Kommentar zu BaerbockDie Grünen machen vor, wovon die Union mal geträumt hat

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Annalena Baerbock

Annalena Baerbock statt Angela Merkel – das ist also der Vorschlag der Grünen für das Kanzleramt. Nach monatelangem Überlegen hat die Parteispitze ihre Entscheidung bekannt gegeben. Eine Überraschung ist das nicht wirklich: Baerbock hatte in den vergangenen Monaten den Umfrageliebling Robert Habeck eingeholt, und sogar stellenweise überholt.

Sie schien zu leuchten vor Entschlossenheit und Kampfeslust, gilt als fachlich sattelfester und nervenstärker als ihr Co-Vorsitzender. Vor diesem Hintergrund wäre es für die Grünen mit ihrem feministischen Anspruch deutlich schwieriger gewesen, den männlichen Kandidaten nach vorne zu schieben.

Eine Frau, gerade mal 40 - es ist das klare Gegenmodell zum Angebot von Union und SPD mit ihren gesetzten Herren, wen auch immer CDU und CSU schließlich nominieren.

Angriffspunkt für die Konkurrenz

Die Grünen machen vor, wovon die Union einmal geträumt hat: Das Modell des jungen, munteren Polit-Aufsteigers à la Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz galt dort als Blaupause, um als frisch und modern zu erscheinen.

Ohne Risiko ist die Nominierung Baerbocks dennoch nicht. Ihre fehlende Regierungserfahrung wird die Konkurrenz zum Haupt-Angriffspunkt machen, auch von denen, die Friedrich Merz mit Verve fürs Kanzleramt empfehlen würden, obwohl der von Ministerämtern bisher nur geträumt hat.

Dass Erfahrung mit dem Amt kommen kann, zeigt unter anderem die neuseeländische Premierministerin Jacinda Adern gerade sehr erfolgreich. Und dass auch mit jahrelanger Erfahrung einiges gehörig schief gehen kann, zeigen Bundesregierung und Ministerpräsidenten hierzulande.

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Gute Umfragewerte und die neu entdeckte Fähigkeit zum Zusammenhalt haben den Grünen in den vergangenen Monaten Schwung verliehen – und nebenbei viele neue Mitglieder. Erfolg steckt an. Es half auch, dass die Union seit Jahren in Führungschaos versinkt, nun auch noch mit Korruptionsaffären zu kämpfen hat und die Corona-Politik wie ein großes Durcheinander wirkt.

Die Grünen setzten Teamgeist und Disziplin dagegen und verzichteten zumindest in der Personalfrage auf ihr Stamminstrument Basisdemokratie, das – verdrehte Welten – die Union in ihrer Verzweiflung gerade entdeckt.

So viel Zielstrebigkeit war selten bei den Grünen.

Perspektive in Corona-Zeiten

Nun beginnt der schwierige Teil der Reise: Die Grünen müssen über die nächsten fünf Monate bis zur Bundestagswahl den bisherigen Schwung aufrecht erhalten, um ihr Ziel zu erreichen.

Sie müssen der von der Pandemie wund geriebenen Gesellschaft eine Perspektive bieten. Die corona-bedingte Lust auf Normalität passt nicht unbedingt zur Grünen-Erzählung von einem Aufbruch. Das Vertrauen in die Kraft der Gemeinsamkeit, auf die die Grünen setzen, kontrastiert mit dem Scheitern von Bund und Ländern in Punkto Teamarbeit. Und autoritäre Politiker wie CSU-Chef Markus Söder können in Umfragen punkten.

Wenn sich die Umfragewerte der Grünen in Wahlergebnisse umsetzen, zieht die Partei in ungekannter Stärke in den Bundestag ein. Die damit verbundenen Erwartungen werden zur nächsten Herausforderungen: Sie werden Kompromisse in Koalitionsverhandlungen erschweren werden, ganz gleich, ob die Grünen diese als großer oder als kleinerer Partner führen.

Noch nie hat in Deutschland eine andere Partei als die CDU oder die SPD den Kanzler oder die Kanzlerin gestellt.

Ein Bundeskanzlerin Annalena Baerbock wäre Premiere und Zäsur zugleich. Sie wäre nicht die erste Frau im Kanzlerinnenamt, aber sehr wohl die jüngste, und die erste Grüne sowieso. Die deutsche Parteienlandschaft wäre endgültig umgekrempelt.

Unmöglich ist das nicht.

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