Comicautorin Marjane SatrapiDas war der Preis, den sie für ihren Weltruhm zahlte

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Marjane Satrapi

Marjane Satrapi, vor 20 Jahren wurden sie mit ihrem Comic „Persepolis“ schlagartig berühmt. Darin schildern Sie Ihre Kindheit und Jugend im Iran während der Islamischen Revolution. Wann haben Sie es zuletzt gelesen? Satrapi: Ich habe es nie wieder gelesen. Ich lese keines meiner Bücher, ich schaue mir auch keinen meiner Filme an. Ich denke dann nur, dass sie wirklich schlecht sind und bin sehr enttäuscht.

Lassen Sie uns trotzdem zurückblicken: „Persepolis“ war Ihre erste Veröffentlichung: Woher kam der Impuls, Ihre Geschichte zu erzählen?

Der kam, als ich aus dem Iran nach Frankreich emigrierte. Je weniger Menschen über eine Sache wissen, desto fester sind ihre Überzeugungen. In Frankreich wussten schon alle, wer ich bin und wie es im Iran zuging. Ich musste immer wieder meine wirkliche Geschichte erzählen. Schließlich habe ich sie aufgeschrieben, damit ich mich nicht wiederholen muss. Ich bin keine Historikerin, aber ich konnte den Menschen eine Innenperspektive aus dem Iran zeigen.

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Fanatische Bilder

Im zweiten Teil von „Persepolis“, wenn Ihre Eltern Sie als Schülerin nach Wien schicken, schildern Sie genau solche Erlebnisse.

Damals schob ich das auf Österreich. Frankreich, das Land der Menschenrechte, müsste doch ganz anders sein, viel offener. Weit gefehlt, die Franzosen hatten dieselben Fernsehbilder von Fanatikern im Kopf, wenn es um den Iran ging.

Und Sie wussten von Anfang an, dass Sie Ihre Geschichte als Comic erzählen würden?

Nein, gar nicht. Ich war keine Comic-Leserin, ich dachte das wären lustige Stories für Heranwachsende. Dann bekam ich zu meinem ersten französischen Geburtstag Art Spiegelmans „Maus“ geschenkt. Ein Schock! Schließlich kam ich ins Atelier des Vosges, wo ich all diese bekannten Comic-Künstler beobachten konnte. Comics zu zeichnen ist keine frei fließende Arbeit, man muss seine Seiten mühsam Panel für Panel konstruierten, man schuftet wie ein Mönch. Dafür ist Zeichnen eine universelle Sprache: Zeichnet man einem traurigen Mann, versteht jeder, dass das ein trauriger Mann ist. So wurde mir klar, dass ein Comic die beste Art ist, meine Geschichte zu erzählen.

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So konnten Sie Ihren neuen Mitbürgern andere Bilder vom Iran im Kopf schaffen?

Bilder sind unsere erste Sprache, sie haben etwas Universelleres als Wörter. Die Abstraktion des gezeichneten Bildes erleichtert uns die Identifizierung: Die Leute können sich ja sogar mit Mickey Mouse identifizieren.

Haben Sie „Persepolis“ zuerst einmal Ihren Eltern gezeigt?

Nein, wenn du etwas tun willst, dann musst du auch den Mut dazu haben. Ich habe ja keine Autobiografie in dem Sinne geschrieben, dass ich ein Familienproblem aufarbeite. Niemals hätte etwas geschrieben, dass meine Eltern verächtlich macht, oder auch nur unhöflich ihnen gegenüber ist. Es ist eine Geschichte darüber, wie es sich anfühlt, in einem Land zu leben, in dem sich die Dinge plötzlich verändern. Wie geht man als Kind damit um, jede Nacht damit zu rechnen, dass eine Bombe auf sein Haus fallen könnte?

Hoher Preis

War ihnen bewusst, dass Sie nach der Veröffentlichung nicht mehr in den Iran zurückkehren können?

Ja, das war mir natürlich klar. Ich liebe mein Land, ich liebe Teheran. Ich liebe den Humor, ich liebe die großen Berge. Das ist so ein wunderbar surrealistischer Ort, wie ich ihn nirgendwo sonst auf der Welt gefunden habe. Aber ich fühlte, dass es meine Pflicht war, zu erzählen, was dort passiert ist. Das war der Preis, den ich zu zahlen hatte.

Wie haben Ihre Landsleute im Iran reagiert? Konnte man das Buch auf dem Schwarzmarkt kaufen?

