Minister Reul im Jahres-Interview„Wir werden uns auch im privaten Raum einmischen“

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NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU)

Köln/Düsseldorf – Herbert Reul (CDU) will Partys an Weihnachten konsequent unterbinden. Er kündigt neue Maßnahmen im Kampf gegen Rechtsextremismus bei der Polizei an – und erklärt, wie in der CDU weiter geht. Der NRW-Innenminister im großen Jahres-Interview. Welches Thema hat Sie 2020 am meisten umgetrieben? Reul: Neben dem Kampf gegen Corona, der alles überschattet hat, waren das in meinem Bereich die Rechtsextremismus-Vorwürfe gegen Polizisten. Es hat mich überrascht, dass das Phänomen weiter verbreitet zu sein scheint, als ich gedacht hatte. Der rechte Schmutz, der in den Chat-Gruppen ausgetauscht worden ist, hat mich bestürzt. Wer rechtsextremes Gedankengut teilt oder vermeintliche Witze über Ausländer und Juden lustig findet, hat in der Polizei nichts zu suchen.

Der Rechtsextremismus-Verdacht hat sich im ersten Verfahrenskomplex allerdings nur bei 15 von 31 Polizisten bestätigt. Waren Sie bei den Suspendierungen zu voreilig?

Nein. Wir sind wie in jedem anderen Fall vorgegangen. Erstens: Fakten sichten, Zweitens: Material auswerten, Drittens: Bewerten. Die Polizei hat da keine Sonderrolle. Eine Suspendierung ist keine Vorverurteilung. Die Unschuldsvermutung gilt weiter. Bei Vorwürfen gegen Polizisten muss man aber besonders umsichtig vorgehen, da diese ja schließlich auch Waffen tragen. Zum Teil wurden die Suspendierungen aufgehoben, weil die Vorwürfe verjährt waren – und nicht deshalb, weil sich die Vorwürfe nicht bestätigt hätten.

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Warum haben Sie sich dann öffentlich entschuldigt?

Es waren auch einige wenige dabei, die „nur“ Hitler-Bilder auf dem Handy hatten, die von den Gerichten als Satire klassifiziert wurden. Mir ist klar, dass eine Suspendierung auch im privaten Umfeld der Polizisten einen Spießrutenlauf auslösen kann. Um diese Beamten müssen wir uns kümmern.

Razzia Essen Polizei

Polizeiwache in Essen: In vielen NRW-Behörden wurden rechtsextreme Chatgruppen bekannt.

Was wollen Sie tun, damit Polizisten weniger anfällig für rechte Gedanken werden?

Zunächst mal bringt es schon was, jeden Fall konsequent zu verfolgen und offensiv mit dem Thema umzugehen. Wir wollen Polizisten, die im täglichen Einsatz besondere Herausforderungen meistern müssen, besser unterstützen. Wer immer wieder von bestimmten Gruppen attackiert und beleidigt wird, ist vielleicht anfälliger für rechte Parolen als die Kollegen, die nicht ständig Anfeindungen ausgesetzt sind.

Daher wollen wir im nächsten Jahr verstärkt mit Supervisionen arbeiten, die von externen Experten betreut werden sollen. Zunächst wollen wir einen Modellversuch starten, um zu sehen, welche Wirkung das neue Instrument entfalten kann. Ich möchte, dass wir in der Polizei zu einer Kultur kommen, in der die Beamten untereinander besser auf sich aufpassen. Leuten, die anfällig für rechte Gesinnungen werden, müssen wir Hilfestellung geben.

Sie wollen in Köln eine Streife begleiten, die die Einhaltung der Corona-Schutzverordnung kontrolliert. Sind Verstöße ein großes Problem?

Ich bin optimistisch, dass es nicht viele Probleme geben wird. Ich will zeigen, dass wir es bei der Durchsetzung der Regeln ernst meinen, und die Kräfte von Polizei und Ordnungsamt voll unterstützen.

In NRW sind Partys verboten. Wird es Kontrollen in privaten Wohnungen geben?

Es wird keine beliebigen Kontrollen geben. Das wollen wir politisch nicht. Umgekehrt wollen wir aber eine rechtliche Handhabe haben, um dagegen vorgehen zu können, wenn jemand zu Hause eine Party feiert. Dann werden wir uns auch im privaten Raum einmischen, wenn es nötig ist. Ich bin sicher, dass die Polizei dabei über das nötige Fingerspitzengefühl verfügt.

Was heißt das?

Polizei muss die Verhältnismäßigkeit ihrer Maßnahmen immer abwägen. Es gibt ja nicht nur schwarz oder weiß, sondern auch Zwischentöne. Klar ist: Wo über die Stränge geschlagen wird, muss es Bußgelder geben.

Rechnen sie mit vielen illegalen Partys an Silvester?

Schwer zu sagen. Beim Start der Karnevalssession am 11.11. ist auch alles gut gegangen. Aber: Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es extensive Ausschreitungen geben kann. Deswegen wird die Polizei an Silvester sehr präsent sein. Wir werden in der Silvesternacht 4800 Beamte zur Verfügung haben, das ist mehr als im Vorjahr.

Polizei Köln Fußgänger

Neue Aufgaben in der Pandemie: In den Bahnhöfen und Innenstädten von NRW ist Polizei unterwegs, um die Einhaltung der Corona-Regeln zu sichern.

Ist das Verbot, im eigenen Garten Raketen zu zünden, nicht etwas übertrieben?

