Nachruf auf Hans-Christian StröbeleDer erste Grüne, der 2002 die Sensation schaffte

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Stöbele Fahrrad

Hans-Christian Ströbele war viel mit dem Rad in Berlin unterwegs. 

Zuletzt konnte man Hans-Christian Ströbele noch manchmal auf der Straße treffen – am Café Buchwald zwischen Holsteinischem Ufer und Bartningallee. Das Café in Moabit lag nur ein paar Meter von seiner Wohnung entfernt. Ströbele war meist auf einen Rollator gestützt, zuweilen begleitet von seiner Frau. Denn er war von einer Nervenkrankheit gebeutelt, die ihn schon vor seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Sommer 2017 erfasst hatte. Kürzlich kam Ströbele dann erneut ins Krankenhaus. Nun ist der Anwalt und Grünen-Politiker mit 83 Jahren gestorben. Er hing am Leben.

Vom berühmten Onkel über die RAF-Verteidigung bis zu den Grünen

Ströbele wurde kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Halle an der Saale geboren und verbrachte die ersten Jahre in Schkopau bei Merseburg, wo sein Vater in führender Stellung bei den Buna-Werken beschäftigt war. „Mein Vater hat mir nie etwas aus seinem Inneren preisgegeben. Und ich ihm auch nie etwas aus meinem“, sagte der Sohn später seinem Biographen Stefan Reinicke.

Dafür gab es den berühmten Onkel und Lebemann Herbert Zimmermann, der im Radio das Weltmeisterschafts-Finale von 1954 kommentierte, Toni Turek „Fußballgott“ nannte und die bis heute nachhallenden Sätze rief: „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt … Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!“

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Hans-Christian Ströbele. (Archivbild)

1967 absolvierte Ströbele Teile seines Referendariats in der Anwaltskanzlei des linken Horst Mahler, der bald in den bewaffneten Untergrund ging. Der Nachwuchs-Jurist verteidigte die Großen der Roten Armee Fraktion (RAF), Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Holger Meins. Baader nannte er beim Kosenamen „Ändi“, an Meinhof, die in Einzelhaft saß und in einen Hungerstreik trat, schrieb er: „Trotz deiner Zweifel an meiner Sensibilität trifft mich das Zusehen, Zuhören, ohne viel helfen zu können.“ Baader beschimpfte Ströbele gleichwohl als „alte sozialdemokratische Ratte“, Meinhof notierte: „Stroe, du Sau sitzt auf deinem Arsch und tust nichts“.

Ströbele blieb seinen Grundsätzen treu

1983 trat Ströbele in die Alternative Liste ein, wurde Mitte der 1980er-Jahre Mitglied des Bundestages, schmiedete 1989 eine rot-grüne Koalition in seiner Wahlheimat Berlin, verantwortete als Parteichef 1990 das Scheitern der West-Grünen beim Wiedereinzug ins Parlament, bevor er sich zu einem „loyalen Dissidenten“ (Reinecke) entwickelte, der stets linke Prinzipien vertrat. Es war die Mischung aus Standhaftigkeit und Freundlichkeit, die dazu führte, dass Ströbele 2002 die Sensation schaffte und als erster Grüner in Friedrichshain-Kreuzberg ein Direktmandat gewann.

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Das letzte Mal machte Ströbele im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine von sich reden. So bezweifelte er bei Twitter zunächst, dass es diesen Angriff überhaupt geben werde und glaubte an Übertreibungen des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Nach Kriegsbeginn teilte Ströbele seinen über 280.000 Followern mit, dass er „getäuscht worden“ sei. Das überzeugte nicht jeden.

Ströbele verließ 2017 den Bundestag

Ströbele hatte Pläne, als er 2017 den Bundestag verließ. So wollte er ein Buch über seine Sicht auf die RAF-Zeit schreiben. Doch dazu kam es nicht mehr. Stattdessen ging der passionierte Milchtrinker in eine Moabiter Muckibude, um seine Körperkräfte zu erhalten, und traf dort nach eigener Schilderung auf Muskelmänner mit Migrationshintergrund, die 100 Kilo Gewicht ziehen konnten, während er bestenfalls zehn Kilo schaffte und sich darüber köstlich amüsierte.

Im April 2018 sagte Hans-Christian Ströbele, der ein sympathischer Kerl war, in einem Interview: „Ich will da bleiben, solange ich will – und solange ich kann.“ Jetzt konnte er leider nicht mehr.

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