Seit der Hochstufung der AfD vor sechs Monaten durch den Verfassungsschutz richten sich die Blicke auf Nordrhein-Westfalen - aus mehreren Gründen.
Gesamtpartei eingestuft, NRW-Verband nichtDiese Befugnisse hat der Verfassungsschutz bei der AfD

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln-Chorweiler.
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Sechs Monate sind vergangen, seit der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ einstufte. Die Debatte um ein AfD-Verbot wird seitdem erbitterter denn je geführt. Den Höhenflug der Partei stoppte die Hochstufung dagegen nicht: In Umfragen ist die AfD heute stärkste politische Kraft.
Mit der Hochstufung ordnete der Verfassungsschutz die Partei in seine höchste Beobachtungskategorie ein. Bei der Frage, was das für den AfD-Landesverband in Nordrhein-Westfalen bedeutet, bleibt es jedoch kompliziert. Denn obwohl das Gutachten zur Einstufung der Bundespartei als „gesichert rechtsextremistisch“ einige Zitate von Politikern aus NRW enthält, wird der AfD-Landesverband vom zuständigen Landesamt für Verfassungsschutz in Düsseldorf nicht entsprechend geführt. Darauf scheint die Partei auf Landesebene auch großen Wert zu legen. Nach der Hochstufung der Gesamtpartei titelte die Düsseldorfer Landtagsfraktion in einer Mitteilung: „AfD NRW gesichert nicht rechtsextrem.“
Das allerdings stimmt so auch nicht. Teile der NRW-AfD werden auch durch den Landesverfassungsschutz beobachtet. Sowohl der „völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss innerhalb der AfD (ehemals Flügel)“ als auch die inzwischen aufgelöste „Junge Alternative NRW“ tauchen im jährlichen Landesverfassungsschutzbericht auf. Was die Frage aufwirft: Welche Befugnisse haben Landes- und Bundesamt für Verfassungsschutz eigentlich mit Blick auf die AfD in Nordrhein-Westfalen?
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Auch bei der Hochstufung der Bundespartei schaut die Öffentlichkeit auf Nordrhein-Westfalen. Die Bundes-AfD reichte erneut Klage ein. Da der Verfassungsschutz seinen Sitz in Köln-Chorweiler hat, liegt das Verfahren beim Verwaltungsgericht Köln. Hier ein Überblick zum Stand der Dinge.
Welche Kategorien der Einstufung gibt es?
Der Verfassungsschutz ordnet mögliche Extremisten und deren Umtriebe in drei Kategorien ein. Die niedrigste ist der Prüffall: Der Verfassungsschutz prüft, ob Anhaltspunkte für eine Beobachtung vorliegen. Eigenes Handeln ist in dieser Kategorie noch sehr begrenzt, nachrichtendienstliche Mittel setzt die Behörde nicht ein. Sie darf nur öffentlich verfügbare Informationen sammeln. Gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht in das nachrichtendienstliche Informationssystem (Nadis) eingespeist werden.
Zweite Stufe ist der Verdachtsfall: Ein verfassungsfeindliches Ziel erscheint plausibel. Ab diesem Zeitpunkt stehen Betroffene tatsächlich im Visier des Inlandsnachrichtendienstes. Das bedeutet: Er darf auch verdeckt agieren und zum Beispiel V-Leute einsetzen. Eine Verdachtsfall-Einstufung ist zeitlich begrenzt. Die Behörde muss sich entscheiden, ob sie die Beobachtung einstellt oder hochstuft.
Letzteres bedeutet: Eine Partei oder Bestrebung wird als „gesichert extremistisch“ beobachtet, die höchste Kategorie. „‚Gesichert extremistisch‘ bedeutet: Der Verfassungsschutz ist davon überzeugt, dass eine Bestrebung oder Partei unseren demokratischen Rechtsstaat beseitigen oder zumindest aushöhlen will“, erklärt Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität Köln.
Welche Landesverbände der AfD sind eingestuft?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz bewertet die Gesamtpartei, zusätzlich sind die Landesämter für den jeweiligen Landesverband verantwortlich. Die meisten AfD-Landesverbände wurden als Verdachtsfall oder „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Ausnahme: Hamburg und NRW sind nicht eingestuft. In Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ist der Status unbekannt. Hier informiert der Verfassungsschutz erst über eine Einstufung, wenn die Kategorie „gesichert rechtsextrem“ erreicht ist. Das Saarland informiert grundsätzlich nicht über Beobachtungen, auch nicht bei einer Einstufung als „gesichert rechtsextrem“. In Rheinland-Pfalz nutzt der Verfassungsschutz die Kategorien der Einstufungen nicht, orientiert sich aber am Bundesamt für Verfassungsschutz und beobachtet folglich „extremistische Strukturen in der Partei Alternative für Deutschland“.

Einstufung der AfD-Landesverbände.
