Kommentar zum KriegWir brauchen Führung statt „Waschlappen-Debatten“

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Putin 300622

Wladimir Putin 

Seit genau einem halben Jahr tobt der Krieg in der Ukraine. Sechs Monate voller Qualen, Leid und Tod für die Zivilbevölkerung und für Tausende Soldaten auf beiden Seiten. Sechs Monate auch, um die von Olaf Scholz markierte „Zeitenwende“ politisch auszufüllen.

Heute, an einem traurigen Tag des Innehaltens und vorläufigen Bilanzierens, muss gesagt werden: Vom großen Wort des Bundeskanzlers ist wenig übrig geblieben. Weder ist Deutschland seiner Rolle als führendes Land in der Europäischen Union und den westlichen Bündnisstrukturen gerecht geworden, noch hat die deutsche Politik die Fallhöhe gehalten, die durch den Begriff der Zeitenwende vorgegeben war.

Die gegen den skrupellosen Autokraten, Kriegstreiber und Menschenverächter Wladimir Putin und sein Regime verhängten Sanktionen haben bislang nicht die gewünschten Erfolge erzielt. Im Gegenteil: Wie auch andere Nationen, die am anderen Ende von Putins Gasleitungen sitzen, wirkt Deutschland wie ein Spielball des Mannes im Kreml. Gashahn auf, Gashahn zu. „Reparaturen“ an Turbinen von Nordstream 1, verringerte Liefermengen oder ein kompletter Lieferstopp – all das lässt die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft zittern und macht den Menschen Angst.

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Derweil verdient Putin weiterhin an der weltweiten Nachfrage nach Energie und hat sich alternative Abnehmer gesucht, die vor seinem Angriffskrieg die Augen verschließen oder finden, der Westen habe es mit seinen diversen militärischen Interventionen in aller Welt doch auch nicht anders gehandhabt.

Krieg gegen Ukraine zeigt: Staatengemeinschaft ist keine Wertegemeinschaft

Daraus ergibt sich eine weitere bittere Erkenntnis: Die Staatengemeinschaft ist leider alles andere als eine Wertegemeinschaft. Das erschüttert zum einen das Zutrauen in die Verbindlichkeit des Völkerrechts und seiner Regelungen. Zum anderen muss der Westen – Deutschland eingeschlossen – aber auch einsehen, wie fundamental Wahrnehmungen, Bewertungen und Eigeninteressen großer Player auf der Weltbühne wie China oder Indien samt ihrer geostrategischen Einflusssphären voneinander abweichen.

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Während sich hier gewaltige Probleme auftun, die Putin in die Hände spielen und seine Macht eher stärken als schwächen, haben es die politisch Verantwortlichen in Deutschland zugelassen, dass die Debatte auf „Waschlappen-Niveau“ herabgesunken ist. Wie lange dürfen wir im Winter noch duschen? Wie dick muss der Wollpullover im Büro sein? Wie viel Licht soll in der Nacht noch auf unsere Kulturdenkmäler fallen? So richtig es ist, über Versorgungssicherheit und den bewussten Umgang mit Energie nachzudenken, so sehr gehen solche Diskussionen an der historischen Dimension des Krieges vorbei.

Es liegt in der Natur des Menschen, sich mit jeder noch so großen Katastrophe irgendwie zu arrangieren, wenn diese nur lange genug anhält. Für die Menschen in der Ukraine, die Tag für Tag mit der Angst vor russischen Bomben und Raketen umgehen müssen, ist diese Art von Gewöhnungseffekt ein Stück Überlebensstrategie. Bei uns im – immer noch – sicheren Westen sind Gewöhnung, Ermüdung und Konzentration auf die alltäglichen Belange hingegen gefährlich.

Putin triumphiert über moralische Ansprüche des Westens

In dem Maße, in dem die berechtigten Sorgen vor Inflation, Rezession und ihren Gefahren für den Wohlstand des Landes und den Lebensunterhalt von Millionen Menschen zur vorherrschenden Perspektive werden, triumphiert Putin mit seinem Zynismus über den moralischen Anspruch des Westens.

Es genügt daher nicht die routinierte Behauptung, dass die Ukrainer mit ihrem Abwehrkampf nicht nur für ihr Land einstünden, sondern auch für die Freiheit und die Werte des Westens. Den Worten müssen Taten und politische Führung folgen.

Es ist ein Desaster, dass die Ukraine im jetzt beginnenden siebten Kriegsmonat immer noch um Waffen betteln muss. Es ist beschämend, dass es der Bundesregierung nicht gelingt, auf ihren Reisen um die halbe Welt und in ihrer Ansprache der heimischen Bevölkerung die Prioritäten und Prinzipien deutscher Politik zu verdeutlichen, um ein Lieblingswort von Außenministerin Annalena Baerbock zu zitieren. Dieser Krieg muss enden. Putin muss ihn verlieren. Weil wir alle sonst verlieren.

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