Das Wiegenlied stand im Zentrum des Liederabends der international gefeierten Altistin Wiebke Lehmkuhl in der Kölner Philharmonie.
Wiebke Lehmkuhl in der Kölner PhilharmonieInspiriert von der ersten bis zur letzten Note

Wiebke Lehmkuhl
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Auch Wiegenlieder können böse sein – nichts da mit Eiapopeia: In Benjamin Brittens Zyklus „The Charm of Lullabies“ etwa gibt es ein Lied, wo der dem Säugling gewidmete Schlafenswunsch einer überforderten Mutter schier zum Fluch gerät. Und Mahlers „Das irdische Leben“ aus den „Wunderhorn“-Liedern ist auch so etwas wie ein grausig pervertiertes Wiegenlied: Eine Mutter muss ihrem hungrigen Kind so lange das verzweifelt verlangte Brot vorenthalten, bis dieses tot auf der Bahre liegt. Da mag dem Zuhörer ganz aktuell noch – etwa bei der Imagination einer Mutter im Gaza-Streifen – das Blut in den Adern frieren.
Das Wiegenlied war so etwas wie das thematische Zentrum des Liederabends der (mit allem Recht) international gefeierten Altistin Wiebke Lehmkuhl in der Kölner Philharmonie – mit Liedern von Brahms und Mahler, Britten und Frank Bridge. Die Anforderungen an die individualisierende Gestaltungskraft waren hier außerordentlich. Die höchst unterschiedlichen Lieder über den Leisten eines mittleren Interpretations-Standards zu schlagen – das ging gerade hier gar nicht.
Wohlklingend durch alle Register
Künstler, die nicht über die sängerische Souveränität einer Wiebke Lehmkuhl, nicht über ihre Sensibilität, ihren Sinn für Angemessenheit, ihr Bewusstsein für Nuancen und Valeurs verfügen, können an dieser Aufgabe mühelos scheitern. Doch Lehmkuhl eröffnete die „Lied“-Aboreihe vielmehr mit einem Auftritt, wie man ihn sich intensiver, inspirierter von der ersten bis zur letzten Note nicht hätte wünschen können.
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Wiegenlieder also. Die genannten Negativ-Varianten gestaltete die Sängerin keineswegs mit begleitender Empörung, sondern eher sachlich erzählend, dabei mit einem genauen Gespür für die szenische Aufgipfelung. Daneben gab es dann auch „nette“ Wiegenlieder – bis hin zu Brahms´ „Geistlichem Liebeslied“ opus 91/2, das beziehungsreich die Melodie des Weihnachtsliedes „Joseph, lieber Joseph mein“ aufgreift. In solchen Stücken, ähnlich wie in Brittens „The Nurse's Song“ griff eine aus dem atmosphärischen Grundklang kommende Trance Platz, ein Zauber der Vokale, bei dem es auf den Transport eines das Verstehen adressierenden Textes gar nicht mehr ankam.
Dabei ist Lehmkuhl meistens eine gewissenhaft-eindringliche „Textlieferantin“, manchmal aber eben aus genauem Kalkül auch nicht. Weil ihr Stimme – großartig substanzreich und wohlklingend durch alle Register – bis in die hinterste Linie der Philharmonie trug, brauchte sich ihr britischer Klavierbegleiter Julius Drake auch keine Zurückhaltung aufzuerlegen. Entschieden und selbstbewusst, teils hartnäckig und auch schon mal quasi-orchestral auftrumpfend, setzte dieser dem Vokalpart immer wieder die motivische Spezifik der Klavierstimme entgegen. Ein unwiderstehlicher Tonzauber eigener Art vermittelte sich durch das Hinzutreten des exzellenten Bratschisten Andreas Willwohl in Bridges spätestromantischen „Three Songs“ und Brahms' Gesängen seines opus 91. Die Viola ist ja sozusagen der Alt der Streicherfamilie – an Sonorität und Wohlklang stand er jedenfalls der Sängerin keineswegs nach.

