Die Wahl-Kölner OK Kid versammeln auf dem „Stadt ohne Meer“-Festival die Hoffnungsträger der deutschen Indie-/Pop-Szene – und die wissen zu überzeugen.
„Stadt ohne Meer“-FestivalEine Ode an Köln

Berq trat beim „Stadt ohne Meer“-Festival am Kölner Tanzbrunnen auf.
Copyright: Kevin Goonewardena
„Das wird die einzige Zugabe heute Abend sein.“ Es ist kurz vor 22 Uhr, als vom Band „Tommi“ erklingt und tausende Menschen sich im Tanzbrunnen in den Armen liegen, schunkeln und diesen einen Song mitsingen, diese Ode an die Stadt von Annenmaykantereit, als Berq, der letzte Künstler des Abends, die Bühne verlässt – denn in Deutschland herrscht Nachtruhe.
Berq ist der vielleicht spannendste Popmusiker, den dieses Land in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat, und dieser vielleicht spannendste Musiker hat soeben sein Set mit „Rote Flaggen“ beendet, seinem Durchbruch-Song über die Warnsignale in einer Beziehung, die er nicht sehen wollte, der Ende 2023 in die Top 5 der Charts geklettert und mit Gold ausgezeichnet wurde.
Rote Flaggen zu roten Lichtern auf der Bühne, die Konkurrenzveranstaltung am Rhein schaue er sich vielleicht an, lässt der Sänger wissen. Gehe man denn da hin, wenn man cool ist? Er habe sich das vorher draußen einmal angeguckt und das Gefühl, es handele sich eher um Mallorca-Publikum. Die Antwort der Besucher bleibt wenig aussagekräftig, der Ausgang offen.
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Spiel aus Licht und Schatten
Berq spielt Stücke, die „Tourette“, „Echo“, „Mein Hass tritt die Haustür ein“ oder „Piouretten“ heißen, er besingt toxische Beziehungen und Trennungsschmerz, Eifersucht und Hilflosigkeit, die Liebe, die Wut, die Oma, den Opa. Seine persönlichen Songs machen ihn nahbar, seine Stimme ist einzigartig, fesselnd. Seine Musik nicht zu kategorisieren, die Performance aus Licht, Nebel und Schatten heben ihn heraus, sie verleihen ihm einen fast gottgleichen Nimbus.

Das Publikum feierte beim „Stadt ohne Meer“-Festival.
Copyright: Kevin Goonewardena
In der ersten Reihe wird gekreischt, es fliegen Blumen, hinten liegen sich die Menschen in den Armen. Manche haben Tränen in den Augen. Der Auftritt des Künstlers Berq beruhigt auch die Energie aus dem des vorherigen Künstlers.
Du bist so hässlich und grau,ich glaub, du stehst auf Beton.Ich bin immer noch in dir drin,bin gerade eben erst gekommen, lass kein Wort auf dich kommen,an welchen Ort ich auch komm
Und auch der hat in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt. Das aktuelle Album des Münsterländers Souly, „traence“, belegte Platz 1 in den Charts. Das ist relativ überraschend, denn der Sound und die visuelle Ästhetik des Musikers ist in der Rapszene durchaus umstritten: „traence“ wirkt wie ein DJ-Set, es ist atmosphärisch, hypnotisch, von einer durchgehenden Energie. Die Texte kryptisch, die Optik irgendwo zwischen 90er-Rave-Ästhetik, Rock und Industrial – Rap-Gatekeeper und solche, die behaupten, deutsche Rapper seien nicht innovativ, würden stattdessen in Amerika klauen, tun sich mit derlei Experimenten schwer. In Köln hingegen wird gefeiert, gemosht, geravt.
Eine Ode an Köln
Auch der Name des Festivals ist eine Ode an Köln, eine Ode der Gießener Band OK Kid, in deren Heimatstadt das Festival gegründet wurde und die sich mittlerweile seit 12 Jahren als Wahl-Kölner bezeichnen können. 2024 hat das Trio das Festival zum ersten Mal im Kölner Tanzbrunnen veranstaltet.

Paula Carolina beim Stadt ohne Meer-Festival am Kölner Tanzbrunnen
Copyright: Kevin Goonewardena
Deren Sänger Jonas wirbelt dann auch auf der Bühne, folgerichtig bei Paula Carolina, noch so eine Sängerin, die man unbedingt verfolgen sollte. „Es regnet Hirn“ heißt das Stück, das die gebürtige Hannoveranerin und OK Kid 2023 gemeinsam aufgenommen haben.
Die Berliner Rapperin Wa22ermann, der Musikjournalist Jan Kawelke, der seit ein paar Jahren unter seinem Alias Bruno Kawelke Musik macht, Pop-Sängerin Dilla oder Cage, die das Rolling Stone Magazin mit Beyoncé vergleicht: Mit dem Festival geben OK Kid einer sorgsam kuratierten Auswahl an deutschsprachigen Indie-/Rap- und Pop-Künstlern und -künstlerinnen eine Bühne, denen die Zukunft gehört.