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Noch lange nicht politikmüdeKarl Lauterbach: „Ich will mitentscheiden und Verantwortung tragen“

Lesezeit 7 Minuten
Karl Lauterbach wurde Anfang Mai mit Blumen aus dem Amt des Gesundheitsministers verabschiedet.

Karl Lauterbach wurde Anfang Mai mit Blumen aus dem Amt des Gesundheitsministers verabschiedet. 

Karl Lauterbach war Gesundheitsminister in einer herausfordernden Zeit. Im großen Kölner Stadt-Anzeiger blickt er zurück – und nach vorne.

Herr Dr. Lauterbach, Sie haben den Posten des Gesundheitsministers einmal als Ihren „Traumjob“ bezeichnet. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, diesen Traum nun loszulassen?

Karl Lauterbach: Das war für mich in der Tat ein Traumjob, schon weil ich als Arzt, aber auch als Gesundheitspolitiker seit mehr als 20 Jahren an diesen Themen arbeite. Die Notwendigkeit wichtiger Reformen war mir deshalb bewusst, ich habe auf die Position tatsächlich lange hingearbeitet.

Ich habe die Arbeit als Minister als Auftrag und große Ehre empfunden. Aber politische Ämter werden auf Zeit vergeben, es war deshalb klar, dass ich nicht auf Dauer Gesundheitsminister bleiben kann. Es geht bei so einem Amt in erster Linie um die Gesetze. Dann kommt mit großem Abstand die Partei. Und zum Schluss kommt die Person, also man selbst. Ich bin versöhnt mit der Lage, dass wir jetzt einen guten demokratischen Übergang gefunden haben, mit einer neuen Person an der Spitze.

Sie sagen selbst, dass Sie als Mediziner prädestiniert waren für diesen Job. Jetzt folgt Ihnen mit Nina Warken eine Juristin, die eher unbekannt ist im Gesundheitskosmos. Was erwarten Sie von ihr?

Ich glaube, dass sie eine faire Chance verdient. Sie wird das Amt anders führen, als ich das als Mediziner getan habe. Sie hat davon gesprochen, dass sie viel im Dialog machen möchte, sie hat sicherlich sehr gute Berater. Das ist ein anderer Zugang, der aber auch erfolgreich sein kann. Sie wäre nicht die erste zunächst fachfremde Ministerin, die gute Arbeit leistet. Ich traue ihr da alles zu und wünsche ihr Erfolg.

Bei der Cannabis-Legalisierung sind Frau Warken und ihre Partei, die CDU, anderer Meinung als Sie und die SPD. Man hat sich nun geeinigt, vor weiteren Entscheidungen die Evaluierung Ihres neuen Gesetzes abzuwarten. Wenn es am Ende doch zurückgedreht würde, welche negativen Folgen hätte das aus Ihrer Sicht?

Wir warten erstmal ab. Die Evaluation haben wir ja selbst geplant, wir wollten damit herausfinden, ob es uns durch das Gesetz gelingt, den Schwarzmarkt zu bekämpfen. Schließlich ist der Schwarzmarkt die Hauptgefahr beim Cannabis-Konsum, denn damit einher gehen toxische Beimengungen, toxische Konzentrationen, Kriminalität. Sollte die Evaluation zu dem Ergebnis kommen, dass sich da nichts positiv entwickelt hat, hätten wir das Gesetz ebenfalls wieder zurückgenommen oder modifiziert. Denn so muss Politik ja funktionieren: Eine demokratische Entscheidung wird auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Auswertung getroffen.

„Ich glaube, dass es ein Fehler wäre, Menschen wieder zu Kriminellen zu machen, die Cannabis konsumieren“

Haben Sie schon Hinweise, ob das mit der Zurückdrängung des Schwarzmarkts erfolgreich war?

Wir haben diese Daten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Ich persönlich glaube aber, dass die Legalisierung richtig war. Dass es ein Fehler wäre, Menschen wieder zu Kriminellen zu machen, die Cannabis konsumieren.

Ihr vielleicht wichtigstes Werk war die Krankenhausreform. Frau Warken hat jetzt gesagt, sie wolle diese „verbessern und nicht verwässern“. Was erwarten Sie?

Wir haben im Koalitionsvertrag, an dem ich ja mitverhandelt habe, genau das ausgemacht: dass die Krankenhausreform weiterentwickelt wird, dass es leichte Verbesserungen gibt, denn die Reform war ja noch nicht komplett fertig. Beispielsweise im Bereich der Geriatrie gibt es noch Handlungsbedarf.

Was wäre in der Geriatrie aus Ihrer Sicht noch zu tun?

