Polizeigewalt oder berechtigter Einsatz? Folgen eines Videos

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Düsseldorf – Was passierte am Samstagabend in der Düsseldorfer Altstadt? Ein 28-Sekunden-Video zeigt Szenen, selbst Innenminister Herbert Reul (CDU) zeigte sich beim ersten Anblick „erschrocken”. Tatsächlich gab es laut Ermittlern eine Vorgeschichte - die nicht im Video zu sehen ist. Die Debatte um den Polizeieinsatz gegen den 15-Jährigen, der von einem Beamten mit dem Knie am Kopf zu Boden gedrückt wurde, läuft dennoch weiter auf Hochtouren. Vergleiche zum US-Amerikaner George Floyd werden gezogen.

Das Video aus Düsseldorf - aufgenommen von einem Augenzeugen - hatte sich am Wochenende rasant im Internet verbreitet. Man sieht den 15-Jährigen gefesselt am Boden, ein Polizist kniet auf seinem Rücken, der andere auf seinem Kopf. Aus dem Hintergrund hört man die Stimme eines unbeteiligten Mannes, vermutlich des Filmers: „Hol' man dein Knie runter... Bruder, das ist nicht lustig.”

„Auch ich habe mich erschrocken”, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am Montag über den ersten Moment, in dem er das Video sah. Er habe bereits einen Zwischenbericht zu dem Vorfall bekommen. Demnach sei die Polizei am Samstagabend zunächst wegen zehn Randalierern zu einem Schnellrestaurant gerufen worden. Der 15-Jährige, der offenbar nichts mit dem eigentlichen Einsatz zu tun hatte, habe sich eingemischt und einen Beamten angegriffen.

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Ein Sprecher der Düsseldorfer Polizei bestätigte auf dpa-Anfrage, dass der 15-Jährige sich während der Maßnahmen gegen die Randalierer „physisch” eingemischt habe. Laut mehrerer Zeugen habe er die Beamten bepöbelt, Faustschläge angedeutet und schließlich Polizisten auch körperlich attackiert. Tatsächlich war der 15-Jährige nach dpa-Informationen bereits polizeibekannt. Davon, dass er die Beamten am Samstag unter anderem als „Hurensöhne” betitelt haben soll, sieht man im Internet nichts - wie aus Ermittlerkreisen zu hören ist, war es aber so.

Das erste, was man im Video sieht: Der Polizeibeamte, der mit dem Knie am Kopf den 15-Jährigen am Boden fixiert. Gegen den Polizisten wird laut Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ermittelt. Auch gegen den Jugendlichen liegen mehrere Anzeigen vor - wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Beleidigung und tätlichen Angriffs.

Wie Innenminister Reul am Montag ausführte, wären Knie und Schienbein auf Ohr und Schädel des jungen Mannes durch die Einsatzvorgaben der Landespolizei durchaus abgedeckt gewesen. Auf dem Hals wäre dies wegen der Verletzungsgefahr nicht erlaubt. Was genau in dem Moment passiert sei, müsse daher nun „objektiv geklärt werden”.

Aus Neutralitätsgründen hat die Polizei Duisburg zusammen mit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Ermittlungen übernommen. Der betroffene Beamte mache vorläufig Innendienst. „Ich will den Einsatz am Samstagabend in keiner Weise rechtfertigen, ich will ihn aber auch nicht vorschnell verurteilen”, sagte Reul. Körperliche Gewalt durch Polizisten sei keineswegs per se rechtswidrig, wie manche glaubten, sagte Reul, sondern oft angebracht, zulässig und zwingend erforderlich.

Der 15-Jährige sei nach bisherigen Erkenntnissen ebenso wenig verletzt worden wie der Beamte, den er angegriffen haben soll. Aufnahmen aus Bodycams der Polizei, die den Vorfall aus anderer Perspektive zeigen könnten, gebe es nicht.

Das Internet-Video rief unterdessen die Opposition auf den Plan. „Das Video, das im Netz von dem Einsatz gegen einen Minderjährigen kursiert, zeigt mehr als verstörende Sequenzen”, teilten die SPD-Abgeordneten Sven Wolf und Hartmut Ganzke mit. „Wir hatten gehofft, dass wir solche Bilder nach dem tragischen Tod von George Floyd in Deutschland niemals zu sehen bekommen würden. Ein starker Staat muss verhältnismäßig mit seiner Macht umgehen.”

Die SPD-Fraktion beantragte ebenso wie die Fraktion der Grünen eine Aktuelle Viertelstunde zu dem Thema am Donnerstag im Innenausschuss des Landtags. Die Innenexpertin der Grünen, Verena Schäffer, twitterte am Montag: „Der Polizeieinsatz in Düsseldorf muss aufgeklärt werden. Dass Polizisten sich auf Kopf/Hals einer am Boden liegenden, bereits fixierten Person knien, kann nicht verhältnismäßig sein.” Sie ergänzte: „Eine Aufklärung dieses Vorfalls ist wichtig, damit Vertrauen in die Arbeit der Polizei nicht verloren geht.”

Innenminister Reul war der Opposition übrigens zuvorgekommen: Er hatte den Tagespunkt bereits im Innenausschuss angemeldet, bevor SPD und Grüne darum baten. Reul weiß um die Macht der Bilder - und die Gefahr der Verkürzung. Und so stellte sich auch der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, am Montag teils hinter die Beamten: „Polizeiliches Handeln ist rechtsstaatlich überprüfbar - und niemand darf vorverurteilt werden. So muss auch der ganze Sachverhalt rechtsstaatlich untersucht werden. Und nicht nur anhand einer kurzen Videosequenz beurteilt werden.” (dpa/lnw)

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