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Felix FestivalHistorische Musik - höchst gegenwärtig und lebendig

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Vox Luminis

Vox Luminis 

Nach fünf Tagen voll Musik in historisch informierter Aufführungspraxis endete das Festival „Felix – Dem Originalklang auf der Spur“ in der Kölner Philharmonie. Bei „Felix Urban“ gab es einen Tag lang vierzehn Konzerte zu freiem Eintritt in der Kölner Innenstadt.

Diese historische Kunst ist nicht alt oder gar veraltet, sondern höchst gegenwärtig und lebendig – sofern derart ausgezeichnete Vokal- und Instrumentalensembles die Musik des Barockzeitalters wie ihre Muttersprache verinnerlicht haben und mit jeder Faser ihres Singens und Spielens richtig prononciert artikulieren. Nach fünf Tagen voll Musik in historisch informierter Aufführungspraxis endete das Festival „Felix – Dem Originalklang auf der Spur“ in der Kölner Philharmonie mit einem Konzert des belgischen Vokalensembles Vox Luminis zusammen mit dem Freiburger BarockConsort unter Leitung des Bassisten Lionel Meunier. Eine großartige Paarung.

Auf dem Programm standen geistliche Konzerte des 17. Jahrhunderts von Hammerschmidt, Schmelzer, Fux und Biber. Zum Basso contiuno traten verschiedene konzertierende Instrumente und wechselnde Vokalkonstellationen der fünfzehn exzellenten Sängerinnen und Sänger: solistisch, chorisch, antiphonal oder mehrchörig. Je nach der Thematik von Leid, Freude, Tod, Auferstehung und ewigem Leben der vertonten Texte ist diese Musik voll rhetorisch sprechender Figuren: abfallend oder aufsteigend, figurativ polyphon oder blockartig homophon, starr zwei- oder beschwingt dreitaktig.

Heinrich Ignaz Franz Bibers „Mysterien“- beziehungsweise „Rosenkranz-Sonate“ Nummer 10 über die Kreuzigung Jesu spielte Geigerin Judith von der Goltz mit großer Variabilität und packender Gestik zwischen schmerzvoller Weichheit und gewaltsamer Härte. Mit demselben Atem und Bogen begleiteten sie dabei Torsten Johann auf der Orgel und Hille Perl auf der Viola da Gamba. Hauptwerk des Abends war abschließend Bibers Requiem f-Moll, komponiert vermutlich Ende der 1690er Jahre für bis zu fünf Singstimmen, Continuo und drei Posaunen. Deren dunkles Strahlen verlieh der lateinischen Totenmessen ihr ebenso drohendes wie feierliches Gewicht.

Schlüsselstellen des Messtextes korrespondieren auch hier mit passender musikalischer Rhetorik. Zur Anrufung „Rex tremendae majestatis“, König schrecklicher Gewalten, brechen kraftvolle Tutti-Akkorde hervor. Zum Tag der Tränen „Lacrimosa dies illa“ fügen sich klagende Seufzersekunden zur nicht enden wollenden Sequenzenkette. Die im Tartarus gequälten Seelen schreien mit scharfen Dissonanzen. Von ihrem Leiden erlöst werden sie durch Jesus Christus beziehungsweise eine zu lichtem Dur führende Kadenz. Das Lob und Preis „Osianna in excelsis“ klingt kanonisch durch alle Singstimmen wie das in allen Himmelssphären schallende Echo der Engelsscharen. Verdienter großer Applaus.

Vierzehn Konzerte bei „Felix Urban“

Wie in den vergangenen Jahren bot „Felix Urban“ am Samstag einen ganzen Tag lang insgesamt vierzehn Konzerte zu freiem Eintritt an fünf verschiedenen Orten der Kölner Innenstadt. Die Musik in historischer Aufführungspraxis reichte von mittelalterlicher Gregorianik bis Barock. Dargeboten wurde sie von jungen Ensembles und Preisträgern der Göttinger Händel Competition.

