Kölner Suchtberatungsstelle„Wir sehen in NRW eine regelrechte Kokainschwemme“

Lesezeit 6 Minuten
Eine Person zieht eine Line Kokain durch einen Geldschein

Die Expertin bescheinigt NRW eine regelrechte Kokain-Schwemme. Das führt sie auf eine eingeschränkte Präventionsarbeit während der Pandemie zurück.

Angelika Schels-Bernards betreut bei der Suchtberatungsstelle der Caritas in Köln neben Suchterkrankten auch ihre Angehörigen. Im Interview erzählt sie, was sie Eltern drogenabhängiger Kinder rät.

Frau Schels-Bernards, Sie sind zuständig für die Sucht- und Angehörigenberatung im Diözesan-Caritasverband Köln. Was müssen Angehörige unbedingt beachten, wenn sie feststellen: Eine Person in meinem nahen Umfeld ist drogenabhängig?

Angelika Schels-Bernards: Die Angehörigen müssen auf sich selber achten. Das ist das Allerwichtigste: Sie müssen eigene Grenzen setzen und sich gegebenenfalls auch Hilfe suchen. Ansonsten stürzt der Angehörige bei dem Versuch, der suchtkranken Person zu helfen, vielleicht selbst in eine tiefe Krise oder wird im schlimmsten Fall sogar in deren Suchtsystem verstrickt.

Was beschäftigt die Eltern von suchtkranken Kinder, die sie betreuen, am meisten?

Alles zum Thema Erzbistum Köln

Wir sehen bei Eltern in erster Linie Überforderung und Angst, aber auch viel Unsicherheit. Was sind das für Substanzen? Wie riskant ist das, was mein Kind tut? Manchmal hat man es gar nicht mit einer tatsächlichen Sucht der Kinder zu tun - wenn ein Jugendlicher mit einem Joint erwischt wird, muss er nicht zwingend abhängig sein. Liegt bei dem Kind eine Suchtstörung vor, bereiten oft auch Verhaltensänderungen Schwierigkeiten. Wenn das eigene Kind anfängt zu lügen und zu verheimlichen, dann beschädigt dies das Vertrauensverhältnis. 

Angelika Schels-Bernards berät Betroffene und Angehörige bei der Suchtberatung der Caritas in Köln

Angelika Schels-Bernards berät Betroffene und Angehörige bei der Suchtberatung der Caritas in Köln

Die wichtigste Herausforderung besteht für Eltern darin, mit dem Kind in Kontakt zu bleiben. Man muss es nicht gutheißen, was das Kind tut - das sollte man auch nicht - aber man muss es akzeptieren. Für das Kind muss klar sein, dass sein Verhalten kritisiert wird, nicht seine Person. Genau das ist jedoch der größte Spagat, den Eltern versuchen müssen. Sie sollten signalisieren: Ich finde das nicht gut, was du tust. Aber wenn's brennt, wenn du die Kontrolle verlierst oder es Probleme gibt, dann kannst du dich an mich wenden.

Was raten Sie Eltern, wenn sie Drogen im Zimmer ihrer Kinder entdecken?

Dazu gibt es unterschiedliche Empfehlungen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) empfiehlt, die Drogen wegzuschmeißen, weil der Besitz ja strafbar ist. Ich persönlich finde das schwierig. Falls das Kind selbst Drogen verkauft oder Substanzen für andere aufhebt, kann man es dadurch in sehr große Schwierigkeiten bringen - dann schuldet es irgendjemandem plötzlich tausende Euros. Wenn man die Drogen wegschmeißt, scheint das Problem erst einmal kurz gelöst. Aber gleich danach werden neue beschafft, zudem hat es etwas Bevormundendes. Wenn das Kind konsumieren möchte, verhindern Sie das nicht durch Verbote oder Wegschmeißen der Drogen. Gleichzeitig ist eine klare Haltung wichtig, dass sie deutlich machen: Ich möchte nicht, dass die Drogen hier im Haus sind.

Welche Angehörigen - ob Eltern, Geschwister oder Partner - kommen am häufigsten zu Ihnen und was bieten Sie Ihnen?

Die meisten Anfragen kommen von Partnerinnen und Partnern, danach kommen die Eltern und die Kinder. Wir haben im Erzbistum Köln ein gutes Versorgungsangebot für Kinder suchtkranker Eltern geschaffen. Denn hier ist das Risiko hoch, dass die Kinder irgendwann ebenfalls an einer Sucht erkranken.

