Man hört sie ja immer wieder in Gustav Mahlers Sinfonien, jene derb und penetrant aufspielende Blaskapelle, die dem spätromantischen Orchestersound den Samtteppich unter den Füßen wegzieht. Aber selten wird diese anstößige, plebejische Klangwelt so konsequent ins Bild gesetzt wie es nun Omer Meir Wellber mit den Wiener Symphonikern im philharmonischen Meisterkonzert tat.
Kölner PhilharmonieFagotte schnarren um die Wette

Der israliesche Dirigent Omer Meir Wellber
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Der israelische Dirigent, seit Beginn der Spielzeit Musikdirektor an der Wiener Volksoper, setzte alles daran, Mahlers fünfte Sinfonie intensiv und feurig, aber eben nicht groß klingen zu lassen, schon gar nicht üppig oder luxuriös.
Wiener Philharmoniker lassen sich vom Dirigenten mitreißen
Jede raumgreifende Melodielinie der Streicher geriet sofort ins Kreuzfeuer der Nebenstimmen, die Wellber grundsätzlich als Gegenstimmen auffasste. Jene hohe Kunst, mit der Mahler aus disparaten Quellen einen geschlossenen sinfonischen Organismus schafft, interessierte Wellber nicht. Er nahm die raffinierte Partitur auseinander wie ein ungezogenes Kind sein Spielzeug. Die innere Mechanik wurde hörbar, die Gussgräte der Konstruktion traten hervor.
Die Wiener Symphoniker hatten offenbar keine Berührungsängste mit dieser Konzeption, die weder auf geschliffenen Schönklang noch auf hohe Präzision setzte. Besonders die Fagotte ließen sich vom Maestro willig aus der Reserve locken und schnarrten um die Wette. Wie die jämmerlichen Reste einer versprengten Tanzkapelle klangen die einsamen Streicher-Pizzicati im Scherzo-Trio. Kein Wunder, dass Wellber auch das seidige Adagietto eher elektrisiert als klangselig in Szene setzte. Er hatte auch kein Problem damit, die nachklingende Aura des Werkes durch zwei fröhlich lärmende Strauß-Polkas unter Beschuss zu nehmen - und eine mitklatschfreudige Fraktion im Publikum dankte es ihm.
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Nach Klavierkonzert verabschiedet sich Solist Jan Lisiecki mit Chopin-Nocturne
Vorangegangen war Mozarts großes C-Dur-Klavierkonzert KV 467, das der junge Kanadier Jan Lisiecki frisch, vital und ohne klassizistische Verzärtelung anging, mit kernigem non-legato und knackigen Bässen in den Rahmensätzen. Ungewohnt zügig kam das berühmte Andante daher, dessen gedämpfte Streicherbegleitung der Dirigent wunderbar schwerelos treiben ließ.
Um so markanter wirkten die großen Melodiesprünge und scharfen Dissonanzen, die der Solist in dieses atmosphärische Umfeld setzte. Wie es ihm seine polnischen Wurzeln gebieten, verabschiedete sich Jan Lisiecki natürlich mit Chopin - dem elegisch abgetönten, bis in die letzte Verästelung hinein ausgehörten und ausgeformten c-Moll-Nocturne aus dem Nachlass. (rue)
