Igor C Silvas „Sōma“ begeistert in der Kölner Philharmonie mit innovativer Elektronik, entpuppt sich aber auf Dauer als gefällige zeitgenössische Klassik.
Igor C Silva in der Kölner PhilharmonieEin bisschen schräg, aber nicht zu sehr

Komponist Igor C Silva hat sich elektronischen Klängen verschrieben, mit denen er am Sonntag die Kölner Philharmonie bespielte
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Elektronische Klänge zittern durch die Philharmonie. Ein brüchiges Pfeifen stammt jedoch nicht aus den Lautsprechern, sondern vom Solokontrabassisten, der kaum sicht- und hörbar in höchster Lage spielt. Schließlich kommen schwebende Akkorde der beiden elektronisch verstärkten Vibraphone und das übrige Sinfonieorchester hinzu.
Igor C Silva verbindet in „Sōma“ gekonnt Elektronik mit seinem Improvisationsquartett „SlowMob“ und den Duisburger Philharmonikern unter souveräner Leitung von Mariano Chiacchiarini. Der Kompositionsauftrag der European Concert Hall Organisation (ECHO) wurde durch die Ernst von Siemens Music Foundation finanziert. Zuweilen ist nicht klar auszumachen, welche Klänge von wem stammen. Der somnambulen Atmosphäre des Beginns folgt ein ausgelassener Tanz. Angetrieben wird die furiose Fiesta von pulsierendem Drumset samt Zupfbass, E-Gitarre, energetisch aufwärts drängenden Streichern sowie funkelnden Schlagzeugern und Bläsern.
Von der schlafwandelnden Atmosphäre zur furiosen Fiesta
Der immer schneller rotierende Apparat zerfällt jedoch plötzlich zu glasharten Akkorden, zuckenden Akzenten und durch alle Register flippernden Elektrosounds. In eine geräuschvolle Improvisation des Soloquartetts schieben sich klirrende Streicher. Auf einmal bleibt nur noch der solistische Kontrabassist übrig. Der 1989 im portugiesischen Porto geborene Komponist gestaltet geschickt Klangblenden und Wechsel zwischen charakteristischen Abschnitten. Er lässt den Apparat wie einen schnurrenden Webstuhl ticken und das hochtourige Getriebe dann knirschend zerbröckeln.
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Igor C Silva schreibt gefällige zeitgenössische „Klassik“, die ihre Wirkung beim dankbaren Publikum nicht verfehlt. Die Musik ist groovig, sinnlich, unterhaltsam, kurzweilig, ein bisschen schräg, doch nicht zu sehr. Mit dreimaliger Steigerungsform ist „Sōma“ jedoch formal wenig einfallsreich, eher erwartbar und daher während knapp vierzig Minuten auch etwas langweilig. Es fehlt die großformale Entsprechung zur klanglich abenteuerlichen Kombination von Elektronik, Improvisationssolisten und Orchester.
Ein großer Experimentator und Meister bei der Entwicklung von Strategien zur möglichst schlüssigen Verbindung von Material und Form war dagegen Johannes Brahms. Seine 1885 in Meiningen uraufgeführte vierte Symphonie basiert auf einer Verkettung von vier Terzen und deren komplementären Sextintervallen. Die aus diesem reduzierten Allerweltsmaterial fließende melodische und rhythmische Varianz ist gleichwohl fantastisch und war auch beim jüngsten Kölner Sonntagskonzert – obwohl romantisches Kernrepertoire – erneut überraschend. Das macht wahre Klassik aus.