Durch die Achsel ins HerzIn NRW starb zum ersten Mal ein SEK-Mitglied im Einsatz

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Die Spurensicherung bei der Arbeit nach den tödlichen Schüssen im Frühjahr

Die Spurensicherung bei der Arbeit nach den tödlichen Schüssen im Frühjahr

  • Das Projektil traf in die Achsel, durschoss erst die Lunge und dann den Herzbeutel.
  • Im April wurde Simon G., Mitglied des SEK, bei einem Einstz in Essen getötet.
  • Der Schütze muss sich nun vor Gericht verantworten.

Essen – Sollte die Polizei bei ihm auftauchen, sei er vorbereitet: An seiner Wohnungstür hänge eine Handgranate. So soll sich der Drogendealer Thomas K. nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ einem Großkunden gegenüber gebrüstet haben. Bei einem Einsatz werde das Ding hochgehen.

Als jener Kunde der Polizei ins Netz ging, offenbarte er den Fahndern seine Kontaktleute, darunter auch Marihuana-Lieferant Thomas K. in Gelsenkirchen. Der Kronzeuge berichtete auch von der Handgranate und einer Schusswaffe, mit der sich der Dealer verteidigen wolle.

Die Aussage veranlasste die Polizeiführung ein Spezialeinsatzkommando (SEK) mit der Festnahme des Gelsenkircheners zu betrauen. Am 29. April stürmte ein neunköpfiger SEK-Trupp aus Münster dessen Wohnung. Thomas K. gab zwei Schüsse auf den Frontmann Simon G. ab. Ein Projektil traf den 28 Jahre alten Beamten in die Achsel, zerfetzte Lunge und Herzbeutel. Simon G. verblutete. Seine Schutzweste konnte das nicht verhindern. Von Freitag an muss sich der mutmaßliche Todesschütze wegen Mordes und Drogenhandels vor dem Essener Schwurgericht verantworten.

Alles zum Thema Herbert Reul

Der erste Tod eines SEK-Mitglieds in NRW im Einsatz

Seit ihrer Gründung starb zum ersten Mal ein Mitglied der Spezialeinheiten in NRW im Einsatz. „Der Tod dieses jungen Mannes führt uns schmerzhaft vor Augen, welches Risiko die Polizistinnen und Polizisten in unserem Land jeden Tag eingehen, um die Bürgerinnen und Bürger zu schützen“, sagte Innenminister Herbert Reul.

Dabei schien ursprünglich alles auf einen Routineeinsatz hinauszulaufen: Kurz nach sechs Uhr am Morgen des 29. April lief das SEK-Kommando die Treppe hoch zur Dachgeschosswohnung des Verdächtigen. Die Beamten trugen schusssichere Westen mit dem Logo „Polizei“. Oben angekommen hob SEK-Mann G. die Ramme und brach die Wohnungstür auf. Laut gellten der Staatsanwaltschaft zufolge die Rufe „Polizei“ durch die Wohnung. Die Zielperson ließ sich nicht beeindrucken und feuerte aus zwei Metern Entfernung auf den ersten Beamten. Seitlich getroffen, sackte Simon G. zusammen. Während ein Kollege mit drei Schüssen versuchte, den Schützen niederzuhalten, kümmerten sich SEK-Beamten um den Angeschossenen. Dieser glaubte zunächst, dass ihn ein Taser erwischt hätte, tatsächlich aber war er tödlich getroffen. Eine dreiviertel Stunde später starb er im Krankenhaus.

Derweil hatte sich der Angeklagte im Bad verschanzt, ergab sich aber kurz darauf. Die Einsatzkräfte fixierten ihn, die Pistole entdeckten sie in der Badewanne. Zudem konnten eineinhalb Kilogramm Marihuana sowie diverse Messer und ein Teleskopschlagstock beschlagnahmt werden. Eine Handgranate fanden die Polizisten nicht.

Angeklagter in ähnlichem Fall freigesprochen

Im Prozess muss auch geklärt werden, ob der Drogendealer zum Zeitpunkt der Schussabgabe wissen konnte, dass es sich bei den Eindringlingen um Polizisten handelte. Bei einem ähnlich gelagerten Fall sprach der Bundesgerichtshof (BGH) 2011 einen Schützen vom Vorwurf des Totschlags frei. Damals hatte ein Hells-Angels-Mitglied aus dem Kreis Neuwied einen SEK-Mann bei einer Festnahmeaktion durch die Wohnungstür erschossen. Im Prozess hatte der Angeklagte behauptet, dass er an einen Angriff durch Rivalen der Bandidos geglaubt habe und sich nur verteidigen wollte. Der Beschuldigte habe irrtümlich eine Notwehrlage angenommen und deshalb straflos gehandelt, resümierte der BGH-Senat. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprach seinerzeit von einem „fatalen Signal“.

Offenbar stellt sich die Beweislage im aktuellen Fall um den mutmaßlichen Mord an dem Elite-Polizisten in Gelsenkirchen eindeutiger dar. Ein Sprecher des Landgerichts teilte auf Anfrage dieser Zeitung mit: „Laut Staatsanwaltschaft soll sich der Angeschuldigte kurz nach seiner Festnahme spontan geäußert haben, dass er die Aufschrift Polizei gesehen und dann geschossen hat“. Der Angeklagte Thorsten K. hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen eingelassen. Seine Verteidiger wollten sich ebenfalls nicht äußern.

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Ob das Versagen der Schussweste Konsequenzen für die Sicherheitsausstattung der Polizei hat, beantwortete das zuständige Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste eher vage: „Zur Bewältigung der besonderen Aufgaben wird die Ausrüstung der Spezialeinheiten stetig den sich verändernden Bedingungen angepasst.“

Die Kameraden der SE-Einheiten in Münster haben Simon G. einen Nachruf gewidmet. „Du fehlst uns und bleibst immer ein Teil von uns.“

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