Berühmtes Merkel-SelfieWie lebt Anas Modamani heute?

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Modamani dpa neu

Berühmtes Bild: Am 10. September 2015 macht Anas Modamani gemeinsam mit Angela Merkel ein Selfie. Wie er heute erzählt, wusste er zu dem Zeitpunkt nicht, dass sie die deutsche Bundeskanzlerin ist.

  • Ein Selbstporträt mit der Bundeskanzlerin machte den jungen Syrer Anas Modamani 2015 zum bekanntesten Flüchtling Deutschlands.
  • Wie geht es ihm heute? Die Geschichte des Mannes, für den dieses Bild Fluch und Segen zugleich war.

Berlin – Das Wasser ist trüb geworden, das ist Anas Modamani nicht entgangen. Am Anfang war es klar, da konnte er bis auf den Grund sehen, auf die Füße der Enten, den sandigen Boden. Jetzt ist es grün, eine blickdichte Brühe.

Anas Modamani ist oft hier, an dem Teich im Fennpfuhl-Park im Berliner Stadtteil Lichtenberg, er setzt sich auf die Stufen, füttert die Enten, und er hat auch eine Idee, woran es liegt, dass das Wasser trüb wurde. “Die Leute werfen das Futter einfach ins Wasser”, sagt er, “viel zu viel und dann geht es unter.” Er hat das früher selbst so gemacht. Bis ihn eine Frau darauf hinwies, wie es richtig geht: dass er das Futter auf die Stufen legen soll. “Dann können sie es sich holen”, sagt er, und das Wasser bleibt sauber.

Vor fünf Jahren kam Anas Modamani nach Deutschland

Genau fünf Jahre ist es her, dass Anas Modamani nach Deutschland kam. Ende August 2015 stieg er am Münchner Hauptbahnhof aus dem Zug, ein paar Tage bevor die Menschen dort die Ankommenden mit Beifall begrüßten. 23 ist er jetzt, ein noch immer junger Mann in weinrotem Jeanshemd, mit kurzem schwarzem Haar, nur der Körper ist deutlich kräftiger, das Gesicht voller als auf jenem Foto, das ihn bekannt machte: dem Bild, das ihn zeigt, wie er mit Angela Merkel ein Selfie aufnimmt.

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Das Foto ging um die Welt. Es wurde zum Symbol für jenen neuen Stil, mit dem Deutschland damals auf einmal die Geflüchteten empfing, die vor Krieg und Gewalt aus Syrien und von anderswo hierher gekommen waren, für die Willkommenskultur. Unter den Hunderttausenden, die in jenen Tagen und Wochen nach Deutschland kommen, wurde er somit der berühmteste. Ein Gesicht in der Masse der Anonymen.

Das machte es ihm leicht, weil es Menschen gab, die ihm helfen wollten. Und es machte es ihm schwer, weil es andere gab, die ihre Angst, ihre Verunsicherung, auch ihren Hass auf ihn projizierten. Auf jeden Fall machte es aus der Geschichte von Anas Modamani auch einen Spiegel für die Deutschen und ihre Haltung zu all den Menschen, die nun zu ihnen drängten, und zu jenem Satz, den die Kanzlerin in jenen Tagen sagte: “Wir schaffen das.”

Es ist Nachmittag, Anas Modamani geht durch das Viertel, in dem er nun zu Hause ist, vorbei an modernisierten Plattenbauten, über die Schienen der Straßenbahn, die hier zwischen den Blöcken hindurchgleitet.

Mit 17 floh er aus Syrien

Ob dieses Foto sein Leben verändert hat? “Natürlich”, sagt Anas Modamani. Ob es ihm mehr geholfen oder geschadet hat? Das ist nicht sicher.

Wer ihn in seiner freundlichen Bestimmtheit erlebt, der wird jedenfalls sagen: Gebraucht hat er es eher nicht.

Zu dem Zeitpunkt, als er Angela Merkel die Hand auf die Schulter legte und sein Handy vor ihnen in die Höhe hielt, lag seine Flucht aus Syrien ungefähr zwei Monate zurück. Er und seine Familie – seine beiden älteren Schwestern, der jüngere Bruder, seine Eltern – lebten in Darija, einem Vorort von Damaskus, einer Oppositionshochburg, in der es immer wieder Kämpfe und Zerstörung gab. Anas hatte gerade sein Abitur gemacht, an der privaten katholischen Schule, auf die ihn seine muslimischen Eltern geschickt hatten, da kam der Einberufungsbescheid zur syrischen Armee.

