbetrieb, keine homogene Masse ist. Ein Querschnitt durch unsere ganze Gesellschaft, auch in seiner politischen Ausrichtung. Und dass möglicherweise bestimmte Teile dieses Kulturbetriebes nicht trennen können oder wollen zwischen dem, was am 7. Oktober passiert ist und dem politischen Konflikt, der dadurch ausgelöst wurde auf der einen Seite. Und dem, was jetzt bei uns passiert: Nämlich konkrete Angriffe auf Jüdinnen und Juden auf unseren Straßen.

Viel wichtiger als kurzfristige Bekenntnisse ist, dass auch Kulturformate entstehen.
Thomas Otten
Durchgang vom Praetorium ins MiQua.

Durchgang vom Praetorium ins MiQua.

Man kann natürlich einfach bei Instagram Flaggen posten, aber würden Sie sagen, das ist hilfreich?

Viel wichtiger als kurzfristige Bekenntnisse ist, dass auch Kulturformate entstehen, beispielsweise internationale Kooperationen. Dass Juden und Nicht-Juden gemeinsam auftreten, ausstellen, gemeinsam gestalten - das finde ich wichtig, damit etwas bei den Leuten ankommt. Denn das sind auch die Dinge, die sich nachhaltig festsetzen werden.

Der Name der Forums 321 verweist ja auf ein Gesetz des römischen Kaisers Konstantin - die erste historisch belegte Erwähnung einer jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen. Würden Sie sagen, Köln hat durch seine lange, jüdische Geschichte eine besondere Verantwortung?

Als Archäologe und Kulturwissenschaftler muss ich das auf jeden Fall bejahen. Diese Quelle ist ja eine ganz besondere, weil sie für Köln schon im vierten Jahrhundert jüdische Bürger in Köln nachweist, die für das Gemeinwohl im Rat der Stadt aktiv waren. Das waren also nicht irgendwelche durchreisenden Händler sondern das waren Kölner Familien, die hier sicherlich seit Generationen gelebt und gearbeitet haben. Die auch eine gewisse gesellschaftliche Position hatten. Und als gleichberechtigte Vollbürger für öffentliche Aufgaben Verpflichtungen übernahmen.

Ist das eine Kölner Besonderheit?

Diese Quelle ist sicher auch für viele andere Städte, die nicht auf so eine frühe Nennung verweisen können, spiegelbildlich anzuwenden. Wir müssen also davon ausgehen, dass in der gesamten Spätantike und im frühen Mittelalter, in den Städten in Mitteleuropas - nicht nur in Deutschland - Juden zur Bevölkerung gehörten und Teil der Stadtgemeinschaften waren. Deshalb ist uns diese Quelle so wichtig, und deswegen haben wir auch unser neues Gesprächsformat hier in Köln „Forum321“ genannt.

Völlig absurde Erzählungen über das Judentum leben wieder auf, die schon seit dem Mittelalter in der Welt sind
Thomas Otten

Kann uns dieser lange Blick zurück in die Geschichte in der aufgeheizten Debatte um den Nahost-Konflikt helfen?

Bei der Reaktionen unserer Gesellschaft auf den Nahost-Konflikt spielen Antisemitismen eine Rolle, die teilweise nie weg waren. Stichwort: rechter Antisemitismus. Da kommen aber natürlich auch migrantische, säkulare, linke Antisemitismen dazu, die jetzt durch eine solche Konfliktlage noch befeuert werden. Und das ist der Punkt, wo wir ansetzen wollen und müssen. Was in erster Linie gar nichts damit zu tun hat, dass man sich in Bezug auf den Nahostkonflikt politisch positionieren muss. Sondern es geht darum, was hier gerade mit Mitgliedern unserer Gemeinschaft passiert, Jüdinnen und Juden. Dass das überhaupt nicht geht, muss man immer wieder klar machen. Und durch den Terrorakt am 7. Oktober hat das jetzt eine unerwartete Brisanz.

Hätten Sie einen solchen offenen Antisemitismus in Deutschland vor einem Jahr für möglich gehalten?

Der Antisemitismus war nie weg, aber er hat sich stark verändert und er hat einfach eine unglaubliche Dynamik bekommen durch den Krieg in Nahost - und das habe ich überhaupt nicht erwartet.

Was können Kulturinstitutionen dazu beitragen, um die Debatte zu versachlichen?

Wir können immer wieder nur über die lange Geschichte des Antisemitismus aufklären. Die führt jetzt paradoxerweise dazu, dass bestimmte, völlig absurde Erzählungen wieder aufleben, die schon seit dem Mittelalter in der Welt sind: Die Kindermordlegende, die Blutrünstigkeit der Juden - das wird wieder völlig unreflektiert aufgegriffen. Die Substanzlosigkeit solcher Antisemitismen wollen wir aufzeigen und das ist eine fundierte Arbeit jenseits von großen Gesten, die jetzt dringend nötig ist.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Alle jüdischen Museen arbeiten ja daran, nicht nur Geschichte auszustellen, sondern auch die Relevanz der Geschichte für die Gegenwart zu verdeutlichen. Und im Idealfall - vielleicht ist das eine Utopie - zu einem völlig selbstverständlichen gemeinsamen Leben von Juden und Nicht-Juden in Deutschland zu kommen. Die Juden sind erst dann ein selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft, wenn man gar nicht mehr darauf hinweisen muss, dass jemand beispielsweise ein jüdischer Künstler ist. Erst wenn das eine völlige Selbstverständlichkeit ist, haben wir unsere Aufgabe erfüllt. Und leider muss ich sagen, im Moment sind wir davon weiter entfernt als je zuvor.


Thomas Otten  ist Archäologe, Denkmalpfleger und Gründungsdirektor der Archäologischen Zone/Jüdisches Museum Köln (MiQua – LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln). Das Miqua ist ein etwa 6000 Quadratmeter großes archäologisches Ausgrabungsareal am und um den Kölner Rathausplatz. Dort entsteht  ein Museum für die jüdische Geschichte der Stadt.

Am Montag, 11. Dezember, lädt das Forum 321  um 18.30 zu einer Podiumsdiskussion in den Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums ein. Zum Thema „Der Angriff auf Israel – Auswirkungen auf Gesellschaft und Kulturinstitutionen“ sprechen Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Mirjam Wenzel, Direktorin des jüdischen Museum Frankfurt, MiQua-Direktor Thomas Otten und Tal Botvinik, Kölner Musiker aus Israel. Durch das Programm führt der Journalist Michael Köhler. Umrahmt wird das Programm von dem Cologne Guitar Quartett. Der Eintritt ist frei. Anmeldung unter:   kontakt@koelnische-gesellschaft.de.

Im Jahr 321 erließ der römische Kaiser Konstantin ein Gesetz, das auf Anfrage der Stadt Köln jüdische Bürger für den damaligen Stadtrat verpflichtete - die erste historisch belegte Erwähnung einer jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen.

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