Das Land hat nur den Verkauf von Feuerwerk verboten und den Kommunen ermöglicht, öffentliche Plätze zu bestimmen, an denen nicht geknallt werden darf. Damit soll auch verhindert werden, dass die Krankenhäuser mit Unfallopfern zusätzlich belastet werden. Ob es verboten ist, im eigenen Garten zu knallen, ist kommunal unterschiedlich geregelt. Ich würde aber auch davon vorsichtshalber absehen.

Vor fünf Jahren haben die Ereignisse der Kölner Silvesternacht die Republik erschüttert. Es gab mehr als 1200 Anzeigen, aber nur drei Täter wurden wegen Sexualdelikten verurteilt. Wie finden Sie die „Fangquote“?

Das ist nicht gut. Aber man muss die Taten auch beweisen können, und das war oft leider nicht möglich. Da wären wir heute viel besser aufgestellt.

Warum?

Wir hätten heute einen ganz anderen Blick auf eine solche Lage. Plätze werden stärker ausgeleuchtet, die Kameras sind viel besser geworden. So können Straftaten heute präzise dokumentiert und verfolgt werden. Außerdem wird die Wahrscheinlichkeit, Taten überhaupt zu entdecken, damit deutlich erhöht. Damals war die Polizeitechnik leider nicht so weit. Zudem war die Videobeobachtung politisch auch gar nicht gewollt. Auch die Einsatzplanung würde heute professioneller laufen.

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Inwiefern?

Solche Einsätze müssen von einem Beamten des höheren Dienstes geleitet werden. Es geht nicht, dass die Spitzenbeamten zu Hause Feten feiern, während Polizisten mit niedrigerem Dienstgrad für sie die Verantwortung übernehmen. Ein Beamter des höheren Dienstes hat mehr Befugnisse, die von zentraler Bedeutung werden können. So ist er in der Lage, Verstärkung, aus anderen Behörden zu rufen.

Damals war viel von den „Nafris“ – Intensivtätern aus Nordafrika - die Rede. Hat die Polizei diese Tätergruppe weiterhin im Blick?

Klar. Uns wurde damals vorgeworfen, wir würden gezielt gegen Verdächtige mit dunkler Hautfarbe vorgehen. Das ist bei der Polizei aber verboten. Ich erwarte von meinen Polizisten allerdings schon, dass sie mit offenen Augen durch die Welt gehen und ein Auge auf diejenigen haben, bei denen der Verdacht größer ist, dass da was passiert, als bei anderen. Eine Oma, die nachts in der Stadt unterwegs ist, werden wir nicht so schnell verdächtigen, Drogen zu verkaufen. Man muss gucken, wer sich merkwürdig benimmt, und sich gezielt um jeden kümmern. Wenn wir die Probleme nicht benennen, kommen wir nicht weiter. Das hat mit der Nationalität nichts zu tun.

Politisch haben die Vorfälle der Silvesternacht der damaligen Landesregierung schwer geschadet...

Ja. Die Leute hatten den Eindruck, dass der Staat das Recht nicht mehr durchsetzen konnte. Darum kümmern wir uns jetzt. Wir konnten Vertrauen zurückgewinnen.

Wie passt ihre Strategie der „Null Toleranz“ zur Politik von Maß und Mitte, die Armin Laschet propagiert?

Das passt hundertprozentig. Null Toleranz heißt ja nicht einfach hart durchgreifen. Jeder Polizist muss abwägen, in welchem Maß er eingreift. Das macht den Beruf ja so anspruchsvoll. 

Armin Laschet will Bundesvorsitzender werden. Wie beurteilen Sie seine Chancen?

Wachsend gut. Die Coronakrise zeigt, dass für die Menschen ein verlässliches Vorgehen wichtig ist. Laschet steht zudem für eine Politik des Ausgleichs. Er führt die Menschen zueinander, anstatt sie zu trennen. Die CDU wird nicht gewinnen, wenn sie nur für eine Richtung steht.

Aber an der Basis hat Friedrich Merz viel Fans…

Merz ist gut für die Union, aber als Parteivorsitzender ist er nicht der Richtige, weil er polarisiert und nur für eine Denke steht. Es reicht nicht, wenn die Kerntruppe der CDU klatscht, aber die Wähler uns nicht mehr wollen. Ich befürchte, dass eine Wahl von Merz zum Parteivorsitzenden den Grünen Wähler zutreiben würde, die bislang die Merkel-CDU geählt haben. Daran können wir kein Interesse haben.

Oder ist Norbert Röttgen der lachende Dritte?

Das glaube ich nicht. Viele Delegierte aus NRW werden sich daran erinnern, wie bitter die Landtagswahl 2012 mit Röttgen an der Spitze für die CDU verloren gegangen ist. Die Umstände dieser Wahlniederlage, werden ihm bei der Wahl zum Bundesvorsitz nicht helfen.

Wenn Laschet nach Berlin wechselt, braucht die NRW-CDU einen neuen Chef. In der Union wird auch Ihr Name für den Posten genannt. Stünden Sie bereit?

Die Entscheidung kann man erst treffen, wenn Laschet Parteivorsitzender ist. Wenn wir klug sind, finden wir dann eine gemeinsame Lösung. Ob Kampfkandidaturen der richtige Weg sind, bezweifle ich. Ich bin auch nicht sicher, ob die Entscheidung über den Landesvorsitz eine Vorentscheidung für die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2022 sein muss.

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