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Pianistin Elisabeth Leonskaja in der PhilharmonieDie Poesie des späten Beethoven

3 min
Elisabeth Leonskaja

Die russische Pianistin Elisabeth Leonskaja lebt seit Jahren in Wien. In Köln konzentrierte sie sich ganz auf das Poetische in Beethovens spätem Oevre.

Die bald 80-jährige Pianistin Elisabeth Leonskaja imponierte mit Beethovens drei letzten Klaviersonaten in der Kölner Philharmonie.

Es gibt in der Musikgeschichte diese magischen Dreiergruppen, in denen der Geist der Tonkunst als solcher auf eine ganz unmittelbare und doch unsagbare Weise zu wehen scheint, das Gestalt wird, womit sie im besten Fall den Hörer tief zu treffen und zu verwandeln vermag. Mozarts letzte Sinfonien gehören genauso dazu wie Schuberts letzte Klaviersonaten. Und selbstredend die finale Trias von Beethovens Sonaten-Oeuvre: das steile und zerklüftete Hochgebirge hinter den Opuszahlen 109, 110 und 111. Elisabeth Leonskaja hat es soeben in der Kölner Philharmonie bestiegen, in einem pausenfreien Durchgang über 75 Minuten hinweg.

Eine nicht nur mental, sondern auch rein physisch in höchstem Maß imposante Leistung, die die im November 80-jährige russische Künstlerin, die seit Jahrzehnten in Wien lebt, mit unauffälliger Gelassenheit und Grandezza absolvierte. Am Ende gab es trotz enthusiastischen Beifalls im gut gefüllten Saal keine Zugabe – aber was hätte nach den letzten Takten der c-Moll-Sonate auch noch kommen können oder dürfen?

Elisabeth Leonskaja erbringt imposante Leistung

Der Kritiker Joachim Kaiser hat Leonskaja einmal als „süchtig nach Poesie“ genannt. Das mag insofern zutreffen, als ihr Beethoven-Spiel der äußerlichen Ostentation völlig entbehrt, das Zentrum der Interpretation in lyrisch-kantablen Valeurs und Stimmungen sucht. Ein Beispiel dafür lieferte jetzt gleich der Beginn des opus 109 mit einem leicht verwischten, quasi improvisatorischen Schlendern durch den E-Dur-Raum, in dem die Taktschwerpunkte im Spiel der gegeneinander verschobenen Stimmen auf bezwingende Weise verloren gingen. Freilich kann Leonskaja auch anders: Dass sie sich der subthematisch-strukturbildenden Qualität der Sekund/Terz-Folge sehr wohl bewusst ist, zeigte sich nicht erst im scherzoartigen zweiten Satz mit einer federnd artikulierten Bass-Figuration. Und die monumentale Fuge am Schluss von opus 110 stellte sie in ihrem architektonischen Aufriss schlüssig hin.

Tempi und dynamische Gegensätze blieben aber insgesamt maßvoll, alles schien eher nach innen gewandt. Leonskajas Technik ist unaufdringlich-souverän, nicht triumphal, stellt sich stets in den Dienst der musikalischen Sache. Klar, man kann diesen späten Beethoven viel härter, karger, explosiver, unversöhnlicher spielen – auch dafür gibt es eindrucksvolle Beispiele in der Interpretationshistorie. So brauchte man bei Leonskaja auch nie Angst um den Flügel zu haben. Noch ihr Martellato wahrt allemal das Dekor, kommt pointiert und schlank, ohne zu scheppern oder zu dröhnen.

Mit bedingungsloser Selbstverpflichtung auf die Musik

Weil die Künstlerin nicht nur persönlich äußerst sympathisch ist, sondern man vielmehr ihre bescheiden-bedingungslose Selbstverpflichtung auf die Musik in jedem Takt spürt, mag sich Kritik nur zögernd formieren. Im schlechtesten Fall also landet Leonskajas Spiel im Feld einer etwas neutral-unverbindlichen Schönheit, die niemanden mehr aufregt. Im ersten Satz der As-Dur-Sonate etwa gibt es kurz nach dem Beginn eine Stelle, die nach originalem Mozart klingt – Beethoven reflektiert hier, wie in dieser finalen Trias überhaupt immer wieder – die Musikgeschichte. Das hat etwas Doppelbödig-Ironisches an sich, über das man nicht mit gepflegter Tongebung hinwegspielen sollte. Leonskaja indes schien ganz froh, als sie danach wieder auf die „original Beethovensch'schen“ Arpeggien einschwenken konnte. Und was besagt die Bach-Allusion des klagenden Gesangs im Schlusssatz?

Schließlich opus 111, jene Sonate, die seit Thomas Manns Interpretation im „Doktor Faustus“ ideologisch hoch belastet ist. Keinesfalls muss sie sich ein Interpret zu eigen machen, aber irgendeine Auseinandersetzung auch mit der Deutungsgeschichte liegt zumindest auf der Hand. Was hat es etwa damit auf sich, dass im abschließenden Variationensatz (wo Leonskaja in den hohen Diskantregistern gleichsam eine psychedelische Entrückung auslöste) an einer Stelle in der Unterstimme das Freudenthema der Neunten Sinfonie aufklingt? Die Poesie des späten Beethoven in allen Ehren – aber kann es sein, dass Leonskaja andere gleichfalls wichtige Aspekte dieses Sonaten-Wunderwerks unterbelichtet lässt?