AbstimmungDie Schweizer wollen das öffentlich-rechtliche Fernsehen abschaffen

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Das überparteiliche Komitee „Nein zu No Billag!“ setzt sich gegen die Initiative ein.

Das überparteiliche Komitee „Nein zu No Billag!“ setzt sich gegen die Initiative ein.

Roger Köppel, Verleger und Chefredakteur der Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ und Nationalrat für die Schweizerische Volkspartei (SVP), ist kein Freund leiser Töne. Seine Wortwahl in einem Editorial zur anstehenden Volksabstimmung über die Zukunft der Rundfunkgebühr in der Schweiz ist dennoch erstaunlich: „In der Geschichte haben freie Gesellschaften immer auch ein freies Medienwesen gehabt. Vor allem autoritär regierte Länder pochten auf die Vormacht des Staates im Rundfunkbereich. Denken wir an die »Volksempfänger« von Propagandaminister Goebbels in Nazideutschland.“

Köppels Ausfälle sind symptomatisch für eine Debatte, die das Land spaltet wie kaum etwas anderes. Keine Abstimmung der vergangenen Jahre, nicht einmal die umstrittene Initiative der SVP gegen eine sogenannte Masseneinwanderung hat solche Wellen geschlagen, was sich auch daran zeigt, dass bei der Abstimmung am Sonntag mit einer Rekordbeteiligung gerechnet wird.

Es gibt nur Ja oder Nein

Öffentlich-rechtliche Sender stehen überall in Europa unter Beschuss. In Deutschland sitzt mit der AfD erstmals eine Partei im Bundestag, die ARD und ZDF die Existenzberechtigung abspricht. Die FPÖ in Österreich wirft dem ORF in schöner Regelmäßigkeit vor, Lügen zu verbreiten, in Polen werden regierungskritische Journalisten aus den Sendern verdrängt. Doch in der Schweiz spitzt sich die Debatte nun zu. Das liegt vor allem daran, dass die Abstimmung nur Ja oder Nein kennt. Hier geht es nicht um eine Reform des Systems, am Sonntag stimmen die Schweizer darüber ab, ob sie weiterhin Radio- und Fernsehgebühren zahlen werden. Bisher sind das 451 Franken (rund 390 Euro) im Jahr. Ab Januar 2019 soll die Gebühr auf 365 Franken – ein Franken pro Tag – sinken.

Nun könnte man glauben diese Absenkung nehme den Gegnern der Gebühr den Wind aus den Segeln. Das Gegenteil ist der Fall. Denn wie auch in Deutschland vor einigen Jahren stellen die Schweizer ihr System dann auf eine Abgabe um, die nicht mehr an Geräte gebunden ist, sondern von jedem Haushalt gezahlt werden muss – unabhängig davon, ob die TV- und Radioprogramme empfangen und genutzt werden.

„Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren“ oder „No Billag“ – Billag ist der Name der Firma, die die Gebühr einzieht – heißt die Vorlage, die sich ein paar Wirtschaftsstudenten einst erdachten. Ein zentrales Argument der Initiatoren lautet: Wir wollen nur dafür zahlen, was wir selbst anschauen und hören, und nicht für das, was irgendwer anderes konsumiert. Und so entzündet sich an der Frage, wie es mit der Gebühr weitergeht, auch die Frage, in welcher Gesellschaft die Schweizer leben wollen.

Vier Amtssprachen sind schwer in ein Fernsehprogramm zu bekommen

Unser südlicher Nachbar ist in Europa ein Sonderfall. Ein Land mit rund 8,4 Millionen Einwohnern, das gleich vier Amtssprachen hat. Das hat auch weitreichende Auswirkungen auf die Medienlandschaft. Es gibt keine alle verbindende „Tagesschau“, keine Stars, die jeder kennt. Wer in der französischsprachigen Schweiz ein bekanntes TV-Gesicht ist, ist in der Deutschschweiz meist völlig unbekannt. Besonders die kleine Gruppe der Schweizer, die Rätoromanisch als Muttersprache hat, ist auf einen auf dem Solidarprinzip aufgebauten Rundfunk angewiesen. Ein profitables Radio- und Fernsehprogramm für gerade einmal knapp 0,5 Prozent der Bevölkerung zu machen, ist schlicht unrealistisch.

