Pop-Art-Künstler Claes OldenburgErfinder der Kölner Eistüte am Neumarkt ist tot

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Claes Oldenburg

Köln – „Ich mag keine Kunst, die im Museum nur auf ihrem Hintern sitzt.“ So lautet der berühmteste Satz aus Claes Oldenburgs berühmtem, im Jahr 1961 verfassten Manifest, und es geschieht dem vollmundigen Provokateur von damals selbstredend ganz recht, dass ihn dieser Satz schon vor Jahrzehnten einholte, um ihn, wie man in den USA, Oldenburgs Wahlheimat, sagt, zu beißen – wenn auch nicht notwendig in den Allerwertesten.

Bei der Eröffnung der ihm gewidmeten Ausstellung „Claes Oldenburg: The Sixties“ im Kölner Museum Ludwig saß der damals 83-Jährige jedenfalls sehr entspannt auf seinem Stuhl und trug mögliche Bisswunden mit Fassung, Heiterkeit und, ja, vielleicht sogar mit Stolz. Warum auch nicht: Gemeinsam mit Andy Warhol und Roy Lichtenstein bildete er ein Dreigestirn der Pop Art, seine gigantischen Skulpturen von Alltagsdingen sind weltberühmt.

Das Kölner Museum Ludwig besitzt eine der größten Oldenburg-Sammlungen

Inspiration hatte sich der schwedische Diplomatensohn im New Yorker Alltagsleben geholt. Seine frühe Werkgruppe „The Street“ war eine wüste Anhäufung aus Papp- und Papierobjekten, die teilweise in Fetzen von Decken und an Wänden hingen. Diese Schnappschüsse von den Straßen der Lower East Side dienten dem kostümierten Oldenburg zugleich als Bühnenbild, in dem er aus Büchern seiner Heimat rezitierte. 1961 eröffnete er „The Store“, einen Krämerladen, in dem er rohe, aus Gips, Farbe und Draht gefertigte Alltagsgegenstände zum Kauf anbot – ein erster Vorgeschmack auf die wegweisenden, weil übergroßen „Two Cheeseburger with Everything“.

Der frühe Oldenburg war von Künstlern wie Allan Kaprow beeinflusst, die dem Erhabenen des Abstrakten Expressionismus die Unmittelbarkeit des Lebens entgegensetzen wollten. Er fand seinen eigenen Weg, indem er banale Dinge vergrößerte und in weiche, entfernt an die Stofflichkeit des menschlichen Körpers erinnernde Skulpturen verwandelte. Ab 1962 begannen schlappe Riesentortenstücke, Eistüten und sitzsackähnliche Telefonkästen seine Ausstellungen zu füllen. 1964 ergoss sich Textilketchup über eine gigantische Schale Pommes, drei Jahre später quoll ein Aschenbecher mit Kippen über.

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Oldenburgs Aufstieg zu Weltruhm begann allerdings erst später, in den 1970er Jahren, als er alltägliche Gegenstände auf monumentale Größe aufblasen und in Parks und Innenstädten aufstellen durfte. Es sind moderne Klassiker darunter, wie die vom Himmel gefallene Spitzhacke in Kassel und die Wäscheklammer in Philadelphia, mit der Oldenburg das Kunststück gelang, sowohl Constantin Brâncusis kunsthistorischen Meilenstein „Der Kuss“ wie auch die Jahreszahl des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs zu zitieren. Andere Werke wirken dagegen auch schon mal wie etwas geschmacklose Siegessäulen der Populärkultur.

Selbst die Kölner Eistüte, die Oldenburg gemeinsam mit seiner 2009 verstorbenen Ehefrau Coosje van Bruggen entwarf, ist nicht unumstritten – dabei variiert Oldenburg mit ihr eine architektonische Form, die rein zufällig mit den lokalen Domspitzen zusammenfällt. Und natürlich kann man die „Dropped Cone“ als zustimmendes Nicken von oben deuten: Auch der liebe Gott liebt Eiscreme und die verspielte Form der Pop Art sowieso.

Seine gigantische Kölner Eistüte steckt auf dem Dach der Neumarkt-Galerie

„Ich hätte Köln gerne mit Eistüten gepflastert“, sagte Oldenburg bei seinem letzten Besuch in Köln. Aber im März 2001 habe dafür das Geld gefehlt, weshalb es bei der einen, mit der Kugel voran im Hausdach der Neumarkt-Galerie steckenden Tüte blieb. Dabei ist es gar nicht mal abwegig, sich Oldenburgs monumentale Werkphase als biblische Plage vorzustellen: Wenn gigantische Eistüten, Pommes frites und Cheeseburger vom Himmel fallen, schlägt das letzte Stündlein der Überflussgesellschaft.

Die Eistüte ist der sichtbarste Ausdruck dafür, dass Köln eine Oldenburg-Stadt ist. Sie besitzt eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen seiner Werke – der Pop-Art-Liebe Peter und Irene Ludwigs sei Dank. Sie begannen früh, Oldenburgs Arbeiten zu sammeln, und sorgten dafür, dass maßgebliche Ensembles zusammenblieben. Beim Wiedersehen in der Kölner Oldenburg-Retrospektive staunte man, wie gut diese Feier des Gewöhnlichen gealtert war. Selten hat man so gute pappige Pommes gesehen; der überrumpelnde Retrochic der Ausstellung tat ein Übriges.

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Dropped Cone von Claes Oldenburg

In den 1960er Jahren hatte Oldenburg die Idee, einen riesigen Teddybären im New Yorker Central Park zu errichten. Sie wurde nicht verwirklicht, aber vom Marshmallow-Mann in der Hollywood-Komödie „Ghostbusters“ beerbt. So dankte die Populärkultur ihrem prominenten Verfechter, gerade weil sie die groteske Seite seiner spielerischen Kunst nicht übersah.

Claes Oldenburg selbst sagte einmal, er habe sich alles schon in der Kindheit ausgedacht, als er sich mit seinem Bruder auf eine Fantasieinsel flüchtete. Vielleicht kehrt er jetzt auf dieses Eiland zurück. Am Montag ist Claes Oldenburg gestorben. Er wurde 93 Jahre alt. 

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