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Kölner Photoszene-FestivalVergessen im Archiv: Wie der Kölner Dom es einst bis ins All schaffte

Lesezeit 4 Minuten
Künstler Andrés Galeano mit dem Raumanzug der Domstein-Mission

Andrés Galeano ist Künstler und selbsternannter Botschafter eines Domsteins. 

Fünf Künstlerinnen und Künstler haben für das Photoszene-Festival wieder Kölns Archive durchleuchtet - und ihre erstaunlichen bis problematischen Funde künstlerisch verarbeitet.

Am Anfang stand ein ganz gewöhnliches Stück Sandstein, genauer gesagt, das Fragment eines Strebewerks auf der Südseite des Doms. Nur durch Zufall wurde ausgerechnet dieses ausgewählt, um Astronaut Alexander Gerst 2014 bei seiner ISS-Mission zu begleiten. 165 Tage, acht Stunden und 1 Minute oder 2566 Erdumdrehungen später kehrte der Stein zurück zur Erde und Gerst gab ihn dem damaligen Oberbürgermeister Jürgen Roters zurück - verbunden mit dem Wunsch, der Stein möge doch wieder im Dom eingebaut werden. Doch es kam anders und das geflogene Stück Dom fristete sein Dasein in einer Vitrine des Dombauarchivs - bis der katalanische Künstler Andrés Galeano im vergangenen Sommer darauf stieß und sich selbst zum neuen Vermittler dieses Steins ernannte.

Photoszene-Festival eröffnet multimediale Bildwelt

Galeano ist einer von fünf internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die für das diesjährige Internationale Photoszene Festival wieder die Archive großer Kölner Institutionen durchforsteten, und das Gefundene in ihrer Kunst verarbeiten. Der Fotografiebegriff wird hier sehr weit gefasst, es ist vielmehr eine multimediale Bildwelt, die sich einem in den Ausstellungen der „Artist meets Archive“-Reihe eröffnet. Galeano etwa fertigt zur „Domstein-Mission“ einen eigenen Raumanzug, sammelt alle Dokumente zum Weltraum-Ausflug des Domstücks und schießt Porträts der Personen, die das heilige Stück berührt haben. Die auratische Aufladung des Fragments der stets zum Himmel, wohl aber nur einmal bis ins All strebenden Kathedrale treibt er auf die Spitze und erklärt es zur Berührungsreliquie - dessen computergenerierten Nachbau man jetzt im Domshop erwerben kann.

Künstliche Intelligenz stellt neue Fragen an das Medium

Seit dem letzten Photoszene-Festival vor zwei Jahren hat die rasant fortentwickelte Künstliche Intelligenz neue Fragen an das Medium aufgeworfen: Welchem Bild darf man heute noch trauen? Was hat die KI bloß aus den Massen digitaler menschlicher Spuren in neuer Zusammensetzung wieder ausgespuckt? Zumindest einmal haben sich die Bildmanipulationstechniken längst um ein neues Mittel erweitert – das sich jetzt auch in den künstlerischen Beiträgen des Kölner Festivals niedergeschlagen hat.

Schwarz-weiß Foto eines jungen Mädchens

Elena Efeoglou erstellte dieses KI-generierte Bild zu August Sanders „Mädchen im Kirmeswagen“ (1926 - 1932) und imaginiert, wer das Mädchen gewesen sein könnte

Dass dieses Werkzeug durchaus künstlerisches Potenzial birgt, zeigt in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur die griechische Künstlerin Elena Efeoglou. Sie schreckte nicht davor zurück, die „Menschen des 20. Jahrhunderts“ aus dem August Sander-Archiv - eines der bedeutendsten der Fotografiegeschichte -  mit KI neu zu befragen. Als sie die Negative der Porträts im Archiv sichtete, sei es für sie wie ein Treffen mit Fremden gewesen: Ihre Identität verstecke sich hinter der Figur. Efeoglou stellt sich vor, wer Sanders Porträtierte gewesen sein könnten, verbindet historische Fakten und Fantasie zu fiktiven Geschichten, die sie mit KI-generierten Fotografien im schwarz-weißen Sander-Look bebildert.

Museum Ludwig: Pauline Hafsia M’barek ergründet Materialität der Fotografie

Im Museum Ludwig wird das Foto dann sogleich wieder zu seinen materiellen Ursprüngen zurückgeführt. Pauline Hafsia M’barek untersuchte hier die Werksfotografien der „Agfa“-Sammlung des Museums. Die Abzüge des Herstellers von fotografischen Produkten zeigen zum Beispiel Arbeiterinnen und Arbeiter der Chemiefabrik bei der Produktion von Fotopapier. Dieses Archivmaterial stellt M'Barek einer Assemblage aus Objekten gegenüber, die das prekäre Verhältnis von Mensch und Umwelt in der Fotoherstellung betonen: von Rohmaterialien bis zu einer Wachshand, die das Exzem eines Fotografen durch Chemikalien zeigt. Denn noch nie war das Foto eine Abbildung der Realität - auch daran erinnert uns der Blick auf die Materialiät des Mediums. In einer transparenten Kiste lässt M'Barek um die 200 Silberfischchen ihren Ausstellungskatalog fressen - auch die Angst vor Zerfall und Zerstörung wohnt jedem Archiv inne.

Foto der „Barytküche“, 1956

Dieses Foto der „Barytküche“ (1956) ist Teil des „Agfa“-Archivs, das Pauline Hafsia M’barek untersucht hat. Baryt wird zur Herstellung von Fotopapier verwendet.

Wer darf Geschichte schreiben?

Und Archive spiegeln, wer überhaupt die Macht hatte, Geschichte zu schreiben. Die polnische Künstlerin Marta Bogdańska fragte sich zum Beispiel, welchen Platz nicht-menschliche Tiere - der Begriff soll betonen, dass der Mensch selbstverständlich auch ein Tier ist - im Archiv des Kölnischen Stadtmuseums hatten und will ihnen die geraubte Handlungsmacht zurückzugeben.

Jimmi Wing Ka Ho setzte sich mit der besonders „problematischen“ (Kuratorin Lucia Hader) Fotografie-Kollektion des Rautenstrauch-Joest-Museums auseinander. Der in Hongkong geborenen Künstler untersuchte die rund 200 Fotografien von Qingdao, einst „Musterstadt“ deutscher Kolonialherrschaft in China und entwarf mit eigenen Fotografien der Stadt eine selbstbestimmte Gegenerzählung, die jetzt in der Dauerausstellung zu sehen ist.


Vom 16. Mai bis zum 15. Juni zeigt das Photoszene-Festival unter der Leitung von Heide Häusler insgesamt 99 Ausstellungen in der gesamten Stadt. Erstmals hat es neben Flächen in den zahlreich teilnehmenden Institutionen auch ein eigenes Haus gewinnen können: Der ehemalige Stoffpavillon Möller in der Innenstadt wird vier Wochen lang zum „Photopavillon“ in schönster 50er-Jahre-Architekturkulisse.