Corona-MaßnahmenWie Demokratiefeinde das Märchen vom „Ermächtigungsgesetz“ nutzen

Lesezeit 3 Minuten
Berlin_Gegenprotest_Corona

Am Brandenburger Tor in Berlin stehen am Mittwochabend Demonstranten, die gegen den Aufmarsch von Coronaleugnern in der Hauptstadt protestieren. 

  • Die Verächter der Demokratie benutzen das Infektionsschutzgesetz als Vehikel, um die Demokratie zu delegitimieren.
  • Umso wichtiger ist es, dass Bundesregierung und Bundestag darauf achten, bei ihren Beschlüssen und Gesetzesnovellen die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen.
  • Das gilt auch und gerade mit Blick auf die den ganzen November über geschlossenen Theater, Konzerthallen und Museen. Ein Kommentar.

„Ermächtigungsgesetz“. Ich kann sie über ihren Manuskripten feixen sehen, die AfD-Parlamentarier, die das am Mittwoch novellierte Infektionsschutzgesetz mit diesem Begriff belegt haben. Ein vergifteter Begriff, spielt er doch auf die die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 an, die der ersten deutschen Demokratie den Garaus machte.

Aber das ist ja genau der Grund dieser Wortwahl. Verächter der Demokratie versuchen, die Demokratie verächtlich zu machen. Der Protest der Anständigen und Wohlmeinenden ist da bereits eingepreist – als Teil der Strategie. Die Gegner und Feinde unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung wissen sehr genau, wie man sich ihrer bedient. Das ist die eigentliche Parallele zum Jahr 1933.

Umso mehr müssen die Regierungen und die Parlamente im Bund und in den Ländern auf einen sorgsamen Umgang mit dem demokratischen Instrumentarium achten, insbesondere der Gesetzgebung. Eine Liste der Maßnahmen ins Infektionsschutzgesetz zu schreiben, die zur Eindämmung der Corona-Pandemie seit langem praktiziert – oder sagen wir besser: ausprobiert – werden, soll die entsprechenden Auflagen und Verbote gerichtsfest machen. Das ist einerseits richtig.

Was der Staat im Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern tut, muss auf einer soliden Rechtsgrundlage stehen. Andererseits kann man sich bei den Beschlüssen des Bundestags vom Mittwoch des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass Klagen gegen die Verordnungen der Länder und Kommunen vor den Verwaltungsgerichten nicht mehr durchkommen sollen.

Unser Kolumnist Michael Bertrams, der frühere Präsident des NRW-Verfassungsgerichtshofs, hat kritisiert, dass die Änderungen im Infektionsschutzgesetz jede Abwägung mit den betroffenen Freiheitsrechten vermissen lassen und auch die Frage offen lassen, welche Maßnahmen im Kampf gegen Corona – oder eine andere epidemische Gefahr – geeignet, notwendig und verhältnismäßig sind. Bertrams macht das an der für den Monat November verfügten Schließung der Restaurants fest.

„Lockdown light“ trifft alle Kulturstätten

Mir steht noch ein anderes Beispiel vor Augen. Vom „Lockdown light“ sind auch sämtliche Museen und Kulturstätten wie Konzertsäle, Opernhäuser oder Theater betroffen. Dabei könnten gerade solche Einrichtungen besonders umfassende, schlüssige und sichere Schutzkonzepte garantieren.

Schon vor dem Lockdown hatten viele Museen ein ausgeklügeltes System mit beschränktem Ticketverkauf, persönlicher Registrierung und exakt zugewiesenen Zeitfenstern entwickelt. Warum sollten in der Kölner Philharmonie mit ihren 2000 Sitzplätzen nicht – sagen wir – 200 Besucher ein Kammerkonzert hören können?

Das könnte Sie auch interessieren:

Und warum dürfen Heimwerker ungehindert im Baumarkt ihres Vertrauens stöbern, während Kunstfreunde die Andy-Warhol-Ausstellung im Museum Ludwig womöglich nur virtuell besuchen können – falls es über den Dezember hinaus bei den geltenden Beschränkungen bleibt. Gänzlich bizarr wird es, wenn Kommunen erwägen, die geschlossenen Museen wegen ihrer großzügig dimensionierten Räume als Ausweich-Standorte für den Schulunterricht zu nutzen.

Es ist klar: Lebensmittelläden und Supermärkte müssen zugänglich bleiben – für die leibliche Grundversorgung. Aber bedürfen wir nicht auch der Orte, an denen die Seele Nahrung findet? Aus gutem Grund stehen Kirchen und andere Gotteshäuser für Einkehr und Gebet offen.

So schwierig es ist: Wir brauchen im langen Kampf gegen Corona die ständige Überprüfung des Waffenarsenals und der Strategie. Ein „lernendes System“ bietet die größten Chancen, der Bedrohung durch den unsichtbaren Feind Herr zu werden, und es ist zugleich die beste Voraussetzung, die Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen.

Nicht der Staat kämpft gegen Corona, sondern wir alle. Manche wird man dafür nicht gewinnen können; Leute, die aus Unwissenheit oder gar wider besseres Wissen über „Ermächtigungsgesetze“ und aufgebauschte Gefahren schwadronieren. Aber die übergroße Mehrheit, die um das eigene Wohl, die Gesundheit der Mitmenschen und eine gute Zukunft für unsere Gesellschaft besorgt ist, wird den Weg begründeter, abgewogener Schritte mitgehen.  

KStA abonnieren