Reul prüft Änderungen beim Versammlungsrecht„Wir lassen uns nicht länger auf der Nase herumtanzen“

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Eine Fahne mit arabischer Schrift wehte bei der Kundgebung „Gaza unter Beschuss - gemeinsam gegen das Unrecht“ in Essen.

Eine Fahne mit arabischer Schrift wehte bei der Kundgebung „Gaza unter Beschuss - gemeinsam gegen das Unrecht“ in Essen.

Bei einer Demo in Essen hielten Islamisten Hassreden gegen Israel. Hätte die Polizei einschreiten müssen? NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) wirkte im Innenausschuss zerknirscht.

Herbert Reul ist seit 2017 Innenminister von NRW.  Die Null-Toleranz-Politik gegenüber Straftätern wurde seitdem zu seinem Markenzeichen. Ausgerechnet bezüglich der Anti-Israel Demonstration in Essen wirft ihm nun die Opposition vor, er habe seine Linie verlassen. „Wo ist der Nulltoleranz—Minister, wenn die Demokratie ihn braucht?“, fragt Christina Kampfmann, Innenexpertin der SPD. Hätte die Polizei massiver gegen Teilnehmer vorgehen sollen, die die Errichtung eines Kalifatsstaates forderten?

Bei der Demonstration seien insgesamt 450 Polizisten im Einsatz gewesen, sagte Reul. Weil es im Vorfeld Hinweise auf die Teilnahme der islamischen Gruppen „Generation Islam“, „Realität Islam“ und „Muslim Interaktiv“ gegeben habe, seien besonders robuste Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten im Einsatz gegeben. Doch diese Schritte wurden häufig nicht eingehalten, was vielfach für Unverständnis gesorgt hatte.

Islamisten trugen Taliban-Fahnen

Auch Reul wirkte darüber zerknirscht. „Ich kann gut verstehen, dass Sie die Bilder, die wir in den Medien sehen, irritieren, verunsichern und sicherlich auch verärgern“, sagte der CDU-Politiker zu den Abgeordneten. „Das geht mir genauso.“ In Essen sei die Polizei aber auf einen „Graubereich“ gestoßen. Die „innere Gesinnung von Versammlungsteilnehmern allein reicht nicht aus, um eine Versammlung zu verbieten“, sagte der Innenminister.

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Die in Essen gezeigten schwarz-weißen Taliban-Fahnen habe viele Menschen schockiert. Die arabischen Schriftzüge zitieren allerdings lediglich das islamische Glaubensbekenntnis – was nicht strafbar sei, so Reul. Daher können man nicht einfach sagen: „Die Fahne ist verboten und wird von der Polizei sichergestellt.“ Die Polizisten seien in Essen jedenfalls zu dem Schluss gekommen, „dass bei den festgestellten Fahnen und Bannern kein strafrechtlich relevanter Hintergrund erkennbar war“.

Einfach abfinden möchte sich Reul mit der Situation dennoch nicht. Er will neue Rahmenbedingungen schaffen, die es den Islamisten erschweren, den Staat weiterhin auszutricksen. Um die Strafbarkeit von Parolen und Flaggen besser bewerten zu können, sollen ab jetzt mehr Übersetzer und Islamwissenschaftler bei islamistischen Demos eingesetzt werden. Man werde nicht länger zulassen, dass Extremisten versuchten, den „Rechtsstaat vorzuführen“, sagte Reul. Es sei „aberwitzig“, wenn Menschen alle Vorzüge der westlich-liberalen Gesellschaft nutzen würden, um einen muslimischen Gottesstaat zu fordern, der „genau das Gegenteil von Freiheit, Wohlstand und Demokratie“ bedeuten würde.

400 Straftaten in NRW

An der Kundgebung in Essen hatten rund 3000 Menschen teilgenommen. Reul betonte, es sei „mehr als befremdlich“, dass sich Frauen und Männer bei der Versammlung getrennt voneinander aufstellen sollten. „Allen Frauen würde ich dringend empfehlen, darüber nachzudenken, ob das eine Versammlung sein kann, in der sie mitlaufen wollen“, so der CDU-Politiker.

Seit dem Terrorangriff durch die Hamas auf Israel wurden insgesamt mehr als 400 Straftaten in diesem Zusammenhang erfasst, darunter Volksverhetzung, Bedrohungen und Flaggenverbrennungen. Reul hatte einen Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geschrieben, in der er die SPD-Politikerin aufforderte, die Gruppen „Generation Islam“, „Realität Islam“ und „Muslim Interaktiv“ zu verbieten.

Das Landeskriminalamt in Düsseldorf hat unterdessen alle Informationen zu verbotenen islamistischen Symbolen und Kennzeichen zur Erstbewertung bei Demonstrationslagen zusammengestellt. Vereinzelte Versammlungsteilnehmer seien „sehr kreativ“ bei der Auswahl ihrer verwendeten Symbole und Kennzeichen gewesen, erklärte Reul: „Da wird zum Teil eben bewusst an der rechtlichen Grenze balanciert.“

Versammlungsrecht wird geändert 

Bislang wurde ein Ermittlungsverfahren gegen einen Hauptredner wegen Volksverhetzung eröffnet. Die Polizei wertet allerdings noch eigene Bilder und Aufnahmen aus sozialen Netzwerken aus, um nach Hinweisen auf strafbare Handlungen zu suchen. Bislang seien 50 GB an Datenmaterial zusammengetragen worden. 13 Ermittler beschäftigen sich mit der Auswertung. „Warten wir doch mal ab, ob da noch strafrechtlich relevante Anfangsverdachtsmomente herauskommen“, so der Innenminister.

Reul warb dafür, bei künftigen Demonstrationen Parolen und Symbole nicht isoliert zu betrachten. Derzeit werde geprüft, ob zusätzliche Auflagen möglich seien. Dabei sei zum Beispiel in den Blick zu nehmen, ob eine Versammlung eine „einschüchternde Wirkung“ auf die Bevölkerung haben solle. Eine Option bestehe möglicherweise darin, die deutsche Sprache als Versammlungssprache festzulegen. Bei der Überarbeitung des Versammlungsrechts könnten sich aufgrund der Erfahrungen von Essen „Anpassungsmöglichkeiten“ ergeben.

Auch Marc Lürbke (FDP), innenpolitischer Sprecher der Liberalen, forderte eine härtere Gangart im Umgang mit den Extremisten: „Wir dürfen nicht zulassen, dass sich radikale Islamisten und Antisemiten hinter unseren Gesetzen und Freiheiten verstecken, die sie selbst abschaffen.“

Es sei ein selbstverständliches Grundrecht, dass jeder Mensch Versammlungen abhalten könne, bekräftigt Reul. „Aber auf der Nase herumtanzen lassen wir uns nicht.“

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