Holocaust-GedenkenRednerinnen finden im Bundestag klare Worte für AfD

Lesezeit 4 Minuten
Marina Weisband Rede

Marina Weisband nach ihrer Rede im Bundestag anlässlich der Holocaust-Gedenkstunde. Kanzlerin Angela Merkel applaudiert ihr.

Berlin – Seit 25 Jahren begeht der Bundestag den Holocaust-Gedenktag, immer mit einer oder zwei Gastreden. Es sprachen Zeitzeugen wie Klaus v. Dohnanyi, Holocaust-Überlebende wie Anita Lasker-Wallfisch, Staatsoberhäupter wie Frank-Walter Steinmeier und Israels Präsident Reuven Rivlin. Zum ersten Mal aber traten am Mittwoch zwei Rednerinnen aus zwei Generationen ans Pult: Charlotte Knobloch (88), Vorsitzende der Münchner jüdischen Gemeinde, und die Publizistin Marina Weisband (33).

Knobloch überlebte den Holocaust unter falschem Namen in einem fränkischen Dorf, Weisband wurde in der Ex-Sowjetunion geboren, wie die übergroße Mehrzahl der deutschen Jüdinnen und Juden ihrer Generation.

Beide berichteten aus ihren Familiengeschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, doch die Schlüsse, die sie zogen und die Appelle, die sie ans Parlament und ans heutige Deutschland richteten, waren die gleichen: Kämpft für die Demokratie! Stellt euch gegen Verschwörungserzählungen, gegen Rassismus und Antisemitismus, verteidigt die Rechte der Minderheiten!

„Ich stehe vor Ihnen – als stolze Deutsche“, beginnt Knobloch ihre Rede. Sie erinnert an ihre Großmutter Albertine Neuland, 1944 ermordet in Theresienstadt, erinnert an ihren Vater, Soldat im Ersten Weltkrieg, dekoriert mit dem Eisernen Kreuz. Sie sagt es noch einmal: „Ich stehe als stolze Deutsche vor ihnen.“

Verlust und Wiederfinden der Heimat

Knobloch spricht vom Verlust und Wiederfinden der Heimat Sie spricht von den ersten Demütigungen als kleines Kind, von den tröstenden Worten der Großmutter: „Sie spricht von finsteren Zeiten, die bald vergehen würden.“ Aber die Zeiten werden immer dunkler, sie enden im deutschen Menschheitsverbrechen.

Als sie vorbei sind, will die Überlebende nur eins: Möglichst schnell raus aus Deutschland. „Ich will nicht zurück nach München! Zurück zu den Leuten, die uns beleidigt, bespuckt, uns in jeder Form gezeigt haben, wie sehr sie uns plötzlich hassten! Aber ich habe keine Wahl. Und so begegne ich ihnen allen. Ich will weg aus dieser Stadt, aus diesem Land.“ Sie verliebt sich in dem polnischen Überlebenden Samuel Knobloch, sie planen ihre Ausreise in die USA. Bekommen drei Kinder und bleiben doch.

„Ich hatte meine Heimat verloren“, sagt Knobloch mit fester Stimme. „Ich habe für sie gekämpft. Ich habe sie wiedergewonnen. Und ich werde sie verteidigen!“ Sie fordert den Kampf gegen Antisemitismus ein: „Denn wo Antisemitismus Platz hat, kann jede Form von Hass um sich greifen. Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Menschenverachtung jeder Couleur. Der Kampf dagegen ist ein Kampf für die Menschenwürde, für Demokratie, für Einigkeit, für Recht und Freiheit.“ Dann richtet sie eine Bitte an die Abgeordneten: „Passen Sie auf auf unser Land!“

Klare Worte an die AfD

Für die Rechtsextremen in der AfD aber hat sie andere Worte parat: „Sie werden weiter für Ihr Deutschland kämpfen. Und wir werden weiter für unser Deutschland kämpfen. Ich sage Ihnen: Sie haben Ihren Kampf vor 76 Jahren verloren!“ Das trifft, wie die ganze Rede. Die AfD hat im Vorfeld Marina Weisband das Recht absprechen wollen, die Gedenkrede zu halten. Die Holocaust-Überlebende Knobloch wollten sie nicht attackieren. Nun sitzen ihre Abgeordneten schweigend und unbeweglich da. Der Parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann macht eine wegwerfende Handbewegung. Als sich das ganze Plenum zum stehenden Applaus erhebt, stehen auch die AfD-Abgeordneten auf.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Jede Unterdrückung lebt davon, dass sie für die Nicht-Betroffenen unsichtbar ist.„Auch Weisband berichtet aus ihrer Familiengeschichte. Von ihrem Großvater, der den Holocaust überlebte, traumatisiert und misstrauisch alle Nachrichten verfolgte, wie ein Seismograph zurückkehrenden Unheils. Wie dieser Großvater nach dem Zerfall der Sowjetunion sagte: „Wir müssen gehen. Jetzt!“ Wie ihr Vater voll Vorfreude sagte: „In Deutschland interessiert es keinen, dass wir Juden sind. Dort können wir einfach nur Menschen sein.“

Weisband berichtet darüber, wie trügerisch diese Hoffnung war, und wie gefährlich sie für Minderheiten sein kann. „Einfach nur Mensch sein ist Privileg derer, die nichts zu befürchten haben. Einfach nur Mensch sein bedeutet, dass Strukturen von Unterdrückung unsichtbar gemacht werden. Denn jede Unterdrückung lebt davon, dass sie für die Nicht-Betroffenen unsichtbar ist.“

Sie spricht von der Zukunft des Gedenkens, in der Jüdinnen und Juden in Deutschland „unter den Porträts unserer Eltern und Großeltern eine neue Gesellschaft aufbauen, in der vielleicht irgendwann eine jüdische Kultur gelebt und mit einer schlichten Selbstverständlichkeit behandelt wird. Und dann können wir tatsächlich einfach nur Menschen sein.“ (Jan Sternberg/RND)

KStA abonnieren