Jahre warten auf ein OrganWenn der Partner einspringt, weil es keine Spender gibt

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John Bower spendete seiner Frau Sabine eine Niere.

John Bower spendete seiner Frau Sabine eine Niere.

Köln – Nein, nervös sei er nicht, sagt John Bower wenige Stunden vor der OP, aber er mache sich natürlich Gedanken: Geht es gut? Oder ist am Ende alles für die Katz? „So geht es jedenfalls nicht weiter. Deshalb spende ich meiner Frau meine linke Niere. Ich mache es ja auch für mich. Wir wollen doch ein gemeinsames Leben leben.“

Neun Jahre Wartezeit für eine neue Niere

Sabine Bower steht seit 2017 auf der Warteliste von Eurotransplant. Etwa acht bis neun Jahre müsste sie auf eine Spenderniere warten. Im vergangenen Jahr gab es in ganz Nordrhein-Westfalen nur 146 Organspender – ein 20-Jahres-Tief. „Für die Transplantationsmedizin ist es fünf vor zwölf“, warnte jüngst NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im Landtag. Bei weiter sinkenden Spenderzahlen drohe NRW der Ausschluss aus dem internationalen Verteilsystem für Organe. 2009 lag die Zahl noch bei 259 Organspendern, 231 waren es 2012. Seitdem sinkt die Bereitschaft stetig.

Neun Jahre – so lange wollten Sabine (48) und John Bower (57) aus Ahrweiler nicht warten. Seit 2010 ist Sabine Bower nierenkrank: Eine Streptokokken-Entzündung in den Beinen ist ihr im wörtlichen Sinne an die Nieren gegangen. Die Entzündung konnte mit Medikamenten gestoppt werden. „Aber im Sommer 2016 ist mir plötzlich übel geworden. Irgendwas stimmte nicht.“ Diagnose: Beide Nieren sind mehr als 90 Prozent geschädigt. Seitdem hängt Sabine Bower dreimal in der Woche für viereinhalb Stunden am Dialyse-Gerät. „Aber auf die Dauer ist das kein Leben“, sagt ihr Mann.

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„Die Einschränkungen beim Essen und Trinken, okay. Dass wir nur dort Urlaub machen können, wo es Dialyse-Möglichkeiten gibt, auch okay. Aber unsere Bewegungsräume werden immer kleiner. Der Freundes- und Bekanntenkreis leidet. Wir sind beruflich stark eingeschränkt.“ Die Nierenspende von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für seine Frau gab den Anstoß. „Ich habe mich testen lassen. Das hat ein halbes Jahr gebraucht. Aber das Ergebnis ist positiv: Ich kann meiner Frau die Niere spenden.“

Die Nierenlebendspende ist längst zur Regel geworden

Seit die Zahlen für Verstorbenenspenden zurückgehen, ist die Nierenlebendspende für das Transplantationszentrum der Uniklinik Köln die Regel geworden. „Wir sind eines der größten Zentren Deutschlands für Nierenlebendspenden“, erklärt Georg Dieplinger, der das Ehepaar Bower als Chirurg des Transplantationsteams während der Behandlung begleitet. „In 2017 haben wir über 30 Lebensspenden transplantiert, 2018 werden es voraussichtlich sogar noch mehr.“ Sabine Bower wurde die Uniklinik Köln von ihrem Nephrologen empfohlen, auch wegen der Operationsmethode. „Wir praktizieren schon seit relativ langer Zeit ein modernes, etabliertes Verfahren, und das sehr erfolgreich: die HARP-Methode.“ Dabei wird der Spender während der OP zur Seite gedreht. Er erhält einen etwa acht Zentimeter langen Bauchschnitt ähnlich dem Kaiserschnitt. „Wir durchtrennen die Bauchmuskeln wie auch beim Kaiserschnitt nicht. Das bedeutet weniger Schmerzen, weniger Trauma, weniger Narbenbrüche“, erklärt Dieplinger, der bei der Operation von Sabine Bower attestiert hat.

Mit Hilfe von drei weiteren kurzen Seitenschnitten werden Kamera und OP-Instrumente eingebracht. Über den Bauchschnitt fährt die Hand des Hauptoperateurs, Prof. Dirk Stippel, Leiter des Schwerpunktes Transplantation, an den Muskeln vorbei zur Niere. Jede Bewegung kann über die Kamera beobachtet werden Die Niere wird von Gefäßen und Harnleiter getrennt. „Von dem Augenblick an, an dem die Niere kein sauerstoffhaltiges Blut mehr erhält, zählt jede Sekunde.“ Stippel holt die Niere mit der Hand heraus. Sie geht sofort aufs Eis, wird durchgespült. Das dauert weniger als eine Minute. Wenige Stunden nach der OP gibt es bereits Entwarnung: Spender und Empfängerin geht es bestens. Beide Nieren funktionieren perfekt. Sabine und John Bower haben vorher aufwendige Tests gemacht. Sie haben beide die gleiche Blutgruppe. Das Transplantationszentrum der Uniklinik Köln bietet die Nierentransplantation längst auch Spendern und Empfänger an, die ungleiche Blutgruppen haben. „Wir können das inzwischen routinemäßig machen.“

