TV-Doku über Merkel„Es ist einzigartig, wie sie aus der Politik geschieden ist“

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Merkel-Doku

Herr Körner, es gibt viele Filme über Angela Merkel. Warum haben Sie sich entschieden, einen weiteren zu drehen? Was war Ihr Ansatz?

Torsten Körner: Zum einen wollte ich einen Film anbieten, der anders gelagert ist als klassische politische Porträts. Derer haben wir zuhauf gesehen in den letzten fünf, sechs Monaten ihrer Amtszeit. Da wurde Merkel von links und rechts politisch eingeordnet, und es gab einen Off-Sprecher, der auch noch mal eine Kommentierung vorgenommen hatte. Davon wollte ich mich mit der Erzählung unterscheiden. Ich wollte die Zuschauer einladen, sich auf eine Zeitreise mit uns zu begeben in die Biografie und politische Karriere von Angela Merkel. Und zugleich wollte ich Zeit als knappe politische Ressource analysieren, aber auch als Stilmittel für Angela Merkel, die auf eine ganz eigene Art und Weise mit Zeitnot umgegangen ist. Dieses Zeitdrama in den Zeitläuften wollte ich erzählen. Das Ganze sollte ein politisches Roadmovie sein, eine Reise durch verschiedene Stationen entlang des Weges, den sie genommen hat.

Sie sagt an einer Stelle zu Ihnen „Wird Ihnen das nicht langweilig, sich immer nur mit mir zu beschäftigen?“ Offensichtlich nicht. Warum nicht?

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Es steckt ein gewisser Trugschluss in der Frage. Denn sich mit Angela Merkel zu beschäftigen, heißt sich einerseits mit Deutschland, aber auch mit Europa und der ganzen Welt zu beschäftigen. Und das heißt, zu versuchen zu verstehen, wie die Welt tickt, welche Probleme wir haben und wie wir sie lösen können. Deshalb ist Beschäftigung mit Angela Merkel nicht die Beschäftigung mit einer privaten Person, sondern mit der ganzen Welt.

Sie haben gesagt, man komme ihr nur nahe, wenn man ihr nicht nahekommen wolle. Wie meinen Sie das?

Wenn ich sehr private Fragen gestellt hätte oder aufs Gefühlige oder Emotionale herausgegangen wäre, hätte ich diese Politikerin verfehlt, denn das ist nicht ihre Lebens- und Berufsauffassung. Sie hat ein Privatleben, das sie schützt, und wenn man ihr signalisiert, dass man das respektiert, signalisiert man ihr gleichzeitig, dass man sie verstanden hat. Wenn man ihr nahekommen will, tut man gut daran, Menschen zu fragen, die ihr schon nahestehen und ihr die Nähe nicht aufzwingen müssen. Zudem sucht man all das Material zusammen, was es öffentlich ja gibt, was aber aus der tagesaktuellen Berichterstattung sofort wieder rausfällt.

Weil Politik sehr schnelllebig ist?

Politik ist ein sehr gegenwartsfixiertes Geschäft. Wenn man sich Mühe gibt, als Erzähler tief in die Archive einzutauchen und sich ein eigenes Gedächtnis aneignet, erarbeitet man sich ein Stück ihres Lebens, über das sie selbst gar nicht mehr verfügt, weil sie zwangsläufig diese ganzen Sachen hinter sich lassen musste in ihrer Profession als Politikerin. Wenn Sie sich auf eine distanzierte Art und Weise, aber engagiert in das Material begeben und es verdichten, kann man wahnsinnig viel über diese Frau erfahren. Man kann sie in diesen Dokumenten als Mensch entdecken.

Merkels bekannter Satz „Sie kennen mich“ spielt in ihrem Film auch eine Rolle. Zugleich sagte eine interviewte Schülerin, Merkel sei immer da gewesen, aber sie wisse eigentlich nichts über sie. Was stimmt?

Es gibt zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen über Angela Merkel. Die einen sagen, sie ist jenseits der Kameras nicht so viel anders als privat. Und es gibt diejenigen, die - wie auch Ulrich Matthes in unserem Film - betonen, dass die öffentliche Person komplett anders ist als die private. Ich denke, beides ist auf eine gewisse Art und Weise richtig. Das macht auch genau das Spannende an Angela Merkel aus, weil man sie als professioneller Beobachter nie wirklich zu fassen bekommt und immer mutmaßt, es könnte noch mehr dahinterstecken. Aber dem ist gar nicht so. Ich glaube, sie ist eine sehr integre und mit sich im Reinen befindliche Persönlichkeit, die sich nicht aufspalten muss, sondern die sehr genau kontrolliert hat, was sie über ihr Privatleben in der Öffentlichkeit verlauten lassen will. Das hat sie sehr geschickt und klug getan.

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Wie wichtig war es Ihnen, das dennoch vorhandene Spannungsfeld zwischen privater und öffentlicher Person zu zeigen?

