Primor: Beispielhafter Umgang mit geschichtlicher Schuld

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Der frühere israelische Botschafter würdigt die Erinnerungskultur der Deutschen. Bundestagspräsident Thierse nennt den NPD-Auftritt im Dresdner Landtag eine „Schande“.

Berlin / Düsseldorf - Auch der Bundestag und der nordrhein-westfälische Landtag haben in Gedenkstunden an die Opfer nationalsozialistischer Gewalt erinnert und den Rechtsradikalimus verurteilt. In Berlin prangerten Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) und der jüdische Professor Arno Lustiger, Überlebender des Holocaust, den Auftritt der NPD im Sächsischen Landtag an. In Düsseldorf lobte der frühere israelische Botschafter in Bonn, Avi Primor, den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte.

Rechtsextremistische Einstellungen seien in Teilen der Gesellschaft fest verankert, beklagten Thierse und Lustiger, ein Cousin des zum Katholizismus konvertierten Pariser Kardinals Jean-Marie Lustiger. „Rechtsextreme Politiker haben jüngst in einem deutschen Parlament gewagt, die Barbarei des Holocaust zu relativieren und den Opfern den Respekt zu verweigern“, sagte Thierse. Die NPD habe in Dresden „ihre Maske fallen lassen“. Damit sei für jedermann sichtbar: „Es sitzen wieder Neonazis in einem deutschen Parlament. Das ist eine Schande - und eine enorme Herausforderung für uns alle.“ Gefordert sei eine offensive politische Auseinandersetzung, sagte Thierse. Lustiger fragte als Überlebender mehrerer Konzentrationslager: „Ist es nicht an der Zeit, dass deutsche Verfassungsrichter ihre Samthandschuhe ausziehen, wenn es sich um Feinde unserer Verfassung und Demokratie handelt?“ An der Gedenkstunde nahmen auch Kanzler Gerhard Schröder, das Kabinett sowie weitere Überlebende des Holocaust teil. Der Schriftsteller und Liedermacher Wolf Biermann trug aus dem „Großen Gesang des Jizchak Katzenelson vom ausgerotteten Jüdischen Volk“ vor.

Im NRW-Landtag hob Avi Primor die Beispiellosigkeit des Massenmords an den Juden hervor. Er habe sich gegen alle 17 Millionen jüdischen Menschen gerichtet, die es damals auf der Welt gab. Kulturell sei von den Nazis nichts übrig geblieben, die „einzige große Leistung des Nazismus“ seien Auschwitz und der Massenmord gewesen.

Beeindruckt zeigte sich der Ex-Botschafter von der Vielzahl der Gedenkstätten in Deutschland. „Wo hat man eigentlich jemals in der Welt eine Nation gesehen, die Mahnmale zur Verewigung der eigenen Schande errichtet? Dazu haben bislang nur die Deutschen den Mut und die Demut gehabt.“ Andere Nationen könnten sich ein Beispiel daran nehmen, „wie man der traumatischen Vergangenheit ehrlich ins Auge sieht“. Unter den jüngeren Deutschen wolle heute nur eine Minderheit einen „Schlussstrich“ unter die NS-Vergangenheit setzen, stellte Primor fest. Er habe den Eindruck, die Beschäftigung mit dem Holocaust und das Bewusstsein für die daraus erwachsende Verantwortung nähmen eher zu. Nach Auschwitz seien „allmählich und sehr schüchtern“ zwischenmenschliche Beziehungen unter Deutschen und Israelis gewachsen, „die mit der Zeit das Eis gebrochen haben“, so Primor vor den Parlamentariern, Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Düsseldorfs und Schulklassen.

NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) sagte: „Wir dürfen niemals zulassen, dass vergessen, verschwiegen, verharmlost oder gar verleugnet wird.“ Extremisten würden mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpft. Dies reiche aber nicht aus. Die „geistigen Erben der Massenmörder von damals“ müssten auch auf entschiedenen Widerstand der Bürger stoßen. Eine wichtige Aufgabe komme Eltern und Großeltern zu. „Sie müssen mit ihren Kindern und Enkeln über den Nationalsozialismus und dessen Ursachen sprechen.“ (dpa, epd)

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