Gastbeitrag von Erik FlüggeKooperation zahlt sich aus

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Erik Flügge hat Germanistik und Politikwissenschaft studiert. Mit seiner Kölner PR-Agentur berät der 34-Jährige Politiker, Parteien, Kirchen und Verbände

Erik Flügge hat Germanistik und Politikwissenschaft studiert. Mit seiner Kölner PR-Agentur berät der 34-Jährige Politiker, Parteien, Kirchen und Verbände

  • Unser Zusammenleben sollte so organisiert werden, dass alle, die den eigenen Vorteil suchen, zugleich den Vorteil anderer erzielen müssen.

Neun von zehn Deutschen beklagen, dass in unserer Gesellschaft der Egoismus mehr zählt als der Zusammenhalt. So steht es in der Vertrauensstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Universität Bonn. Ein beachtlicher Wert, der deutlich macht, wie sehr der Egoismus uns im Alltag stört. Sie alle kennen es aus dem Stadtverkehr: Radfahrer schreien Autofahrer an und umgekehrt. Es reicht schon, als Fußgänger samstags im Gedränge auf der Ehrenstraße kurz mit einem Schritt zur Seite auf Abstand zu gehen, und schon hupt von hinten einer. In meiner Nachbarschaft in der Kölner Innenstadt fährt jede Nacht ein Motorradfahrer laut röhrend im Kreis. Sein Vergnügen hält Tausende andere wach. „Platz da, hier komm ich!“ ist zum Prinzip unserer Gesellschaft geworden. Wer vorankommen will, muss egoistisch sein.

Die Sehnsucht unserer Gesellschaft nach Zusammenhalt ist groß, weil das Gegeneinander so alltäglich geworden ist. Dieses Gegeneinander ist die logische Konsequenz des Gesellschaftsrahmens, in dem wir heute leben. Seit Jahrzehnten wird uns gepredigt, wir sollten uns selbst verwirklichen, uns selbst entwickeln. Wir müssen selbst für die Rente vorsorgen und unsere Zähne zusätzlich versichern. Studienplätze werden nicht mehr zentral vergeben, sondern Studierende müssen sich bei jeder Universität einzeln bewerben. Sie sitzen dann zu Hunderten in einem Hörsaal und schreiben eine Aufnahmeprüfung in dem Wissen, dass nur 50 von ihnen den Studienplatz bekommen.

Muss das alles so sein? Ist eine Gesellschaft nur denkbar, in der alle die Ellenbogen ausfahren und zeitgleich bedauern, dass es an Miteinander fehlt? Ich bin mir sicher, das geht anders. Das zeigt nicht zuletzt die jüngste Oberbürgermeisterwahl in Köln. Auf den Erfolg Henriette Rekers hätten wohl alle in Köln gewettet. Denn sie hatte sich – wie schon vor fünf Jahren – die Unterstützung von Grünen und CDU gesichert und lag damit schon vor dem ersten Wahlkampftag praktisch uneinholbar vorne.

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Kölns politisches Spiel erzwingt Kooperation

Kurz gesagt, kann man den ganzen Wahlkampf in Köln auf die Formel bringen: Wer kooperiert, gewinnt. Der Grund ist ein einfacher: Das politische System unserer Stadt hat sich schon länger von einem System zweier großer Parteien auf drei erweitert, und deshalb gewinnt zum dritten Mal in Folge die OB-Wahl, wer schon vorher ein Bündnis zu schmieden weiß. 2009 lag Jürgen Roters (SPD) als rot-grüner Kandidat vorn und wurde 2015 von der parteilosen Reker abgelöst, die damals gleich drei Parteien hinter sich versammeln konnte. Wer kooperiert, gewinnt. Das gilt, weil die Regeln des politischen Spiels in Köln die Kooperation erzwingen. Niemand hat allein eine Mehrheit, und keiner hat einen so großen Vorsprung, dass er sich gegen die beiden anderen Lager behaupten könnte.

Der Rahmen, in dem wir leben, bestimmt auch unser Bewusstsein. Demokratische Änderungen der Rahmenbedingungen unseres Zusammenlebens können dafür sorgen, dass alle, die den eigenen Vorteil suchen, zugleich den Vorteil aller anderen erzielen müssen und damit der Rahmen kooperatives Verhalten hervorbringt statt bloßen Ich-Bezug. Es geht um eine Art zu denken, die mit Leichtigkeit ein politisches Programm hervorbringt, das Lust macht, es umzusetzen. Statt Steuererhöhungen, die irgendwo im Staatshaushalt landen, fordere ich – diesem Gedanken folgend – eine Gewinnbeteiligung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wer als Unternehmerin oder Unternehmer Gewinne machen will, sollte sie mit denen teilen, die sie miterwirtschaftet haben. So könnten viele Menschen wieder Vermögen bilden.

Eine Schulnote für das soziale Verhalten

Statt immer mehr auf die Eigenverantwortung zu setzen, sollten wir wieder sozialstaatliche Institutionen stützen, die die Existenz aller sichern. In den Schulen sollte es nicht nur eine Note für die eigene Leistung in Mathematik geben, sondern auch eine für das soziale Verhalten, die in die Abschlussnote hinein zählt. Statt den Verzicht für die Umwelt zu predigen, werbe ich dafür, dass wir wirklich alle Produktionsverfahren Schritt für Schritt komplett nachhaltig gestalten. So lange, bis in einem Turnschuh kein Gramm Plastik mehr enthalten ist und keine Kilowattstunde Kohlestrom. Denn erst dann können wir so viele Schuhe auf der Schildergasse shoppen, wie wir wollen, ohne unseren Planeten zu vernichten – ohne Verzicht und ohne schlechtes Gewissen.

Das Buch

Erik Flügge: Egoismus. Wie wir dem Zwang entkommen, anderen zu schaden 112 Seiten, Dietz-Verlag, 8,99 Euro.

Damit das gelingt, braucht es eine Politik, die den Rahmen gestaltet, statt sich zu empören. Sie muss regeln, dass jedes nachhaltige Produktionsverfahren, das entwickelt wurde, nach kurzer Zeit für alle zum verbindlichen Standard wird. So wird die Forschung für eine ökologische Wirtschaft, die zum Vorteil aller ist, auch zu einem geschäftlichen Vorteil für diejenigen, die in sie investieren. Kooperation zahlt sich aus. Je mehr und je öfter wir in möglichst vielen Situationen die Kooperation zur Bedingung für die persönliche Vorteilssuche machen, desto mehr setzt sich der Gedanke in allen Köpfen wieder fest: Am besten gewinnen wir gemeinsam.

Vielleicht fallen dann auch dem Mann mit dem Motorrad wieder seine Nachbarn ein, und er lässt uns alle endlich wieder schlafen.

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