Ein Leben mit Medikamenten

Was allerdings wichtig ist: die HLA-Eigenschaften müssen kompatibel sein, die sogenannten Oberflächen-Antigene. Jeder Mensch hat ein einzigartiges Immunsystem mit einem individuellen Profil von Antigenen. Bei Spender und Empfänger kommt es darauf an, dass eine hyperakute Abstoßung ausgeschlossen werden kann. „Wir kontrollieren also, ob Antikörper gegen den Spender gebildet werden.“ Sabine Bower wird dennoch ihr Leben lang Medikamente nehmen, die unerwünschte Reaktionen des Immunsystems hemmen. Die Medikamente sind auf die Unterschiede von Spender und Empfänger angepasst. John Bower jedoch braucht keine Mittel. „Ich bin ja gesund. Die rechte Niere wird ihre Leistung steigern.“

Die Politik sieht vor allem die Kliniken in der Pflicht, zukünftig mehr Aufklärung zur Organspende zu leisten. Den Tiefpunkt bei den Organspenden dürfe man „nicht tatenlos hinnehmen“, sagt auch der Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW, Jochen Brink. Die Transplantationsbeauftragten aber bräuchten mehr Zeit für Gespräche mit Patienten und Angehörigen, um potenzielle Spender dafür zu gewinnen, dass sie nach dem irreversiblen Hirntod ihre Organe für andere Patienten zur Verfügung stellen. Ziel müsse sein, betont NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, dass in den Kliniken genauer geprüft werde, wer für eine Organspende in Frage kommt.

Der Transplantationsbeauftragte der Uniklinik Köln, Felix Kolibay, ergänzt, die vor wenigen Jahren eingeführte Finanzierung der Transplantationsbeauftragten sei ein Schritt in die richtige Richtung. So könnten in einem gewissen Umfang Ärzte für diese Tätigkeit freigestellt werden und in ihrem Krankenhaus beispielsweise entsprechende Fortbildungsveranstaltungen durchführen. „Wir werden an der Uniklinik Köln trotz der im Landesvergleich exzellenten Ergebnisse – 2016 die meisten, 2017 die drittmeisten Organspenden aller Unikliniken in NRW – weiter intensiv daran arbeiten, die Anzahl der realisierten Organspenden zu verbessern.“

Organspenden in Deutschland

Ein spezieller Ausweis für die Organspende kann bei vielen Krankenkassen, -versicherungen oder bei der Deutschen Stiftung Organspende beantragt werden. Einen Organspendeausweis erhält man zudem bei manchen Ärzten und Apotheken. Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kann man ihn herunterladen oder bestellen.

Wer sich erst informieren möchte, kann dies beispielsweise im Internet im Portal der AOK tun.

Auf dem Ausweis kann man vermerken, in welchen Fällen man bereit ist, seine Organe zu spenden, und ob nur bestimmte Organe gespendet werden sollen. Die Erklärung kann jederzeit widerrufen werden. Auch das kann, mit Angabe von Datum und Unterschrift, auf dem Ausweis vermerkt werden. Das Transplantationsgesetz erlaubt es bereits Jugendlichen ab dem 16. Geburtstag, sich als Organspender zur Verfügung zu stellen.

Hat man sich dazu entschieden, im Todesfall seine Organe zu spenden, sollten auch nahe Angehörige über den Entschluss informiert werden. Im Todesfall können sie dann auch schneller in diesem Sinne entscheiden.

Liegt kein Organspendeausweis vor, müssen im Falle eines Hirntods die Angehörigen oder engsten Freunde die Entscheidung über die Organentnahme treffen.

Im Internet kann man einen Organspendeausweis erstellen und sich diesen zusenden lassen. Die Adresse lautet: www.organspende-info.de

Verantwortlich für die Verteilung von Spenderorganen in sieben europäischen Ländern, darunter Deutschland, ist die Stiftung Eurotransplant. Auf ihrer deutschen Homepage informiert sie über die Grundlagen ihrer Arbeit. Dort findet man auch eine Liste der deutschen Transplantationszentren. Dies sind interdisziplinäre Einrichtungen, die Organübertragungen durchführen. Über die Möglichkeiten, schon zu Lebzeiten ein Organ zu spenden, informiert die Stiftung Lebendspende.

Dass die Zahl der Spender von Organen so stark gesunken ist, hängt auch mit Fehltritten in der Transplantationsmedizin zusammen. In Göttingen, Regensburg, München und Leipzig sollen Mediziner Krankenakten gefälscht haben, um ausgewählte Patienten bevorzugt mit Spenderorganen zu versorgen. Auch an anderen Kliniken wie in Essen wurden Unregelmäßigkeiten vermutet.

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