„La Dolce Vita“ kommt zurückDer Skandalfilm der 60er Jahre ist erstaunlich aktuell

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Anita Ekberg in La Dolce Vita 

Köln – Jesus kommt nach Rom. Er ist aus Stein und fliegt durch die Lüfte, gehalten an Seilen von einem Helikopter. Tief unten auf den Straßen und Plätzen winken die Menschen empor. Auf einem Dach strahlen Bikinischönheiten hinauf zu Gottes Sohn.

Gleich die erste Szene dieses Films bedeutet Skandal. Gottes Sohn fliegt vorbei, aber die Kamera schaut lieber auf wohl geformte Rundungen aus Fleisch und Blut. Im Jahre 1960 ruft eine solche Szene den Zorn der katholischen Kirche auf den Plan. Von den Kanzeln wird gewettert wegen Blasphemie und lockerem Lebenswandel.

Auch in Deutschland wurde „Das süße Leben“ zum Skandalfilm 

Federico Fellinis „La Dolce Vita“, in Deutschland zutreffend als „Das süße Leben“ in den Kinos, wird zum Kassenschlager, weil er die Lust auf Kulturschock und Skandal anheizt. Ab Donnerstag ist der dreistündige Streifzug durch die Welt der römischen Schickeria wieder im Kinoeinsatz. Der Filmskandal von einst mit der Freigabe ab 18 Jahren ist nun frei ab 12; vermutlich aber auch nur deshalb, weil ein Interesse von Zwölfjährigen für einen solchen Film eher unvorstellbar ist.

Fellinis episodisches Bewegtbild-Fresko in schicker Schwarz-Weiß-Ästhetik und zeittypischen Breitwandkompositionen folgt dem Starjournalisten Marcello Rubini (Marcello Mastroianni), der rastlos allem nachstellt, was prominent ist und eine Geschichte mit pikanten Details verheißt. In seinem Kielwasser schwirren die Fotografen, immer bereit auf ihren Vespas die Verfolgung aufzunehmen und mit der Kamera einen Schuss zu landen, der sich an die Weltpresse verkaufen lässt.

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Zwei Kinder, die von einer Marienerscheinung berichten, geraten ebenso ins Visier chaotischer Medienhysterie wie ein frisch verwitwete Ehefrau, deren Mann Selbstmord beging, oder die blonde schwedische Schauspielerin (Anita Ekberg), die nur deshalb Momente der Ruhe findet, weil sie schneller läuft als ihre Verfolger. Nur Marcello ist ihr gewachsen und ein verbotener Kuss im Trevi-Brunnen wird zum ikonografischen Bild einer auf den Kitzel des Augenblicks fixierten Lebensüberdrüssigkeit.

Fellini zeigt eine herzlose Gesellschaft, die nur am schönen Schein interessiert scheint und Gefühle in ruheloser Zerstreuung ertränkt. In den Cafés und Bars an der Via Veneto betreibt man den Jahrmarkt der Eitelkeiten, die sich später in der Nacht auf enthemmten Partys in beliebigen Seitensprüngen und orgiastischen Satyrspielen entladen. Einmal zwingt Marcello, volltrunken zum Dompteur eines Gelages aufgestiegen, eine junge Frau zwischen seine Beine und reitet auf ihr wie auf einem Pony; später entleert er die Federn eines Kissens über ihr und lässt sie gackern wie ein Huhn. Eigene Momente der inneren Einkehr, des Zweifels am Tun perlen ab am Desinteresse, das er selber mit seinen Reportagen immer weiter vorantreibt – und aus dem er nun selber keinen Ausweg mehr findet.

Das Radikale von einst ist zum kollektiven Verhaltensmuster geworden

Einen Dokumentarfilm über das Leben nannte Fellini diesen Film, in dem er mit temperamentvollem Übermut Schickeria und Jetset als entfesseltes Kabinett der Kuriositäten zeigt, das nur 15 Jahre nach Ende des Krieges als geschlossene Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft die Fantasien der Außenstehenden befeuert.

Indem Tabus ins Blitzlicht der Kameras gezerrt werden, markiert „Das süße Leben“ den Beginn des dekadenten Skandalfilms europäischer Prägung, der im Zuge der 60er Jahre und durch die gesamten 70er Jahre immer mehr selber zur Kuriosität seiner Skandalsucht pervertiert.

Aus heutiger Sicht fällt auf, dass ausnahmslos Erwachsene Provokation und Tabubruch betreiben, weil Jugendkultur als Gegenentwurf eines sich selbst genügenden Bürgertums noch nicht etabliert ist. Das Radikale von einst wirkt heute eher kindisch, die Fotogier der Paparazzi ist durch Drohnen und omnipräsente Handykameras zum kollektiven Verhaltensmuster geworden. Jeder stellt sich fürs Internet dar und filmt ungeniert, wo Wegschauen oder Hilfeleistung angebracht wären.

„La Dolce Vita“ ist insofern mehr denn je ein Spiegel unserer Zeit, gewandelt haben sich lediglich die Stilmittel, die Frisuren und Garderoben und das Make-up der Frauen. Vielleicht deshalb aber ist er immer noch verführerisch schön – und geradezu unverschämt unterhaltsam.

„Das süße Leben“ lauft ab Freitag, 15. Juli, im Kölner Filmhaus.

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