Oh ja! Ich erinnere mich noch, wie ich das erste Mal auf dem Schwarzmarkt gegangen bin. Das muss so 1982 herum gewesen sein. Ich hab Kassetten von Camel, Iron Maiden und den Scorpions gekauft. Ich hielt den Schwarzmarkt für den coolsten Ort der Welt. Nur weil ich in einer islamischen Republik lebte, wollte ich ja nicht den ganzen Tag lang nur Koranverse hören. Ich war eine ganz normale Heranwachsende, wollte die neuesten Nikes haben, wollte wissen, welcher Tanz und welche Band gerade in sind. Dann wurde ich 20 Jahre später selbst zum Teil des Schwarzmarktes. Das war unglaublich. Und die Reaktion der Leute? Ich habe gehört, dass sich viele in meiner Geschichte wiedererkannt haben. Anscheinend ist es mir irgendwie gelungen, den Geist meines Landes zu jener Zeit einzufangen.

Erfolgreiche Filmemacherin

Das westliche Publikum bräuchte eigentlich einen dritten „Persepolis“-Teil ...

.. aber den kann ich nicht schreiben. Spräche ich heute noch öffentlich über die Verhältnisse im Iran, wäre ich wie die Iraner in der Diaspora, die ich kennenlernte, als ich nach Frankreich zog. Die erzählten mir von einem Land, das nichts mit dem gemein hatte, in dem ich gelebt hatte. Alle Informationen, die ich jetzt habe, sind aus zweiter Hand, von Nostalgie und Gefühlen getrübt. Schlechte Voraussetzungen, um eine Situation zu beurteilen.

Deswegen wollten Sie nicht die Frau bleiben, die „Persepolis“ geschrieben hat?

Das wäre freilich viel einfacher für mich gewesen, mich als iranische Leidensfrau durch die Medien reichen zu lassen.

Stattdessen wurden sie eine erfolgreiche Regisseurin. Filme wie „Marie Curie“ haben nichts mit Ihrer iranischen Herkunft zu tun.

Wäre ich in Deutschland geboren worden, käme doch auch niemand auf die Idee, dass ich nur Filme über Angela Merkel oder die politische Situation in Deutschland drehen müsste. Kommen sie aus meinem Land, dürfen sie nur über zwei Themen reden: Die Verschleierung und die Atombombe. Wir haben doch auch das Recht, uns für andere Dinge zu interessieren. Ich habe nur 19 von meinen 50 Jahren im Iran verbracht. Warum soll mich heute noch dasselbe interessieren wie vor 27 Jahren?

Hoffnung auf Wandel

Dennoch müssen Sie hoffen, dass es einen Wandel geben wird im Iran?

Die Lage eines Landes kann man an der Lage der Frauen dieses Landes ablesen. Die Mehrheit der Studierenden im Iran sind weiblich. Das bedeutet, dass die Frauen besser ausgebildet sind als ihre Männer, ihre Brüder und Väter. Wenn Frauen anfangen zu arbeiten, werden sie wirtschaftlich unabhängig. Auf lange Sicht wird das eine Veränderung bewirken. Ich musste meinen ersten Freund im Iran heiraten, obwohl ich ihn nicht liebte – wir haben uns bald wieder scheiden lassen. Aber wir hätten sonst nichts gemeinsam unternehmen können. Heute leben junge Frauen im Iran mit ihren Freunden zusammen. Es hat sich also schon etwas verändert.

Nur sind das leider Dinge, die im Ausland kaum wahrgenommen werden.

Wir wollen eben, dass das alles ganz schnell geht. Nach dem 11. September gab es unter George W. Bush diese fatale Idee, dass Demokratie etwas ist, dass man den Menschen gibt, in dem man Bomben auf sie wirft. Leider sitzt der Iran auf dem größten Erdgasvorkommen der Welt und bleibt schon deshalb im geopolitischen Fokus. Gesellschaftliche Veränderungen kommen immer aus der Mittelschicht, die Armen haben nicht die Zeit und die Energie, sich Veränderungen auch nur vorstellen zu können, und die Reichen wollen keine Veränderung, für sie läuft ja alles bestens. Versucht man, wie die USA, den Demokratisierungsprozess mit Sanktionen zu erzwingen, zerstört man genau diese Mittelklasse und wir haben noch mehr Menschen, die mühsam ihre Miete zusammenkratzen müssen und nicht mehr die Muße haben, über ihre Redefreiheit nachzudenken.

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