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Tölzer Knabenchor in der Kölner PhilharmonieMagisch-intensiver Klang

3 min
Tölzer Knabenchor (Archivbild)

Tölzer Knabenchor (Archivbild)

Der Tölzer Knabenchor mit Rossinis „Petite Messe solennelle“ in der Kölner Philharmonie.

Der Tölzer Knabenchor ist im Prinzip genau das: ein Knaben- beziehungsweise Männerchor. Da mochte es auf Anhieb irritieren, dass sich bei der Aufführung von Rossinis „Petite Messe solennelle“ in der Kölner Philharmonie in der 20-köpfigen (mithin kammerchörig besetzten) Sängerschar auch weibliche Wesen befanden. Dirigent Michael Hofstetter lieferte die Erklärung: Die Darbietung sollte halbwegs exakt die Umstände der Pariser Uraufführung anno 1864 abbilden, die nicht im großen Rahmen stattfand, sondern anlässlich der Einweihung einer Privatkapelle. Und daran waren den Quellen zufolge eben auch Frauen beteiligt.

Begleitet wurde das Ganze damals naheliegend nicht von einem großen Orchester, sondern von zwei Klavieren und einem Harmonium. Meist erklingt die Messe heutzutage in der später erstellten Orchesterversion, aber die Erstfassung ist immerhin nicht unbekannt. Auf dem Weg zur historischen Rekonstruktion bleiben die Tölzer unter Hofstetter jetzt nicht auf halbem Weg stehen: So kamen auf dem Podium nicht etwa die traditionellen Steinways zum Einsatz, sondern Hammerflügel aus der Entstehungszeit, verfertigt in den legendären Klavierbauerfirmen Pleyel und Érard.

Anrührende Dringlichkeit

Rossinis Verhältnis zur katholischen Sphäre war herkunftsbedingt eng, zugleich aber auch ironisch-gelassen. Eine Tempobezeichnung wie „Allegro cristiano“ (christliches Allegro) im Credo – das muss man erst mal bringen. Der Gläubige als Spötter? Wer dem italienischen Opernmeister darob existenzielle Tiefe abzusprechen geneigt ist, konnte sich in der Kölner Aufführung eines Besseren belehren lassen – es kommt bei Rossini halt immer darauf an, wie man ihn spielt und singt. Diesmal wuchs dem Werk – nicht nur, aber vor allem im Agnus Dei mit der Friedensbitte in unfriedlicher Welt – eine anrührende, sich dem Zuhörer direkt mitteilende Dringlichkeit zu, die sich bei Aufführungen des Stückes längst nicht immer einstellt.

In erster Linie dafür verantwortlich war der Chor, dessen „Dona nobis pacem“ tatsächlich wie aus einer anderen Welt zu kommen schien. Da entfaltete sich gerade im ganz Leisen eine magisch-intensive Darstellungskraft, da schwebte der Klang überirdisch, aber er säuselte nicht. Das hat selbstredend auch mit Gesangstechnik zu tun, mit der Fähigkeit, die Phrase auch im pianissimo ohne Substanzverlust durchzustützen. Seinen Lackmustext hat der Chor in dieser Messe bereits im Kyrie abzuliefern: Oft genug zeitigt hier das a cappella gesungene „Christe“ einen beklagenswerten Intonationsverlust, der dann spätestens bei der „Kyrie“-Wiederholung drastisch auffällt. Davon konnte hier aber keine Rede sein. Homogenität und erfreuliche Geschmeidigkeit in der dynamischen Binnengestaltung, also eine ohne Einbrüche durchgezogene Dramaturgie zeitigten auch die großen Fugen am Schluss von Gloria und Credo. Die Koloraturen hätten noch etwas klarer und deutlicher kommen können.

Gutes (mit Einschränkungen) ist auch über die Vokalsolisten zu berichten. Dass die beiden vorzüglichen Chorknaben im „Qui tollis“ gestaltungshalber Luft nach oben ließen, lag in der Natur der Sache. Die „erwachsenen“ Solisten Lydia Teuscher (Sopran), Terry Wey (Altus), Aco Aco Bišćević (Tenor) und Frederic Jost (Bass) agierten in ihren Quasi-Arien stilsicher im immerhin heiklen Grenzbereich zwischen Oper und geistlicher Musik. Punktuelle Defizite – die Schwäche des Soprans in der Mezzo-Lage und die gelegentliche Übersteuerung des Basses waren in Kauf zu nehmen.

Schön und inspiriert agierten schließlich die Hammerklavierexperten Christoph Hammer und Shenglong Li sowie der Kölner Harmonium-Experte Joachim Diessner – die Klangpotenziale der außergewöhnlichen Besetzung wurden hier gut ausgereizt. Die Kraft der poetischen Versenkung zeigte Shenglong Li seinem Lehrer Hammer womöglich überlegen.