Es war mir sehr wichtig, die Spannung zwischen der öffentlichen Person und der privaten Person zu bedenken. Ich glaube, viele politische Dramen und Abstürze rühren daher, dass die Politiker diese Spannung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten nicht mehr aushalten, beziehungsweise das eine mit dem anderen verwechseln und daran zu Grunde gehen. Das kann man ja etwa in der Causa Helmut Kohl sehen. Und auch Gerhard Schröder hat Distanzprobleme, was das öffentliche und private Rollenmuster seiner Biografie angeht. Sie hat es sehr klug gemacht, die beiden Bereiche zu trennen und sie doch so eng zu führen, dass man nie das Gefühl hat, das ist eine gespaltene Persönlichkeit. Ich wollte mit dem Film erzählen, dass dieses Ausbalancieren eine fortwährende Aufgabe für Politiker ist.

Torsten Körner_dpa

Torsten Körner

Haben es Frauen in der Politik doppelt schwer, wenn es um die Frage geht, ob man auch den Menschen durchscheinen lassen sollte?

Ja, Theresa May sagt es ja auch: Du kannst als Frau nicht gewinnen, wenn es um Gefühle geht. Weil männliche Politiker das immer skandalisieren, wenn sie selbst aber Gefühle zeigen, wird es als Ausweis ihrer reichen Persönlichkeit gedeutet. Und Frauen haben zudem immer mit dem grundsätzlichen Problem zu tun, dass Männer sich rausnehmen, den Körper der Frau zu skandalisieren, überhaupt zum Thema zu machen. Sie tun so, als seien die Angriffe gegen die Körper der Frauen politische Argumente und versehen die Existenz von Frauen in der Politik mit Fragezeichen. Auch Angela Merkel hat als junge Ministerin in der alten Bonner Republik diese Zumutungen überwinden müssen.

90 Minuten sind bei einer solch langen politischen Karriere schnell gefüllt. Nach welchen Kriterien haben Sie ausgewählt, was Sie zeigen und was nicht?

Man sollte persönliche Interessen konsequent verfolgen, sie nicht zum alleinigen Maßstab machen, aber ihnen doch ein starkes Gewicht einräumen. Es gab ja viele Merkel-Filme und diesem Vollständigkeitswahn, dem Anspruch, alles erzählen zu können, wollte ich nicht erliegen. Weil es eine Illusion ist, wenn man glaubt, man könne in 90 Minuten alles abhandeln und zwar so, dass es intellektuell redlich ist. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit, und man sollte dem Zuschauer nicht vorspielen, dass man es könnte.

Torsten Körner ist ein preisgekrönter Autor und Dokumentarfilmer („Schwarze Adler“, "Die Unbeugsamen"). Sein Film „Angela Merkel – Im Lauf der Zeit“ ist bei Arte am 22. 2., 20.15 Uhr, zu sehen. Das Erste zeigt sie  am 27. 2. um 21.45 Uhr im Ersten. Zudem steht sie in den Mediatheken von ARD und Arte zum Abruf bereit.

Wie haben Sie Ihre Gesprächspartner ausgewählt, es fällt auf, dass sehr wenige CDU-Politiker zu sehen sind.

Ich wollte abseits der parteipolitischen Tableaus erzählen. Und ich wollte Menschen verschiedener Generationen und Herkünfte interviewen. Ich hätte mir auch eine Variante vorstellen können, in dem nur Frauen Gesprächspartnerinnen gewesen wären. Aber in dem Moment, wo man eine Zusage von Barack Obama bekommt, ist der Plan natürlich gekippt. Es ist dennoch ein Film mit vielen jungen, starken Frauen. Wenn man über Angela Merkel filmt, sollte man zudem einen internationalen Blick auf sie zeigen, sonst wäre sie gar nicht zu verstehen. Sie ist ja nicht nur 16 Jahre lang die deutsche Bundeskanzlerin gewesen, sondern auch eine verlässliche Partnerin für das Ausland. Sie ist eine überzeugte Multilateralistin, und man hätte viel unterschlagen, wenn man diese Perspektive nicht auch abgebildet hätte.

Sie hat sich nun vollständig aus der Politik zurückgezogen. Passt das in das Bild, das Sie von ihr gewonnen haben?

Ich finde das sehr stringent und im Verlauf ihres Lebens sehr konsequent. Sie hat sehr früh gesagt, dass sie selbstbestimmt aus der Politik ausscheiden will. Sie ist die erste Bundeskanzlerin, der es gelungen ist, vom Amt loszulassen. Das heißt, dass sie eine größere innere Freiheit gegenüber der Politik hat und nicht einem Suchtverhalten erliegt wie Helmut Kohl oder viele andere, die von der Droge Politik nicht lassen konnten. Das Gesunde an der Art und Weise ihres Lebens war, dass sie sich immer kleine Freiräume und Reserven hat erhalten können, die sie gegen die große Tagesversklavung in der Politik retten konnten. Wenn man auf dem Niveau Politik macht, wie sie das gemacht hat, und das können nur wenige Menschen auf der Welt nachfühlen, ist es schon ziemlich einzigartig, wie sie aus der Politik geschieden ist.

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