Ich will da nicht vorgreifen, aber die Geriatrie ist als Leistungsgruppe bisher nicht ausreichend gut abgebildet. Wir haben es mit der größten Reform im Krankenhaussektor seit über 20 Jahren zu tun. Das geht nicht auf einen Schlag. Wir haben 90 Prozent umgesetzt, aber beispielsweise bei der Weiterentwicklung der Leistungsgruppen ist noch etwas zu tun.

Nina Warken (CDU), die neue Gesundheits-Ministerin, in Genf beim Auftakt der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Nina Warken (CDU), die neue Gesundheits-Ministerin, in Genf beim Auftakt der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Frau Warken hat auch gesagt, dass die Lage der gesetzlichen Krankenkassen dramatischer sei, als sie angenommen hat. Sie übernehme „ein System in tiefroten Zahlen“. Empfinden Sie das als Kritik an Ihrer Arbeit?

Nein, auf keinen Fall. Frau Warken hat gesagt, dass sie sich vor ihrem Amtsantritt mit den Problemen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht so intensiv auseinandersetzen konnte. Ich hatte noch in meiner Amtszeit ein Überbrückungsdarlehen beim Bundesfinanzminister beantragt und habe die Lage in den Koalitionsverhandlungen schonungslos dargestellt.

„Einsparungen sind in einem so ineffizienten und überteuerten System sehr gut möglich“

Wird man ein Desaster abwenden können?

Die Krankenversicherung kostet jährlich über 300 Milliarden Euro. Wir haben das mit großem Abstand teuerste System in Europa bei nur mittelmäßiger Qualität. Aber das ist zumindest in einer Hinsicht auch eine gute Nachricht, denn Einsparungen sind in einem so ineffizienten und überteuerten System durch Strukturreformen sehr gut möglich, etwa durch die Krankenhausreform oder die Digitalisierung. Und das bei besserer Qualität. Die Lage bei der Krankenversicherung ist damit günstiger als im Rentensystem, dort führt jede Einsparung zu sehr schmerzhaften Einschnitten.

Sie hatten noch Gesetze in der Pipeline, die Sie nicht mehr umsetzen konnten, weil Ihnen durch den Bruch der Ampelkoalition die Zeit ausgegangen ist. Ärgert Sie das?

Zunächst: Ich habe es für einen Fehler gehalten, dass die FDP die Bundesregierung verlassen hat. Ich habe es auch immer für falsch gehalten, dass die FDP versucht hat, Profil aufzubauen, indem sie die Opposition in der Regierung gespielt hat. Das ist unehrenhaft. Als Koalition muss man im Team fair spielen. Das ist wie im Mannschaftssport. Ich habe früher Fußball gespielt, wenn man da einen Mitspieler gehabt hätte, der immer den Eindruck erweckt, dass er lieber beim gegnerischen Team spielen würde, dann wäre der nicht lange im Team verblieben. Die FDP ist für ihr Verhalten aber nun auch bestraft worden. Sie ist jetzt in der außerparlamentarischen Opposition, wo sie auch hingehört.

Tatsächlich liegen noch einige Gesetze in der Schublade. Das Notfallgesetz, das Rettungsdienstgesetz, das Pflegekompetenzgesetz und das Pflegeassistenzgesetz. Ich habe mit Wohlwollen vernommen, dass Frau Warken diese Gesetze genau anschauen will. Ich werde da keine Ratschläge geben, aber wenn diese weitgehend fertigen Gesetze umgesetzt würden, könnten wir damit natürlich Zeit gewinnen.

Sind Sie im Rückblick auf ein Gesetz persönlich stolz?

Nein, persönlicher Stolz ist nichts, was einem Minister gut zu Gesicht steht. Natürlich ist manches gelungen, aber das war immer eine Teamleistung. Die Leute im Ministerium haben extrem hart gearbeitet, einige haben sich darüber auch beklagt, aber das Team BMG hat fantastisch gearbeitet. Ich war nur der Spielführer.

Und was war die größte Leistung des Teams?

Ich glaube, dass die beiden Reformen, die langfristig das System am meisten beeinflussen werden, natürlich die Krankenhausreform und die elektronische Patientenakte sind, aber auch das Medizin-Forschungsgesetz. Diese Dinge werden die Medizin in Deutschland verändern.

„Ich hätte das‚ Gesundes Herz-Gesetz‘ vorgezogen“

Gab es im Rückblick auch Fehler?

