Kommentar zur neuen ParteispitzeSPD muss schnell Boden unter die Füße bekommen

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Lars Klingbeil und Olaf Scholz

Berlin – Das überschwängliche Eigenlob, diese Berauschung an sich selbst und der Jubel über Olaf Scholz als ihren vierten Regierungschef in der Bundesrepublik sei der SPD beim ersten Parteitag als Kanzler-Partei nach 16 Jahren gestattet. Die altehrwürdige Volkspartei hat sich selbst vor dem Untergang bewahrt und aus einem Umfragetief von 15 Prozent zur stärksten Kraft im Land empor gekämpft - und damit zugleich der Parteienfamilie in ganz Europa neue Hoffnung gegeben. Das verdient Respekt und Anerkennung - und durchaus einen Vertrauensvorschuss für ihre Führung der Ampel-Regierung.

Und nun sollten die Sozialdemokraten wieder Boden unter die Fußen bekommen. Denn andernfalls könnten sie schnell abgehoben wirken. Der bisherige Parteichef Norbert Walter-Borjans hat sie in seiner Abschiedsrede selbst davor gewarnt: Die SPD müsse das Vertrauen ihrer Wählerschaft nicht nur durch gute Regierungsarbeit rechtfertigen, sondern auch dadurch, mit den Menschen außerhalb von Wahlkämpfen im Gespräch zu bleiben.

SPD-Ergebnis war trotz des Sieges nicht gut

Die „alte Tante SPD“, wie ihre wiedergewählte Vorsitzende Saskia Esken den liebevollen Titel der Partei gern verwendet, sollte nämlich nicht übersehen, dass sie bei der Bundestagswahl zwar mehr Wählerinnen und Wählern hinter sich versammeln konnte als alle anderen Parteien - aber mit dem schwächsten Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik den Kanzler stellt. 25,7 Prozent. Ein Viertel der Wählerinnen und Wähler. Nur. Und Olaf Scholz ist auch deshalb Bundeskanzler geworden, weil Union und Grüne im Wahlkampf gepatzt haben.

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Der neue Co-Vorsitzende Lars Klingbeil hat versprochen, ein Brückenbauer zu sein. Das ist eine hohe Kunst, denn sie erfordert die richtige Statik, damit die Brücke alle Last, die da kommen wird, aushalten kann.

Für das neue Spitzenduo wird es nicht leicht

Für die SPD werden das nicht nur alle Anforderungen an das Kanzleramt sein, etwa bei der Umsetzung des ambitionierten Koalitionsvertrags mit der Verteuerung der Energiepreise durch mehr Klimaschutz und der Glasfaser-Erschließung digitaler Löcher im Land oder aber der Mithilfe bei der Lösung so gefährlicher internationaler Konflikte wie der zwischen Russland und der Ukraine. Es wird auch eine Herausforderung sein, die Parteiarbeit nicht nur der Regierung von Olaf Scholz unterzuordnen, und zugleich möglichen Dissens mit ihm nicht zur Krise eskalieren zu lassen.

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 Der neue Kanzler verfügt über großes Selbstbewusstsein, gilt nicht als glänzender Zuhörer und ist von Widerworten oft eher genervt. Für das neue Spitzenduo Esken-Klingbeil wird das nicht leicht. Zumal die Wahlergebnisse von 76,7 für Esken und 86,3 für Klingbeil nach diesem furiosen Wahlkampf für beide enttäuschend sein dürften.

Balsam für die ganze Partei

Obendrein noch der künftige Generalsekretär Kevin Kühnert, den die eigenen Mitglieder an seinem frech-fröhlichen und vor allem unabhängigen Auftreten als früherer Juso-Chef messen werden. Sollte er im neuen Amt nur gegen die anderen austeilen und die eigene Partei staatstragend in Ruhe lassen, wird er Enttäuschung provozieren. Für Scholz wiederum würde es schwer, wenn ihn die eigene Partei hinterfragt.

Seine Vorgängerin hatte deshalb 13 Jahre lang Parteivorsitz und Kanzleramt zugleich in ihrer Hand behalten und den CDU-Vorsitz erst abgegeben, als sie 2018 ihren Abschied aus der Politik mit der Wahl 2021 ankündigte. Merkel hielt Auslandsreisen immer so kurz und streng getaktet, um wirklich jede Parteipräsidiumssitzung montagmorgens zu leiten und die dienstägliche Fraktionssitzung live zu verfolgen, damit sich die Union nicht verselbstständigte. Auch dadurch verschaffte sie sich ihre Machtfülle.

Mit Scholz war am Samstag nach 16 Jahren erstmals wieder ein eigener Kanzler bei einem SPD-Kongress. Balsam für die ganze Partei. Ihr Anfang in eine neue Zeit ist geglückt. Ob es eine Ära wird, wie Scholz bereits glauben machen möchte, ist dagegen offen.

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