Köln/Berlin – Zwei Wochen lang zum Nulltarif mit der Bahn quer durch Deutschland fahren. Zum Beispiel von Köln nach Berlin. Neun Stunden, 13 Minuten, sechsmal umsteigen inklusive. Das muss man wollen. Aber ganz offensichtlich finden viele der mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland, die ein Nahverkehrsabonnement besitzen, diese Idee gar nicht so schlecht.
Bis Montag haben sich bereits 283.000 von ihnen bei der Besser-Weiter-App registriert, die noch bis einschließlich 26. September das kostenlose Fahren mit Regionalzügen bundesweit möglich macht. Dazu reicht die Abo-Karte und der Ausdruck der Besser-Weiter-Registrierung.
„Zwischen 30.000 und 35.000 Anmeldungen täglich“
„Wir haben täglich zwischen 30.000 und 35.000 Anmeldungen“, sagt Lars Wagner, Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der die Aktion organisiert hat, an der sich nahezu alle deutschen Verkehrsbetriebe beteiligen. „Wir wollen uns damit bei den Kunden bedanken, die selbst nach eineinhalb Jahren Corona-Pandemie unter erschwerten Bedingungen ihre Abos nicht gekündigt haben."
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In Nordrhein-Westfalen hat es unter Beteiligung des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg (VRS) vergleichbare Aktionen schon in den Sommerferien 2020 und 2021 gegeben. Eine deutschlandweite Freifahrt für alle ist jedoch ein neues Experiment.
Die Corona-Pandemie hat dem Nahverkehr besonders hart zugesetzt. Rund sieben Milliarden Euro haben Bund und Länder 2020 und 2021 zugeschossen, um das Angebot trotz teilweise dramatischer Fahrgastrückgänge vollständig aufrechtzuerhalten. Vor allem der zweite Lockdown von November 2020 bis März 2021 hat die Branche hat erwischt. Die Abo-Zahlen gingen um 15 Prozent zurück, die Auslastung der Züge lag teilweise unter 20 Prozent.
Auslastung liegt bei 75 Prozent
Vorbei die Zeiten, als der Regionalverkehr in den Ballungsgebieten an Rhein und Ruhr jährliche Zuwachsraten zwischen drei und vier Prozent verzeichnen konnte. „Bis 2019 ging es über 22 Jahre kontinuierlich nach oben“, sagt Wagner. „Jetzt liegen wir bei einer Auslastung zwischen 70 und 75 Prozent. Das aufzuholen wird nicht einfach.“
Erste Konsequenzen sind schon spürbar: Zwei Privatbahnen, die vor allem in Nordrhein-Westfalen unterwegs sind, kämpfen ums Überleben. Keolis, eine Tochtergesellschaft der französischen Staatsbahnen, steht dem Vernehmen nach zum Verkauf und auch Abellio, die zu den niederländischen Eisenbahnen gehört, musste unter den Insolvenz-Schutzschirm und steht vor einer ungewissen Zukunft.
Rekordinvestitionen geplant
Dabei sind sich Bund und Länder vom Grundsatz her einig. Ohne eine Verkehrswende wird Deutschland die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens auf dem Verkehrssektor bis 2030 nicht erreichen. „Deutschland muss wieder Bahnland werden“, sagt NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Bund, Bahn und Land investieren im kommenden Jahr in NRW die Rekordsumme von 2,3 Milliarden Euro in den öffentlichen Nahverkehr und den Ausbau der Infrastruktur, erneut wird in NRW mehr Geld in die Schiene als in die Straße fließen.
Der VDV will den bundesweiten Nulltarif für Abo-Kunden auch dazu nutzen, endlich mehr über sie erfahren. „Wir können derzeit nur sehr grob schätzen, wie viele das wirklich sind“, sagt Wagner. Zu den sechs Millionen Berufspendlern kämen noch Studierende mit Semestertickets, Schüler- und Sozialtickets. „Diese Tickets werden nicht alle bei den Verkehrsverbünden registriert, so dass wir da keine genauen Zahlen haben.“
Deshalb ist die Kostenlos-Aktion mit einer Befragung gekoppelt, deren Teilnahme freiwillig ist. Das Interesse daran sei aber riesengroß. Mehr als jeder Zweite habe sich registriert und werde im Nachhinein über sein Nutzerverhalten gefragt.
Reisende haben sich mehr Platz gewöhnt
„Unsere Stammkunden werden sich natürlich wünschen, dass wir diese Aktion in den kommenden Jahren wiederholen“, sagt der VDV-Sprecher. „Dazu können wir aber noch nichts sagen.“ Die kommende Bundesregierung werde sich sehr schnell mit der Frage befassen müssen, wie der Nahverkehr in den kommenden Jahren finanziert werden soll.
Auch 2022 werde die Branche wegen der Pandemie ohne zusätzliche Hilfen nicht auskommen. Allein über eine jährliche Erhöhung der Fahrpreise werde es nicht gelingen, den Nahverkehr so attraktiv zu gestalten, „dass wir zu den alten Wachstumszahlen zurückkommen.“
Erschwerend komme hinzu, dass sich die Pendler, die auch während der Pandemie weiter mit dem Zug gefahren seien, an das großzügige Platzangebot gewöhnt hätten. „Der Qualitätsanspruch ist gestiegen“, sagt Wagner.
Gerade auf hochbelasteten Strecken wie zwischen Köln und Düsseldorf werde sich niemand mehr in einen überfüllten Rhein-Ruhr-Express quetschen. „Wir müssen den Ausbau beschleunigen, sonst werden wir die Kunden kaum zurückgewinnen." Wagner ist sicher: "Die Auswertung unserer Umfrage zu der Dankeschön-Aktion wird in der Politik auf großes Interesse stoßen.“