Wenn ich gewusst hätte, dass die FDP desertiert, dann hätte ich das „Gesundes Herz-Gesetz“ vorgezogen. Wir haben in Deutschland im westeuropäischen Vergleich die höchste Sterblichkeit an Herzinfarkten, Schlaganfällen und Kreislauferkrankungen. Zudem steigt durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen das Demenzrisiko stark. Und diese Demenzfälle verursachen später in der Pflege wieder hohe Kosten. Das ließe sich ändern. Unser Gesetz sah ein Screening-Verfahren vor, bei dem 25-Jährige, 40-Jährige und 50-Jährige systematisch auf ihr Risiko untersucht und behandelt werden. Die Zahl der Infarkte, Schlaganfälle und Demenzfälle könnte dadurch reduziert werden.

Welche Entwicklungen bereiten Ihnen gesundheitspolitisch aktuell die größten Sorgen, als Bürger, als Vater? Wo muss die neue Ministerin ran?

Ich möchte keine Vorschläge machen. Das muss die neue Ministerin tun. Ich glaube aber, wir brauchen insgesamt eine deutlich bessere Vorbeugemedizin. Wenn wir die Reformen weiterführen, dann wird das System moderner, effizienter und auch preiswerter werden.

Wie wünschen Sie sich Pflege für Sie persönlich, wenn Sie einmal darauf angewiesen sind?

Das muss jeder für sich selbst entscheiden, auch im Verbund mit der Familie. Ich möchte da meine eigenen Vorlieben nicht vortragen. Das ist sehr persönlich.

Aber ist das ein Thema, das Sie mit Ihrer Familie besprechen? Viele Menschen vermeiden solche Gespräche.

Natürlich sprechen wir darüber. Und auch andere Familien machen sich darüber Gedanken. Das größere Problem ist für viele ältere Menschen der finanzielle Aspekt. Viele haben Angst, dass sie die Pflege nicht mehr bezahlen können. Das muss sich ändern. Niemand soll Sorge haben, dass er oder seine Familie verarmen, nur weil die Pflege so teuer ist.

Sie werden als künftiger Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Forschung gehandelt. Wird das Ihre neue Aufgabe im Bundestag?

Wenn die Gremien mich dafür wählen, dann wäre das meine neue Aufgabe. Ja. Ich bin Arzt, aber auch Wissenschaftler. Ich glaube, dass wir die Wissenschaft massiv stärken müssen. Wir haben bei der künstlichen Intelligenz den Anschluss an einige wichtige Entwicklungen verloren, beispielsweise bei den großen Sprachmodellen. Und wir sind auch in der Medizinforschung nicht da, wo wir sein könnten. Wir sind abhängig von den Vereinigten Staaten. Würden die USA uns nicht mehr bedienen, verlören wir beispielsweise 70 bis 80 Prozent unserer Innovationen bei der Krebsbehandlung. Wir sind also derzeit selbst kaum noch in der Lage, eigenständig neue Wirkstoffe zu entwickeln.

Wir müssen unsere Forschungsergebnisse stärker nutzbar machen für Anwendungen in der Industrie, aber auch für Produktentwicklungen und für die Entwicklung von neuen Dienstleistungen. Wir wollen neue Absatzmärkte entwickeln. Wenn wir uns da verbessern, profitiert davon auch unsere Volkswirtschaft. Nebenbei liegt hier auch der Schlüssel für die Bewältigung der Klimakrise.

Haben Sie sich um den Posten aktiv bemüht?

Ja, ich will im Bundestag mitentscheiden und Verantwortung tragen. Zum Beispiel in der Medizinforschung. Ich werde zudem im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit den Bereich globale Gesundheit für unsere Partei verantworten.

Warum sind Sie so gerne Politiker? Sie könnten ja auch Arzt oder Wissenschaftler sein.

Für mich ist die Gestaltung der Rahmenbedingungen das Entscheidende. Ich will sie verbessern, darauf bin ich spezialisiert. Und ich glaube nicht, dass ich persönlich als Arzt oder als Wissenschaftler einen ähnlichen Einfluss hätte wie als Politiker.

Nach dem Verlust Ihres Amtes als Gesundheitsminister haben Sie trotz dieses Engagements vielleicht ein bisschen mehr Zeit für sich persönlich. Wie füllen Sie diese Zeit aus?

Ich hoffe, mehr Zeit für mein Privatleben zu haben. Wahrscheinlich wird es auch etwas mehr Spielräume für Tischtennis geben. Wenn ich nicht verletzt bin, spiele ich regelmäßig. Ich lese sehr viel, schaue gerne Kinofilme, nehme gern an Debatten teil. Ich habe eine Menge Hobbys, die viel Zeit kosten. Ich fürchte mehr Zeit, als ich auch künftig haben werde.