Copyright: Quelle: Innenministerien der jeweiligen Bundesländer. Grafik: Florian Summerer
Wieso ist der NRW-Landesverband der AfD nicht eingestuft?
„Die Voraussetzungen, den Landesverband der AfD in NRW öffentlich zu bewerten, liegen weiterhin nicht vor.“ So formulierte es ein Sprecher des Innenministeriums in Düsseldorf im Mai. Und: „Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen hat alle Entwicklungen eng im Blick und wird sich dazu äußern, sobald die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen.“ Ob diese „rechtlichen Voraussetzungen“ auch künftig fehlen, hängt von mehreren Faktoren ab. In seinem jüngsten Bericht schreibt der NRW-Verfassungsschutz dem beobachteten „völkisch-nationalistischen Personenzusammenschluss in der AfD“ einen „relevanten, jedoch nicht dominierenden Faktor im Landesverband“ zu.
„Für eine Einstufung reichen Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger nicht aus“, sagt Juraprofessor Ogorek. „Die jeweilige Vereinigung muss dafür von einer entsprechenden Grundtendenz beherrscht werden.“ Verfestigt sich der Einfluss von Extremisten, ändert der Verfassungsschutz seine Bewertung.
In Nordrhein-Westfalen gehört ein Großteil des Landesvorstands zum parteiinternen Lager um Landeschef Martin Vincentz, der sich in einem Machtkampf mit dem rechtsradikalen Lager sieht. Vincentz' Rückhalt in der tief zerstrittenen Partei bröckelt. Im März wählt die NRW-AfD auf ihrem Landesparteitag einen neuen Vorstand. Sollte der „völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss in der AfD“ zu einem „dominierenden Faktor“ werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Düsseldorfer Verfassungsschutz den gesamten Landesverband einstuft.
Darf der Verfassungsschutz in der NRW-AfD V-Leute anheuern?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf V-Leute einsetzen. Schließlich hat es die AfD schon 2021 als Verdachtsfall eingestuft, und der Landesverband ist Teil der Gesamtpartei. Komplizierter wird es wieder, wenn man nach Düsseldorf schaut, zur Landesbehörde für Verfassungsschutz: Diese darf V-Leute ausschließlich im Umfeld des „völkisch-nationalistischen Personenzusammenschlusses“ beschäftigen, weil sie nur diesen eingestuft hat.
Allerdings ist die Bedeutung von V-Leuten im Zusammenhang mit der Beobachtung von Parteien ohnehin stark gesunken. Nach der Selbstenttarnung der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU entbrannte eine Debatte über den Einsatz von V-Leuten. 2015 änderte die Bundesregierung das Verfassungsschutzgesetz. Dort stehen nun einige Einschränkungen: V-Leute dürfen nicht Abgeordnete oder Mitarbeiter von Parlamentariern sein. „Es muss einen parlamentarischen Raum geben, der frei von der Beobachtung des Verfassungsschutzes ist“, fasst Ogorek zusammen. Zudem gilt: V-Leute dürfen nicht vom Geld des Verfassungsschutzes abhängig sein. Über die Verpflichtung einer V-Person entscheidet ein Behördenleiter oder sein Stellvertreter. Im Falle eines Parteiverbotsverfahrens müsste der Verfassungsschutz vorher alle V-Leute abziehen, und er dürfte die Prozessstrategie der Partei nicht ausspähen.
Nach der Hochstufung der Bundes-AfD als „gesichert rechtsextrem“ gab der Verfassungsschutz eine „Stillhaltezusage“ ab. Diese gilt weiterhin. Was bedeutet das?
Der Verfassungsschutz verzichtet vorläufig darauf, die AD öffentlich „gesichert rechtsextremistisch“ zu nennen - zumindest, bis das Verwaltungsgericht Köln über den Eilantrag der Partei entschieden hat. Damit revidiert der Geheimdienst seine Einschätzung nicht, es ist eher ein üblicher Schritt. Als die AfD 2021 gegen die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall vorging, musste der Nachrichtendienst den ersten Gerichtsbeschluss abwarten, bevor er die Hochstufung tatsächlich umsetzen durfte.
Da der Verfassungsschutz in Köln sitzt, sind für Rechtsstreitigkeiten mit der Behörde immer die Gerichte in Nordrhein-Westfalen zuständig. Erste Instanz ist das Verwaltungsgericht Köln. Dort sind zurzeit zwei Verfahren anhängig: der Eilantrag und das Klageverfahren. Über den Eilantrag entscheidet das Gericht gegebenenfalls ohne mündliche Verhandlung, der Beschluss wird entweder verkündet oder schriftlich bekannt gegeben. Zusätzlich bearbeitet das Gericht das Klageverfahren, in dem es ein Urteil sprechen muss. Sollte das Verwaltungsgericht die Hochstufung bestätigen, kann die AfD in Berufung gehen. Das würde bedeuten: Der Fall ginge vor das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. Dieses hatte bereits im Frühjahr 2024 die Verdachtsfall-Einstufung bestätigt.