„Wir werden stolz auf dich sein“

Es war nicht der 17-jährige Anas selbst, der jetzt den Entschluss fasst, zu gehen. Es waren seine Eltern, die ihn nun schweren Herzens auf die Reise schickten. Sein Vater, ein Elektriker, und seine Mutter, eine Krankenschwester, die sich zu Hause um den jüngeren behinderten Sohn kümmerte, gaben ihm die Ersparnisse, 3000 Euro. “Wir werden stolz auf dich sein”, sagte sein Vater beim Abschied am 9. August jenes Jahres. Seitdem hat er seine Eltern nicht mehr gesehen.

“Das Ziel”, sagt Anas Modamani, “war erst mal einfach raus aus Syrien.” Die erste Etappe ist noch die einfachste, mit dem Flugzeug geht es nach Izmir. Für den Weg über das Mittelmeer, in einem Boot mit Dutzenden anderen, braucht er drei Anläufe: Beim ersten versagt der Motor. Beim zweiten bringt sie die türkische Küstenwache auf. Beim dritten schließlich geht das Boot einige Hundert Meter vor der griechischen Insel unter, er schwimmt zum Strand. An Bord waren auch Familien mit Kindern. Wer es geschafft hat, hat Anas Modamani nicht erfahren. “Sicher waren es nicht alle”, sagt er. Als er auf europäischem Boden steht, erzählt er, schreibt er als Erstes seiner Mutter eine Nachricht.

Zu Fuß geht es weiter auf jener Strecke, die sich damals als Balkanroute etabliert, über die griechisch-mazedonische Grenze, weiter nach Serbien, Ungarn, von Budapest mit einem Schlepper im Auto nach Wien, 500 Euro zahlen er und jeder seiner Mitfahrer, ein gutes Geschäft für den Schlepper. Von Wien mit dem Zug nach München, wo er einen Freund hat, dann weiter nach Berlin.

Als er hier, im Aufnahmelager in Spandau, am Mittag des 10. September 2015, gerade zum Einkaufen gehen will, bemerkt er eine ungewöhnliche Geschäftigkeit. Drei schwarze Wagen rollen auf das Gelände. Anas Modamani versichert noch heute, er habe nicht gewusst, wer die Frau war, die da, abgeschirmt von Bodyguards, das Aufnahmeheim besuchte. Er tut einfach das, was er überhaupt gern tut, wenn er sich in besonderen Situationen glaubt: Er fotografiert. Als Merkel bemerkt, dass er ein Foto mit ihr machen will, lässt sie es zu. Ein Agenturfotograf hält die Szene fest, fragt nach Modamanis Namen und schickt beides zusammen in die Welt.

Es ist die Hochzeit der Begeisterung, von der man im Nachhinein nicht mehr ganz sagen kann, ob sie wirklich den Menschen gilt, die da nach Deutschland kommen, oder ob sich da ein Land auch ein wenig an seiner neu entdeckten Weltoffenheit berauscht. Jedenfalls schaut Merkel auf dem Bild etwas unsicher. Aber sie scheint kein Arg zu haben. “Erst ein paar Minuten später”, sagt Anas Modamani heute, “wurde mir gesagt, dass sie die Kanzlerin ist.”

Man kann seine Geschichte von diesem Moment an leicht als Glücksgeschichte erzählen. Anas Modamani erhält Hunderte Nachrichten, Freundschaftsanträge sind darunter, auch die Familie, bei der er zwei Jahre lang wohnen wird, findet er auf diesem Weg. Er arbeitet bei McDonald’s an der Kasse, lernt Deutsch, immer besser. Heute spricht er es fast fehlerfrei.

Immer mehr wuchs in Deutschland die Skepsis

Nur mischt sich in die Begeisterung mit den Monaten auch eine immer stärkere Skepsis, als klar wird, dass es auch nicht nur einfach ist, wenn Hunderttausende ins Land kommen, und Integration mehr bedeutet, als mit Blumen am Bahnhof zu stehen. Auf den Straßen steigert Pegida diese Ernüchterung in offenen Hass und Verachtung, das Netz füllt sich mit Hetze und Verleumdung. Nach den Anschlägen von Brüssel im März 2016 kursieren Montagen im Netz, die ihn als einen der Attentäter zeigen sollen, später wird er mit dem Mord an einem Obdachlosen in Berlin in Zusammenhang gebracht.