Einige Formationen kleideten ihre Programme in durchgehende Erzählungen und versuchten Anbindungen an aktuelle Themen und Schicksale. Das junge israelische Quartett Nari Baroque leitete sein Konzert „Der goldene Apfel“ aus dem antiken Wettstreit der Göttinnen Juno, Aphrodite und Athene ab, von denen die Schönste einen goldenen Apfel von Paris erhalten sollte. In der Ursulinenkirche hatte nun Urvater Adam zu wählen, welche Frauengestalt des Alten Testaments er mit dem Apfel vom Baum der Erkenntnis erlösen sollte: Eva als Pflückerin dieses Paradiesapfels, Judith als Mörderin des feindlichen Feldherrn Holofernes, Esther als Verräterin des ihr angetrauten Perserkönigs, die unschuldige Susanna im Bade oder schließlich Anna als Mutter der Muttergottes Maria?

Durch kurze Schilderungen verbunden erklangen Arien des 17. und 18. Jahrhunderts von Otradović, Rotem, Draghi, Stradella, Händel und Telemann auf Tschechisch, Hebräisch, Italienisch, Englisch und Deutsch. Die goldene Palme gebührte indes unstrittig der herausragenden Sopranistin Liron Givoni für ihre virtuos wandelbare Stimme, dynamische Varianz, klare Diktion und perlenden Koloraturen. Fabelhaft!

Das Programm „Eine Welt für sich“ des Ensembles Interchange bot Musik der Barock-Komponistinnen Duarte, Strozzi, Leonarda und de La Guerre. Im Wechsel mit verschiedenen Kombinationen von Basso Continuo und zwei konzertierenden Blockflöten rezitierte Schauspielerin Annalisa Hohl aus der Zeit von 1600 bis zur Gegenwart Texte von Margaret Cavendish, Virginia Woolf und Şeyda Kurt.

Damals wie heute geht es um Diskriminierung und Ausgrenzung von Frauen beziehungsweise um Gleichberechtigung, Selbstbestimmung, Respekt, Sichtbarkeit, Teilhabe. Die Anbindung an die Gegenwart blieb jedoch hölzern, weil immer wieder auf Grundrechte gepocht wurde, die inzwischen glücklicherweise verfassungsrechtlich verbürgt sind. Künstlerischer und wirkungsvoller wäre es gewesen, wie beabsichtigt tatsächlich Geschichten zu erzählen, um dadurch auch solche Menschen zum Träumen anzuregen, die immer noch nichts von Gendergerechtigkeit wissen wollen.

Mit Georg Anton Bendas Melodram „Medea“ stand schließlich ein erschütterndes Frauenschicksal im Zentrum des abendlichen Konzerts der Akademie für Alte Musik Berlin unter Leitung ihres Konzertmeisters Bernhard Forck. Das 1775 uraufgeführte Stück kombiniert auf damals sensationell neue Weise Musik und Schauspiel. Orchester- und Textpassagen verzahnen sich im Laufe der Tragödie immer kleinteiliger und dramatischer. Gleich die Ouvertüre zeigt alle Affekte der vom Argonauten Jason einer anderen Frau wegen verstoßenen Königstochter Medea. Diese weiß sich im Widerstreit von Zorn, Hass und Mutterliebe schließlich nicht anders zu helfen und rächen, als ihre eigenen Kinder zu morden, um das letzte Band mit dem Verräter zu durchtrennen.

Bendas Musik schlägt von aufgewühlten Tremoli abrupt zu sanft schmelzenden Melodien um. Der fröhlich triumphierende Marsch eines Fernorchesters signalisiert opernhaft den nahenden Hochzeitszug von Jason (Elias Arens) und seiner neuen Braut. Ein wahres Orchestergewitter schildert die Bluttat und das anschließende Entsetzen Jasons, der sich daraufhin selbst entleibt. Die schlanke Streicherbesetzung mit jeweils nur zwei Pulten sorgte für ebenso klare wie bewegliche Artikulation. In der Titelrolle forcierte Schauspielerin Meike Droste die Stimme immer wieder expressiv bis zum Schrei. In der guten Akustik der Philharmonie hätte es keiner elektronischen Verstärkung gebraucht, die umso störender war, als sie der einsamen Verzweiflung der von allen verlassenen Medea eben das an existentieller Kraft nahm, was sie ihr an Lautstärke aufdrückte.

Eröffnet hatte das Konzert Mozarts „Haffner-Sinfonie“. Deren über zwei Oktaven ausgreifendes Hauptthema und viele auffahrende „Mannheimer Raketen“ nahmen musikalisch den Funkenflug vorweg, den dann zwei Stunden später die „Kölner Lichter“ zündeten.