Politologe zur Landtagswahl„Bundestrend spielt eine große Rolle“

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Hendrik Wüst (l.) und Thomas Kutschaty 

  • Der Bonner Politologe Frank Decker spricht über die Ergebnisse des neusten NRW-Checks und die Gründe, warum die SPD nicht von der Mallorca-Affäre profitieren konnte.

Herr Professor Decker, was springt Ihnen beim jüngsten „NRW-Check“ ins Auge?  Frank Decker: Der geringe Zufriedenheitswert für die Landesregierung und den Ministerpräsidenten. Es gibt auch keinen erkennbaren Amtsbonus. Der Vergleich mit Schleswig-Holstein, wo schon am kommenden Sonntag gewählt wird, zeigt das sehr deutlich. Dort überträgt sich die hohe Beliebtheit des amtierenden Ministerpräsidenten Daniel Günther, auf die Präferenz für seine Partei, die CDU. In NRW ist das nicht der Fall. Hier bekommt die Landesregierung schlechte Noten ausgestellt gerade auf den Politikfeldern, auf denen sie 2017 mit dem Versprechen angetreten war, die Dinge zum Besseren zu wenden. Das gilt speziell für die Schul- und Verkehrspolitik, die schon vor fünf Jahren gewissermaßen die Sargnägel der Landesregierung waren – damals der rot-grünen. Wenn die Bewertung für die amtierende Regierung so schlecht ausfällt und der Beliebtheitsvorsprung des Ministerpräsidenten so knapp ausfällt, dann lässt das den Schluss zu, dass hier eine Niederlage droht.

Die CDU hat aber zuletzt wieder zugelegt. Ihre Prognose aus dem April, dass die „Mallorca-Affäre“ der Partei von Ministerpräsident Hendrik Wüst schaden werde, scheint sich nicht bestätigt zu haben.

Das liegt zum einen daran, dass die SPD durch das Ausspähen der Tochter von Ex-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser im Zuge der Affäre selbst in Misskredit geraten ist. Zum anderen wurde die Angelegenheit durch andere, drängendere Themen überlagert. Aber man darf den hohen Anteil von Briefwählern nicht vergessen, die ihre Stimme schon vor einigen Wochen abgegeben haben – und da eben noch stärker unter dem Eindruck der Affäre.

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Zur Person

Frank Decker

Frank Decker

Frank Decker, geboren 1964, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn und wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik.

Welche Themen-Überlagerung halten Sie für wesentlich?

Der Bundestrend spielt derzeit eine große Rolle. Die Ukraine-Krise dominiert das politische Geschehen. Hier standen Bundeskanzler Olaf Scholz und mit ihm die SPD unter massivem Druck. Das ändert sich gerade. Er wird ja inzwischen von zwei Seiten angegriffen: Den einen agiert er nicht beherzt genug, die anderen beschimpfen ihn als Kriegstreiber. In dieser Situation kann er mit seinem betont besonnenen Auftreten punkten – und das hilft auch der SPD im Land. Für die Union wiederum kommt aus Berlin wenig bis gar kein Rückenwind. Ich erwarte aber insgesamt bis zur Wahl keine großen Verschiebungen im Stimmungsbild mehr.

Dann schauen Sie doch schon mal über den Wahltag hinaus!

Da sehe ich die SPD in komfortableren Situation als die CDU. Deren Wunschpartnerin, die FDP, ist schwach. Dagegen sind die Grünen, mit denen die SPD liebäugelt, ausgesprochen stark. Das spiegelt sich auch in den persönlichen Werten von Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur, die für eine Oppositionspolitikerin erstaunlich gut sind. Aus der Stärke der Grünen folgt für die SPD, dass sie auch als Zweitplatzierte siegen kann – nämlich im Bündnis mit den Grünen, womöglich nur mit ihnen, aber auf jeden Fall zusätzlich mit der FDP in einer Ampelkoalition.

Zusammen mit den Grünen hätte nach jetzigem Stand aber auch die CDU eine Mehrheit. Ist Schwarz-Grün mehr als ein rechnerisches Planspiel?

Es könnte Teil eines Pokers werden, wenn die Alternative „Schwarz-Grün oder Ampel“ lauten würde. Der Grünen-Landesverband in NRW blinkt links. Und wenn man auf die Themen-Präferenzen der Partei-Anhänger schaut, dann ist die Übereinstimmung der Klientel von SPD und Grünen etwa beim Klimaschutz schon sehr deutlich. Andererseits könnten starke Grüne der CDU eine Menge Zugeständnisse abringen – und damit mehr von ihrer eigenen Politik durchsetzen als in einem Dreierbündnis, in dem neben der SPD auch noch die FDP vertreten wäre. Und die FDP, das sieht man auf der Bundesebene, ist aus grüner Perspektive die bremsende Kraft.

Gibt es vielleicht eine Art Schamgrenze für die Grünen für den Fall, dass die Union sehr deutlich vor der SPD landet?

Ich halte einen anderen Punkt für wichtiger. Eine Ampel in NRW wäre die Nachbildung der Konstellation im Bund, die ja – wie wir zusehends feststellen – eine schwierige ist. Daraus ergibt sich der natürliche Wunsch aller Beteiligten, dieses Bündnis politisch abzusichern. Für eine solche Stabilisierung der Verhältnisse wäre eine weitere Ampel bestens geeignet, zumal im bevölkerungsreichsten Bundesland.

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