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Mehr als 20.000 in KölnErneut Rekord bei Kirchenaustritten

Lesezeit 5 Minuten
Blick auf den Kölner Dom und den Rhein.

Blick auf den Kölner Dom und den Rhein.

Das bisherige Rekordjahr 2021 der Kirchenaustritte  in Köln wird wohl noch einmal um 2000 Austritte übertroffen. Eine Übersicht zu Zahlen und Folgen.

Das Erzbistum Köln steuert 2022 erneut auf einen Rekord an Kirchenaustritten zu. Dies ergibt sich aus den Zahlen, die das Amtsgericht Köln für den Bereich der Bistumshauptstadt veröffentlicht hat.

Im Amtsgerichtsbezirk Köln, dem größten auf dem Gebiet des Erzbistums, werden bis Ende Jahres rund 21.400 Menschen die katholische oder die evangelische Kirche verlassen haben. Das sind noch einmal etwa 2000 mehr als im bisherigen Rekordjahr 2021 (19.372), in dem der Höchstwert aus dem Jahr 2019 (10.073) um fast das Doppelte übertroffen worden war.

Die Zahlen folgen der amtlichen Quartalsstatistik bis Ende September (15.626 Austritte). Hinzugerechnet sind die 5750 Termine, die das Amtsgericht laut Behördensprecher Maurits Steinebach von Oktober bis Dezember vergeben hat. In dieser Zahl für das vierte Quartal 2022 nicht berücksichtigt sind Austritte, die beim Notar erklärt und dem Amtsgericht übermittelt werden.

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Nicht nach Konfessionen aufgeschlüsselt

Das Amtsgericht schlüsselt die Austritte nicht nach Konfessionen auf. Trotzdem lässt sich aus den Angaben des Gerichts für beide Kirchen recht verlässlich auf die Gesamtzahl der Austritte von Katholikinnen und Katholiken aus dem Erzbistum Köln schließen.

In allen Vorjahren lagen diese jeweils um das gut Zwei- bis Zweieinhalbfache über den Kölner Zahlen. Bei Annahme eines mittleren Faktors muss das Erzbistum sich auf rund 50.000 Austritte einstellen, etwa 9000 mehr als im Vorjahr.

Ich werbe dafür, die Mitgliedschaft in der Kirche nicht von einzelnen Personen oder Entscheidungen abhängig zu machen
Monsignore Robert Kleine, Stadtdechant von Köln und stellv. Dompropst

Der Kölner Stadtdechant Robert Kleine nannte die Zahlen „schmerzhaft und auch für mich persönlich bedrückend“. Als erste Gründe nannte Kleine „die fortdauernde Glaubwürdigkeitskrise der Kirche sowie die anhaltenden Diskussionen um Reformbemühungen und um die Krise in unserem Erzbistum“. Hinzu kämen aber auch die aktuellen finanziellen Belastungen der Menschen im Zuge des Ukrainekriegs und der Energiekrise. 

Er könne daher einerseits nachvollziehen, wenn Menschen die Kirche verließen. Andererseits richtete Kleine den Blick auf Seelsorge, Beratung und das vielfältige karitative, soziale und kulturelle Angebot der Kirche, das durch die Kirchensteuer ganz oder teilweise finanziert wird.

Ohne Kardinal Rainer Woelki namentlich zu nennen, warb Kleine dafür, „die Mitgliedschaft in der Kirche nicht von einzelnen Personen oder Entscheidungen abhängig zu machen“. Kirche sei Gemeinschaft. Jeder und jede Einzelne für die Strahlkraft der christlichen Botschaft wichtig. Die Kirche habe indes „noch einen weiten Weg vor sich, um aus der Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise herauszukommen“.

