Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Ingo Metzmacher in der PhilharmonieEin eindrucksvoller Logiker des Zerfalls

3 min
Dirigent Ingo Metzmacher

Dirigent Ingo Metzmacher kommt aus der Neuen Musik

Mahlers Siebte ist voller doppelter Böden, die bei Ingo Metzmacher mit dem WDR Sinfonieorchester in der Kölner Philharmonie immer wieder hörbar wurden.

Mahlers siebte Sinfonie hat es zwischen der katastrophischen Sechsten und der triumphalen Achten bis heute schwer – weil sie sich eben einer derart eindeutigen Aussage in der einen oder anderen Richtung gerade verweigert. Das Rondo-Finale wirkt, gegenüber dem ersten, vielleicht avanciertesten Mahler'schen Sinfoniesatz, in seiner Positivität beflissen und konventionell, und was soll man davon halten, wenn eine an sich herzzerreißende Figur der ersten Violinen mit der Vortragsbezeichnung „Ohne Ausdruck“ gewürdigt wird. Allerorten hat man in diesem Werk mit doppelten Böden zu rechnen – was an sich eine Spezialität des Komponisten ist. Nur lässt dieser das Publikum hier gezielt darüber im Unklaren, was es mit der unteren Etage denn nun auf sich hat.

Möglicherweise ist der Verzicht auf eine Antwort auch aufseiten des durch die Organisation des Riesenwerks allein technisch stark geforderten Dirigenten immer noch der beste Weg, mit dem „Problem Nr. 7“ klarzukommen. Daniel Harding am Pult des Swedish Radio Symphony Orchestra praktizierte diesen Verzicht in der Kölner Philharmonie vor eineinhalb Jahren ziemlich überzeugend. Ingo Metzmacher schlug jetzt im Abokonzert des WDR Sinfonieorchesters einen etwas anderen Weg ein.

Metzmacher geht mit dem „Problem Nr. 7“ anders um

Auch Metzmacher ist ein Mann großer Deutlichkeit und Durchhörbarkeit – welchen Forderungen das Orchester weithin, nicht durchweg exzellent entsprach. Aber er geht, dafür mag auch sein Herkommen aus der Neuen Musik verantwortlich sein, das Werk und Mahlers Idiom überhaupt härter, greller, gewalttätiger an, als es manche Kollegen tun. Schon der legendäre Einsatz des Tenorhorns im ersten Satz geriet in diesem Sinne kantig, aufgeraut, nicht in einem landläufigen Sinne schön. Mit der Spielqualität hatte das nichts zu tun – diejenige der Streicher war an einigen Stellen tatsächlich nicht über jeden Zweifel erhaben –, wohl hingegen mit der dezidierten Wahl einer bestimmten orchestralen Grundfarbe.

Und Metzmacher ist ein eindrucksvoller Logiker des Zerfalls: Wo, etwa in der ersten „Nachtmusik“, Themen nicht so recht in Gang kommen oder im Satzverlauf abgebrochen und zerstört werden, da ist er in seinem Element. Die doppelten Böden, sie wurden immer wieder hörbar im ordinären Blaskapellensound, im trivialen Walzer, in den schmalzigen Geigenportamenti (manchmal auch da, wo in der Partitur keine vorgeschrieben sind). Eine bündige Idee mochte auch der illustre Gastdirigent nicht zu vermitteln – wohl aber eine erhellende Unruhe darüber, dass es diese vielleicht gar nicht gibt.

Dem Mahler vorangestellt war die Orchesterkomposition „Dear Midnight“ der zeitgenössischen Britin Helen Grime. Auf dem Papier lag die gedankliche Brücke zu Mahler klar zu Tage – auch Grime schreibt eine „Nachtmusik“. Das Werk, in dem unterschiedliche Zeitverläufe in den Stimmen und schattenhafte Bewegungen immer wieder durch harte vertikale Interventionen gegliedert werden, ist zweifellos fantasievoll und großartig instrumentiert. In der Sache hingegen dürfte sich die Verbindung zu Mahler den wenigsten Hörern erschlossen haben. Grundsätzlich kann ein Koloss wie die Siebte im Konzertsaal auch durchaus einer Einstimmung oder Rahmung entraten. Seine Informationsfülle sprengt schier das Fassungsvermögen – ganz abgesehen von den erwähnten Sub- und Kontexten.