Anders als in Deutschland sitzen in den Kontrollgremien der SRG keine aktiven Politiker, dennoch ist der Vorwurf mangelnder Staatsferne auch in der Schweiz einer der Hauptangriffspunkte. Die rechtspopulistische SVP, stärkste Partei des Landes, trommelt da gerne mit. Die SVP-Abgeordnete Céline Amaudruz sprach von einem quasi-monopolistischen Unternehmen, das privaten Anbietern auf Staatskosten das Wasser abgrabe.

Eric Gujer, der Chefredakteur der einflussreichen „NZZ“, schrieb in einem Leitartikel, die Schweiz brauche keine Staatsmedien. Einen „staatlich orchestrierten Diebstahl“ nannte Olivier Kessler, einer der Initiatoren der Kampagne, die Gebühr gar. Eine sachliche Debatte ist da kaum möglich. Und auch wenn die „No Billag“-Befürworter behaupten, die SRG könne ohne Gebühren ja auch mit Bezahlangeboten arbeiten und der Markt werde das schon richten, steht für die Befürworter des öffentlich finanzierten Rundfunks fest: Bei einem „Ja“ zur Initiative wäre die SRG am Ende. Ein weiteres Argument der Gegner der Initiative lautet, dass vielleicht Sport- oder Unterhaltungssendungen in einem ausschließlich privaten Fernseh- und Radiomarkt zu refinanzieren wären, aber sicherlich keine guten, ausgewogenen Informationssendungen.

Es geht also ums Ganze. Das ist ein Grund, warum auch in Deutschland mit Spannung auf die Abstimmung geblickt wird. Nach außen geben sich die Chefs von ARD und ZDF allerdings gelassen. „Manche fragen: Sollte man für Qualitätsinhalte nicht allein auf die Kräfte des Marktes vertrauen? Unsere Analyse ergibt ein eindeutiges Nein“, so der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm. Und auch ZDF-Intendant Thomas Bellut betont: „ZDF und ARD sind hierzulande trotz der großen Konkurrenz mit deutlichem Abstand die meistgesehen TV-Sender – und alle Umfragen zeigen, dass eine klare Mehrheit hinter uns steht.“ Dennoch werden auch sie darauf hoffen, dass die zuletzt veröffentlichten Umfragen, die rund 60 Prozent Ablehnung der Initiative voraussagen, zutreffend sind. Sonst hat nicht nur der gebührenfinanzierte Rundfunk in der Schweiz ein Problem.

Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG)

Die 1931 gegründete SRG SSR (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) ist ein privatrechtlich organisiertes, föderalistisches Unternehmen. Die SRG ist das größte Medienhaus der Schweiz mit einem Umsatz von 1,65 Milliarden Franken. Sie finanziert sich zu 75 Prozent über Gebühren und erwirtschaftet die anderen 25 Prozent über kommerzielle Angebote. Die SRG SSR hat insgesamt rund 6000 Mitarbeiter, die für 17 Radio- und sieben Fernsehprogramme Angebote in Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch produzieren.

Die SRG SSR besteht aus vier Regionalgesellschaften, größte Unternehmenseinheit ist das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Unter diesem Dach produzieren nach der Fusion von Schweizer Radio DRS und Schweizer Fernsehen seit Anfang 2011 rund 2100 Mitarbeitende drei Fernseh- und sechs Radioprogramme sowie verschiedene Multimedia-Angebote für die Deutschschweiz.

Auch private Anbieter profitieren von den Gebühren. Rund vier Prozent der Einnahmen gehen an 34 Radio- und Fernsehsender vor allem in Berg- und Randgebieten, die nicht gewinnorientiert sind und Informationssendungen produzieren. (amb)

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