Ich will mich aber an solche Zahlen nicht gewöhnen
Gregor Stiels, Vorsitzender des Kölner Katholikenausschusses

Der Vorsitzende des Kölner Katholikenausschusses, Gregor Stiels, sprach von einer horrenden Zahl. „Da bleibt einem die Spucke weg“, sagte der Chef der Laienvertretung in der Bistumshauptstadt. Dem Erzbistum warf er vor, schon nach den „abstrus hohen“ Zahlen im Vorjahr in „Untätigkeit und Schockstarre“ verfallen zu sein. „Mir kommt es wie ein Gewöhnungseffekt vor. Ich will mich aber an solche Zahlen nicht gewöhnen.“

Die Gründe für einen Austritt seien sicher vielfältig, und nach den Erfahrungen der Vorjahre sei mit einer wiederum hohen Gesamtzahl auch 2022 zu rechnen gewesen. „Es gibt aber einen erheblichen Woelki-Faktor. Die Krise um den Kardinal und seinen Glaubwürdigkeitsverlust wirkt als Beschleuniger.“ Hinzu komme eine „unglaublich schlechte Kommunikation“ des Erzbistums.

Bistum bräuchte Strategie zur Bindung der Kirchenmitglieder

Das Erzbistum bräuchte nach Stiels' Worten eine entschlossene pastorale Strategie zur Bindung der Kirchenmitglieder. „Aber daran fehlt es komplett, genau wie an den Menschen, die sie umsetzen könnten. Ich frage mich insbesondere, ob ein wirkungsvolles Gegensteuern mit Kardinal Woelki überhaupt noch möglich ist.“

Selbstverständlich seien auch die noch engagierten Laien gefragt, wenn es darum gehe, die Kirche als einen attraktiven Bezugsraum erscheinen zu lassen. „Ich sehe uns da keineswegs außen vor, aber wir haben es verdammt schwer, wenn von der Bistumsspitze keinerlei Rückenstärkung zu erwarten ist, sondern nur Gegenwind. Da können wir noch so gute Ideen haben. Das fällt einem in der gegenwärtigen Lage alles auf die Füße.“

Für den Evangelischen Kirchenverband Köln und Region sprach Stadtsuperintendent Bernhard Seiger von einer „ungewollten Haftungsgemeinschaft“ mit der katholischen Kirche. Die Austrittszahlen auf evangelischer Seite seien in Köln zwar niedriger als auf katholischer, aber doch höher als vor der Corona-Krise. Alle Mitgliedschaftsstudien zeigten, dass persönliche Bekanntschaft das Kirchenbild eines Menschen deutlich prägt. „Viele nehmen vermutlich vor allem die tägliche Medienberichterstattung wahr, die die Krisenthemen der katholischen Schwesterkirche betreffen“, so Seiger.

Die Mithaftung gehöre „für uns als ökumenische Partner dazu, denn an vielen Stellen sind wir aus Überzeugung auf der Gemeinde- und der mittleren Leitungsebene gemeinsam unterwegs“. Allerdings hätten die evangelischen Christen in den strittigen Fragen deutlich andere Positionen haben als die katholische Amtskirche.

Seiger nannte die Themen demokratische Leitungsstrukturen, Begrenzungen von Amtszeiten, Partizipation von theologischen Laien an der Leitungsaufgabe, Transparenz über Entscheidungsprozesse, Frauenordination, Leitungsämter für Frauen, eine zeitgemäße Sexualethik. „In unserer Kirche wird diese zeitgemäße Form, Kirche zu sein, längst praktiziert werden.“

Jeder einzelne Austritt aus der Kirche, egal welcher Konfession, sei ein trauriger Schritt, betonte Seiger. „Wir suchen nach Kräften die Nähe zu den Menschen, wo wir dazu die Möglichkeit haben. An diesem Punkt setzen wir an, denn vielen Menschen ist vermutlich nicht bewusst, wie relevant die Kirchen mit ihren Einsichten und Leuchttürmen für die wichtigen und großen Fragen in ihrem Leben sind.“

Hier die Zahlen ab 2016 für Stadt Köln (beide Konfessionen) und Erzbistum gesamt:

2016 5.759 / 13.583

2017 6.174 / 13.931

2018 7.618 / 18.472

2019 10.073 / 24.298

2020 6.960 / 17.281

2021 19.372  / 40.772

2022 >21.300 (Hochrechnung)  / +/- 50.000 (Hochrechnung mit mittlerem Faktor)

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