Ex-Verfassungsrichter über CoronaDas neue Infektionsschutzgesetz ist misslungen

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Warb intensiv für das neue Infektionsschutzgesetz: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

  • Michael Bertrams war Präsident des Verfassungsgerichtshofs in Nordrhein-Westfalen.
  • In seinem Gastbeitrag schreibt er: Die große Koalition verfehlt ihr Ziel gründlich, die Corona-Schutzmaßnahmen per Gesetz rechtssicher zu machen. Vor Gericht droht alles zu kippen.

Die im Oktober laut gewordene Kritik an der Untätigkeit des Bundestags in der Corona-Krise ist nicht ohne Wirkung geblieben. Wenige Tage nach der Verkündung des November-Lockdowns durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben die Koalitionäre von CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes in den Bundestag eingebracht.

Im Eiltempo hat das Parlament diesen Entwurf am 6. November in erster Lesung behandelt und nach einstündiger Aussprache an den federführenden Gesundheitsausschuss überwiesen. Der Entwurf verfolgt insbesondere das Ziel, die gesetzlichen Regelungen zur Pandemiebekämpfung inhaltlich zu präzisieren. Das ist aus verfassungsrechtlichen Gründen sehr zu begrüßen. Jedoch verfehlt der Gesetzentwurf das angestrebte Ziel deutlich.

Keine Rede von den entscheidenden Maßnahmen

Die von den Ländern zur Pandemiebekämpfung erlassenen, zuletzt anlässlich des November-Lockdowns aktualisierten Rechtsverordnungen beinhalten zahlreiche Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten wie Ausgangs- oder Reisebeschränkungen. Bund und Länder rechtfertigen solche eingriffsintensiven Verordnungen bislang mit einem Hinweis auf das Infektionsschutzgesetz. Dieses Gesetz ermächtigt in seinen Paragrafen 28 und 32 die Landesregierungen, die zur Pandemiebekämpfung „notwendigen Schutzmaßnahmen“ durch Rechtsverordnung zu erlassen.

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Zu den ausdrücklich genannten Maßnahmen gehört die „Beobachtung“ und „Untersuchung“ von Infizierten oder einer Infektion verdächtigen Personen, um deren „Absonderung“ und Unterbringung „in einem Krankenhaus“ sowie um das umfassende oder teilweise Verbot der Ausübung „bestimmter beruflicher Tätigkeiten“. An keiner Stelle des Gesetzes ist von einer Maskenpflicht, von Abstandsgeboten, der Schließung von Restaurants und Fitnessstudios oder von einem Verbot von Gemeinschaftsveranstaltungen ab einer bestimmten Personenzahl die Rede – von all jenen Maßnahmen also, die typischerweise in den bisherigen Corona-Schutzverordnungen der Länder enthalten sind. Dementsprechend ist dem Gesetz auch nicht zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen diese oder jene Maßnahme als verhältnismäßiger Eingriff zur Anwendung kommen darf.

Corona-Gesetz: Mangel an Klarheit kann Folgen haben

Wegen dieses Mangels an inhaltlicher Klarheit wird das Infektionsschutzgesetz dem in Artikel 80 des Grundgesetzes geforderten Bestimmtheitsgebot nicht gerecht. Danach müssen „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ einer Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen per Gesetz bestimmt werden. Dabei sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die mit einer Maßnahme verbundenen Eingriffe sind. Dem soll der von den Regierungsfraktionen eingebrachte Gesetzentwurf Rechnung tragen. Dementsprechend nimmt der Entwurf für sich in Anspruch, alle „wesentlichen Entscheidungen“ zu regeln. Davon kann jedoch keine Rede sein.

Im Zentrum des Entwurfs steht ein neu ins Infektionsschutzgesetz eingefügter Paragraf 28a. Er konkretisiert die in Paragraf 28 als generelle Ermächtigung vorgesehenen „notwendigen Schutzmaßnahmen“ durch eine Auflistung all jener Gebote und Verbote, welche die Länder schon bisher in ihren Verordnungen vorgesehen haben.

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Dazu gehören unter anderem Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum, eine Maskenpflicht, die Untersagung oder Beschränkung von Freizeit- und Kulturveranstaltungen, die Untersagung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen, das Verbot des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen sowie Reisebeschränkungen.

Abgesehen davon, dass etwa die Reichweite von Reisebeschränkungen gänzlich ungeklärt bleibt, lässt sich der bloßen Auflistung typischer Corona-Schutzmaßnahmen ohne jede Abwägung mit den betroffenen Freiheitsrechten auch nicht entnehmen, welche dieser Vorschriften und Verbote unter welchen Voraussetzungen zur Anwendung kommen sollen. Daran ändert auch die weitere Regelung in Paragraf 28a nichts, der zufolge schwerwiegende Schutzmaßnahmen insbesondere bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen in Betracht kommen. Denn auch diese Regelung lässt offen, welche Maßnahmen in einer solchen Infektionslage geeignet, notwendig und verhältnismäßig sind, warum also zum Beispiel ausgerechnet die Schließung von Restaurants einer besonderen Infektionslage Rechnung tragen soll.

Der Gesetzgeber ist nach alledem gehalten, den vorliegenden Koalitionsentwurf mit Blick auf den – vermutlich in die Verlängerung gehenden – November-Lockdown schnell und gründlich nachzubessern. Mit heißer Nadel gestrickte Gesetze haben vor Gericht nur selten Bestand.

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