Die Fälschungen zielen auf Merkel. Aber sie treffen auch ihn, Anas Modamani, den immer noch gerade erst 18-Jährigen aus Syrien. Einmal redet eine Frau in der U-Bahn auf ihn ein. Sie erkenne ihn, er sei der Attentäter, ruft sie, ein Terrorist, ein Terrorist. Anas Modamani versucht nur kurz, sie vom Gegenteil zu überzeugen. “Mein Deutsch”, sagt er, “war damals noch zu schlecht.” An der nächsten Haltestelle ist er ausgestiegen.

Anas Modamani lässt es sich nicht gefallen. Bekannte bringen ihn mit dem Würzburger Anwalt Chan-you Jun zusammen. Mit seiner Hilfe verklagt er Facebook, weil sich das Unternehmen weigert, die Posts von sich aus zu löschen. Ausgerechnet Facebook, auf dem es die Gruppe “Der Weg nach Europa” gab, in der er auf seiner Flucht nach Deutschland Infos zu Wegen, Orten, Helfern fand – und das ihm jetzt, als ungezügelter Verbreiter von Falschnachrichten, zum Fluch wurde.

Den Prozess verlor Anas Modamani. Doch zugleich war er ein Sieg. Weil es ihm gelungen war, Facebook überhaupt vor Gericht zu zerren. Und weil der Prozess auch eine Bühne war. “Ich konnte meine Geschichte erzählen”, sagt er heute. “Ich konnte etwas richtigstellen.”

„Heimat ist, wo man Freunde und Sicherheit hat“

Für Anas Modamani ist Öffentlichkeit noch immer eher Schutz als Bedrohung. Trotz allem. Wahrscheinlich sagt auch das etwas über die vergangenen fünf Jahre in Deutschland. Darüber, dass Hass hier jedenfalls nicht vorherrscht.

“Heimat ist, wo man Freunde und Sicherheit hat”, sagt Anas Modamani. “Ich fühle mich hier wie in meiner Heimat.”

Er steht nun vor einem Wohnblock, schließt auf, im sechsten Stock liegt die Wohnung, in der er seit drei Jahren lebt. Ein enger Flur, ein Wohnzimmer, abgetrennte Küche. Seit dem Herbst wohnt er hier mit Anna, seiner Freundin. Sie stammt aus der Ukraine, kennengelernt haben sie sich an der Hochschule. Sie studiert Maschinenbau, er kommt ins dritte Semester Wirtschaftskommunikation. Sie kannte das Bild von ihm und Merkel nicht, erzählt sie, “er hat mir erst später davon erzählt”. Das war für Anas Modamani mal etwas Neues.

Das Studium finanziert er mit Bafög, zusätzlich jobbt er. Als die Veranstaltungshalle, bei der er vorher arbeitete, wegen Corona schloss, ging er zu Edeka und bewarb sich dort. “Ich habe gesehen, dass die enorm viel zu tun haben und eine wichtige Arbeit machen.” Seitdem sitzt er dort an der Kasse, oft bis in den späten Abend.

Wie es mit Anas Modamani weitergeht, ist unklar

Studienplatz, sehr gutes Deutsch, eigene Wohnung, viele Freunde. Anas Modamani weiß, dass seine Geschichte zumindest bislang eine Erfolgsgeschichte ist – und dass sie nicht für alle typisch ist, die 2015, wie er, nach Deutschland kamen. Er erzählt von anderen, die keine Arbeit fanden, die noch immer im Flüchtlingsheim leben. Zu manchen hat er noch Kontakt. Wie er die Stimmung hier heute im Land empfindet, fünf Jahre später?

“Deutschland war nicht vorbereitet”, sagt er, doch der Satz klingt nicht anklagend, sondern eher nachsichtig gegenüber einem Land, das nicht wissen konnte, was alles vor ihm liegt.

Wie es weitergeht? Das ist auch für Anas Modamani noch nicht klar. Seine Aufenthaltsgenehmigung wurde gerade um zwei Jahre verlängert. Nach Syrien muss zumindest derzeit niemand zurück. Aber danach ist theoretisch vieles offen. Anas Modamani will bleiben, das ist sicher. Ein Jahr muss er dann noch überbrücken, dann kann er die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. “Ich hoffe sehr, dass das gelingt.”

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Dann drängt Modamani zum Aufbruch. Seine Schicht an der Kasse bei Edeka beginnt. Schon seit einer halben Stunde hat er die Uhr im Blick, sehr zeitig geht er nun los. Ein kurzer Abschied vor dem Supermarkt, dann eilt er hinein. Zu spät gekommen sei er noch nie, sagt er noch, und es klingt, als mache es ihm Spaß, dafür zu sorgen, dass das noch lange so bleibt.

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