„Ethno“-Macher im Interview„Das Bild sollte bunt und echt sein“

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WDR-Serie Ethno

Ben (Benaissa Lamroubal, Hauptdarsteller der Serie, l.) und sein Migrationshintergrund (Waldemar Kobus)

  • Der WDR hat zusammen mit dem Comedy-Ensemble „Rebell-Comedy“ die Serie „Ethno“ produziert.
  • Sie ist Vorreiter in Sachen Diversität. Sowohl im Produktionsteam als auch vor der Kamera sind viele unterschiedliche Kulturen vertreten.
  • Im Interview sprechen die Produzenten Humaam Mazyek und Laila Bounouar sowie Redakteurin Elke Thommessen über den Ansatz und die Absicht der Serie.

Frau Thommessen, wie ist die Idee zu „Ethno“ entstanden? ELKE THOMMESSEN: Wir arbeiten schon sieben Jahre mit „Rebell-Comedy“ zusammen, haben ganz viele Shows produziert und teilweise kleinere Einspieler gemacht. Vor drei Jahren haben wir mit Babak Ghassim (Gründer von „Rebell-Comedy“ und Autor, Anm. d. Red.) gesprochen, ob wir uns auch mal in eine andere Richtung entwickeln wollen. Dann wurde die Idee geboren, sich mal an einer fiktionalen Serie auszuprobieren. Da sind wir dann vor drei Jahren mit gestartet.

Herr Mazyek, Frau Bounouar, wie ist es dazu gekommen, dass Sie beide das Produzenten-Duo gebildet haben?

HUMAAM MAZYEK: Wir hatten vorher schon diverse Projekte für „Rebell-Comedy“ gemacht und haben die Serie jetzt von Beginn an begleitet. Wir konnten uns früh damit befassen, wo es langgeht und welchen Umfang es annimmt. Aber auch wir mussten an der Aufgabe wachsen.

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Inwieweit haben Sie vom WDR freie Hand bekommen?

MAZYEK: Wir haben sehr viel freie Hand bekommen, obwohl wir durchs Budget und Zeiträume natürlich Rahmenbedingungen gehabt haben. Elke (Thommessen, Anm. d. Red.) hat uns immer ermuntert, uns auszutoben und unsere eigenen Facetten mit einzubringen. Wir haben viel aus unserem Kosmos geschöpft.

LAILA BOUNOUAR: In der Zusammenstellung des Teams hatten wir auch freie Hand. Es war super. Wir konnten uns wirklich die Leute aussuchen, von denen wir der Meinung waren, sie in unser Team passen und an die Produktion glauben.

Sie hatten ein sehr diverses Produktions-Team. War das einer der Wege, um möglichst viel Authentizität in die Serie zu bekommen?

BOUNOUAR: Es ging nicht nur um die Herkunft, sondern auch um das Alter. Außerdem haben wir darauf geachtet, dass wir sowohl Frauen als auch Männer ausgeglichen im Team hatten. Wir wollten auch verschiedene Kulturen dabei haben und Typen von Menschen.

THOMMESSEN: Wichtig war uns allen, dass es nicht der Blick der Mehrheitsgesellschaft auf Herkunftsfamilien, die wir so nicht kennen, ist. Da können Laila und Humaam ein Lied von singen, wie aufwendig es war, die Szenenbilder auch so zu gestalten, dass jeder, der aus einer marokkanischen Herkunftsfamilie kommt, sagt: Genau so sieht es bei uns aus. Aber nicht, wie man sich als deutsch-deutscher Mensch ein orientalisches Wohnzimmer vorstellt. Das war genau das, was wir nicht wollten.

MAZYEK: Es ist nicht so, dass wir auf Teufel komm’ raus Vielfalt oder Diversität reinpressen wollten. Das Bild, das wir hatten, sollte bunt und echt sein. Dafür brauchst du Leute, die wissen, welche Farbtöne und Nuancen es gibt. Wie sieht ein „marokkanisches“ Wohnzimmer aus? Wie spricht der Vater? Das sind die kleinen Farbtupfer, die am Ende den Mehrwert darstellen.

Zu Serie und Personen

„Ethno“ ist die erste fiktionale Serie des Comedy-Ensembles „Rebell-Comedy“. Es geht um Ben, einen Studienabbrecher, der pleite ist . Um seine Schulden beim Bafög-Amt zurückzuzahlen, landet er in der Comedy-Szene. Die lockt mit schnellem Geld – wenn er bereit ist, den Ethnokasper zu spielen.

Humaam Mazyek und Laila Bounouar haben die Serie produziert, Elke Thommessen hatte die Redaktion und Gesamtleitung beim WDR. (lei)

Wie ist die Idee gekommen, Bens Migrationshintergrund zu personifizieren?

THOMMESSEN: Das war eine geniale Idee von Babak Ghassim. Die Idee war, Menschen damit zu konfrontieren, wie viele Stereotype sie im Kopf haben, wenn sie einen Menschen sehen. Diese ganzen Stereotype wollten wir durch einen Migrationshintergrund visualisieren.

