Nominierung von der Leyens„Merkels Vorgehen ist klarer Bruch des Koalitionsvertrags“

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Ursula von der Leyen

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

  • Die Kanzlerin hat mit ihrem Agieren auf EU-Ebene Positionen ignoriert, denen die SPD „grundsätzliche Bedeutung“ beigemessen hat.
  • Michael Bertrams, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW, nennt das Vorgehen von Angela Merkel im Interview scheinheilig: nach außen brav, nach innen gerissen.

Herr Bertrams, die SPD hat lautstark ihrem Ärger über die Nominierung von Verteidigungsminister Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin Luft gemacht. Es gibt also wieder einmal Ärger in der großen Koalition. Sie sehen aber auch einen rechtlichen Konflikt?

Ich wundere mich, dass darauf in der Debatte bislang noch nicht so deutlich abgehoben wird. Das Vorgehen von Kanzlerin Angela Merkel steht in klarem Widerspruch zum Koalitionsvertrag von Union und SPD. Dort heißt es unter Punkt 4 über die Arbeit in der Bundesregierung: „Im Kabinett wird in Fragen, die für einen Koalitionspartner von grundsätzlicher Bedeutung sind, keine Seite überstimmt.“ Was ist die Nominierung für das wohl wichtigste Amt auf europäischer Ebene anderes als eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung? Damit ist völlig klar, dass Merkel nicht legitimiert war, Verteidigungsministerin von der Leyen als Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker vorzuschlagen oder einen entsprechenden Vorschlag – von wem auch immer er gekommen sein mag – zu akzeptieren und sich anschließend an der Nominierung durch den Rat der Staats- und Regierungschefs zu beteiligen.

Aber sie hat sich ja dann in der Abstimmung enthalten.

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Ich habe diesen Einwand von Regierungssprecher Steffen Seibert auch gehört. Aber das Argument geht so sehr am Problem vorbei, dass es nur scheinheilig genannt werden kann: nach außen brav, nach innen gerissen.

Inwiefern?

Scheinbar hat die Kanzlerin mit ihrer Stimmenthaltung der ablehnenden Haltung ihres Koalitionspartners SPD Rechnung getragen. Formal wirkt das korrekt. Inhaltlich aber hat die Kanzlerin die Personalie von der Leyen abgesegnet oder sie zumindest passieren lassen. Ohne ihr Plazet, ohne ein Signal des Einverständnisses wäre es ja gar nicht erst zu von der Leyens Nominierung gekommen. Die Annahme, der europäische Rat könnte gleichsam über den Kopf der Kanzlerin hinweg auf eine der wichtigsten Ministerinnen in ihrem Koalitionskabinett zugegriffen haben, ist komplett lebensfremd. Wenn man das zu Ende denkt, dann landet man – mit dem früheren SPD-Chef Sigmar Gabriel – bei der Option, dass die Staats- und Regierungschefs ja auch eine Sahra Wagenknecht oder einen Thilo Sarrazin als Kommissionspräsidenten hätten nominieren können, während die Kanzlerin tatenlos zugeschaut und die Hände zur Merkel-Raute geformt hätte. Eine zu Recht absurde Vorstellung. Das ist also schlechterdings ausgeschlossen. Und faktisch hat es das auch noch nie gegeben, dass der Kommissionspräsident ohne Zustimmung des jeweiligen Herkunftslandes bestimmt worden wäre.

Gabriel hat auch gesagt, die Nominierung von der Leyens hätte ins Kabinett gemusst.

Das ist so nicht richtig. Die gemeinsame Festlegung im Kabinett gilt nur für die Benennung des deutschen EU-Kommissars. Für den Kommissionspräsidenten gilt formal: Der europäische Rat, in dem die Kanzlerin die Bundesrepublik vertritt, nominiert den Kommissionspräsidenten, nicht das Bundeskabinett.

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Welchen rechtlichen Charakter hat eigentlich der Koalitionsvertrag?

Er ist eine politische Übereinkunft. Aber auch dafür gilt: Vertragswidriges Verhalten ist ein Rechtsbruch. Was sonst? Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten, das ist ein wesentlicher Rechtsgrundsatz. Was die Rechtsfolgen beim Bruch eines politischen Vertrags betrifft, können auch diese allerdings nur politischer Natur sein – anders als zum Beispiel im Zivilrecht. Keiner der Beteiligten wird zum nächsten Amtsgericht oder gar zum Verfassungsgericht laufen und gegen eine Vertragsverletzung klagen. Aber Sigmar Gabriel hat die politische Konsequenz ja bereits in den Raum gestellt: die Aufkündigung der Koalition.

Der hat als Ex-Minister und Ex-Parteichef gut reden.

Aber auch die kommissarischen Vorsitzenden und andere führende Vertreter der Partei sprechen von einer krassen Fehlentscheidung, die nicht die Zustimmung der SPD finde. Die ehemalige Justizministerin und SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, hat erneut darauf hingewiesen, dass für die SPD das Spitzenkandidaten-Prinzip gilt – dass also einer derjenigen Kommissionspräsident wird, die sich den Bürgern der EU vor der Europawahl als Bewerber für das Amt präsentiert haben. Das war der SPD im Wahlkampf ein Anliegen „von grundsätzlicher Bedeutung“. Die Kanzlerin hat das ignoriert und damit klar den Koalitionsvertrag gebrochen. 

Das Gespräch führte Joachim Frank 

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