Wir begleiten sowohl die Suchtkranken als auch ihre Angehörigen langfristig. Während der Pandemie haben wir zum Beispiel das Walk and Talk Format entwickelt - da führen wir die Gespräche während eines Spaziergangs. Wir machen also viel Beziehungsarbeit, wenn wir auch Angehörigen keine therapeutische Intervention bieten können. Betroffenen dagegen schon.

Wie entscheidend ist das Verhältnis zu den Angehörigen für die Genesung von Suchtkranken?

Es ist enorm wichtig. Familiäre Probleme können belasten, manchmal sind familiäre Beziehungen für einen suchtkranken Menschen dagegen unfassbar unterstützend. Die Angehörigen sind eine ganz wichtige Säule, auf die man sich stützen kann.

Gibt es genug Anlaufstellen für Angehörige?

Ich denke, da ist noch Luft nach oben. Die Suchtberatungsstellen sind nicht üppig finanziert, gleichzeitig sind sie immer noch eine freiwillige Leistung der Kommunen.  Wenn man als Kommune oder Land eine umfängliche Angehörigenberatung möchte, dann muss man auch die Mittel dafür bereitstellen. 

Sie beraten ja schon seit vielen Jahren suchtkranke Menschen in Köln. Was hat sich bei dem Drogenkonsum von Jugendlichen verändert?

Seit 2010 hat sich die Zahl der Cannabis-Konsumenten schätzungsweise verdoppelt. Rund ein Viertel der jungen Leute zwischen 18 und 25, die wir heute begleiten, nehmen Cannabis. Wir bemerken allerdings auch einen Anstieg an hochriskantem Mischkonsum von Alkohol, Methamphetamin und Ecstasy, zudem haben wir es in NRW gerade mit einer regelrechten Kokain-Schwemme zu tun. Gerade dieser hochriskante Konsum ist für uns auch eine Folge davon, dass Präventionsarbeit während Corona nur eingeschränkt stattfinden konnte. 

Auch die Konsummuster haben sich verändert. Medikamentenkonsum bei Jugendlichen, beispielsweise von Benzodiazepin und Opioiden wie Tilidin, war vor ein paar Jahren noch kein Thema. Dabei ist gerade der Mischkonsum brandgefährlich: Die Wirkstoffe können extrem abhängig machen und eine Überdosis lebensgefährlich sein. 

Über Sucht spricht man nicht gerne. Wie sehr hindern Tabus Angehörige daran, sich Hilfe zu suchen?

Sucht ist immer noch ein sehr schambehaftetes Thema. Zu viele Menschen halten die Sucht noch immer für eine Charakterschwäche, dabei ist es ganz einfach eine chronische Krankheit. Das hemmt natürlich auch Angehörige, nach Hilfe zu fragen. Deshalb beraten wir immer kostenlos und auf Wunsch auch anonym. Einen Grund, sich zu schämen, gibt es aber nicht. Wenn in der Familie jemand suchtkrank ist, dann muss diese Krankheit behandelt werden. Und wenn die Krankheit auch die Familie belastet, brauchen Angehörige ebenfalls Unterstützung. Suchtberatungsstellen gibt es in jeder Stadt, gerade für Angehörige Suchtkranker bieten wir auch Onlineangebote.

Die Tabus zeigen, dass über Sucht anders gesprochen werden muss. Sucht ist kein Thema vom Rand der Gesellschaft, es ereignet sich mitten drin, mit illegalen Substanzen, mit Medikamenten, mit Alkohol. Das ist keine Frage von Bildung oder sozialer Schicht. Suchtkranke sind Menschen, die Schwierigkeiten damit haben, die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen und sich deshalb in den Rausch flüchten. Diese Menschen sollte man nicht stigmatisieren, man sollte ihnen helfen. 


Haben Sie Angehörige, die suchtkrank sind? Hier finden Sie Hilfe.

Alle Suchtberatungsstellen der Caritas, der Diakonie und der SKM beraten Betroffene und Angehörige anonym und kostenlos. Beratungsstellen in Ihrer Region finden Sie hier. Die Caritas im Erzbistum Köln berät Angehörige zudem auch online über die Webseite der Caritas, auch die DigiSucht bietet eine Online-Beratung an. 

Zahlreiche Eltern drogenabhängiger Kinder haben sich zu Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen. Interessierte aus Köln können sich bei Helmut Rölle und Ilka Müller unter der Nummer 0221/688117 oder per E-Mail unter elternkreis-koeln2@web.de melden.

In Nordrhein-Westfalen gibt es 40 weitere Selbsthilfegruppen für Eltern oder weitere Angehörige von drogenabhängigen Menschen. Eine vollständige Liste inklusive Kontaktmöglichkeiten finden Sie auf www.arwed-nrw.de

KStA abonnieren