BOUNOUAR: Die Autoren hatten lange an sehr aufwendigen „Monstern“ festgehalten und sich an „Da wo die wilden Kerle wohnen“ orientiert. An dem Monster, das da schlummert, dass niemand sieht, aber das es irgendwo gibt. Irgendwann haben wir gesagt, es wird ein Mensch, wir mussten uns nur noch überlegen, wie dieser Mensch aussieht. Manche wollten, dass er ein Fell bekommt und nach einem Bären aussieht, weil man mit Ausländern oft Behaarung verbindet. Wir haben das dann ein bisschen auf die Schippe genommen und uns überlegt, wie man ihn einkleiden kann und ihn so angezogen, wie unsere Väter aussahen, als sie in den 60ern und 70ern gekommen sind

MAZYEK: Es war ein total spannender Prozess. Es gibt nicht »den« Migrationshintergrund. Das ist ein abstraktes Konstrukt.

Wie bewusst haben Sie Klischees eingebaut?

BOUNOUAR: Nehmen wir das Beispiel des Callcenters. Es ist wirklich so, dass viele Freunde von uns im Callcenter gearbeitet haben. Das ist der Gag daran. Wir haben bestimmte Sachen mit der Serie auf die Schippe genommen. Wir hatten die Chance, die ganzen Klischees, die wir teilweise selber lustig finden, mal zu bedienen.

MAZYEK: Wir haben auch viele Klischees gebrochen. Das ist für mich ganz wichtig. Es ist immer eine Frage, wie du es erzählst. Wenn du ein Klischee erwähnst und überspitzt darstellst, dann kann man gemeinsam über etwas lachen. Ich kann mich aber auch drüber lustig machen und es kriegt eine ganz befremdliche Klischee-Bedienung.

THOMMESSEN: Callcenter und Klischee ist auch so eine Sache. Man braucht sich auch nicht in die eigene Tasche zu lügen. Ich glaube, dass es in der Geschichte von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auch in der zweiten und dritten Generation immer noch schwerer ist, einen tollen Studenten-Job zu finden. Es wäre fast unrealistisch gewesen, wenn Ben einen tollen Studenten-Job bei Ford gehabt hätte. Deswegen war es mir wichtig, nicht das Bild zu etablieren, dass in Deutschland alle dieselben Chancen hätten.

Wie wichtig war Ihnen ernste Gesellschaftskritik trotz des Comedy-Genres?

BOUNOUAR: Es war sehr wichtig. So lustig Waldemar (Kobus, Anm. d. Red.) den Migrationshintergrund auch spielt, so wichtig war es für uns, dass das thematisiert wird und dass wir darauf hinweisen. Auch wenn es auf eine lustige Weise ist. Ethno ist nicht einfach eine Comedy-Serie, es ist eine „Dramedy“.

THOMMESSEN: Ich mache den Job in der Unterhaltung seit 15 Jahren und habe die ganze Entwicklung miterlebt. Es fing damals mit Ethno-Comedy so an, dass ein Programm gemacht wurde, dass eher ein deutsch-deutsches Publikum amüsieren sollte. Wo sich über Stereotype lustig gemacht wurde. Aber das war keine Comedy, wie sie „Rebell-Comedy“ macht. Das ist Stand-Up-Comedy für die Community, ohne dass man sich über andere stellt oder sich besser findet.

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Was war die Idee hinter Samira, die sehr modern dargestellt ist?

BOUNOUAR: Babak Ghassim hat sich zu Beginn sehr an seiner Umgebung orientiert und an den Frauen, die er kennt. Die Frauen spielen in den Familien eine wichtige Rolle und sind starke Persönlichkeiten. Weisen ihre Brüder in die Schranken oder sind das Bindeglied zwischen Familie und einem vielleicht etwas rebellischeren Bruder. Ein Mädchen mit Kopftuch wird in anderen Serien oft problembehaftet und kompliziert dargestellt.

MAZYEK: Ich finde es gar nicht so progressiv. Es ist schön, dass es auffällt und als progressiv wahrgenommen wird. Aber das ist Realität. Man könnte es auch andersrum deuten und sagen: Schade, dass es als progressiv wahrgenommen wird. Denn ich kenne so viele junge Frauen, die genau so sind und voll durchstarten wollen. Es freut mich, dass wir das ein bisschen darstellen können. Aber es ist auch ein Stück weit Normalität.

THOMMESSEN: Das möchte ich auch ganz dringend unterstreichen. Ich fand es sehr charmant, jetzt mal so einen Typ Frau anders darzustellen als das Klischee. Da gibt es ganz viele Klischees, die Leute im Kopf haben. Und ich verurteile das noch nicht einmal, weil es sehr damit zusammenhängt, welches Bild immer wieder in die Medien getragen wird. Deswegen finde ich es super, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Gegenentwurf gezeigt wurde, den es auch in der Community gibt. Das ist eine Facette, die medial in Deutschland kaum stattfindet. Es ist super, dass nicht einmal die Frage nach dem Kopftuch gestellt wird. Es steht einfach im Raum und jeder kann damit machen, was er will.

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