BetrachtungDie kleine Kneipe

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Der "Einfall", Herrn Lehmanns Kneipe - Szene aus Leander Haußmanns Film. (Bild: Archiv)

Der "Einfall", Herrn Lehmanns Kneipe - Szene aus Leander Haußmanns Film. (Bild: Archiv)

Für die Karlsruher Richter handelt es sich schnöde um „getränkegeprägte Kleingastronomie“. Aber für die ist eine Wohnungsdurchsuchung ja auch eine strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme und die Rundfunkgebühr eine Entgeltabschöpfung. Kurzum: Für alle, die wissen, wovon sie reden, hält die getränkegeprägte Kleingastronomie sehr viel klingendere und zärtlichere Namen bereit: „Drinktank“, „Versackt“, oder bei Wirten der sachlichen Sorte ganz einfach „Kneipe“.

Der Tag ist vorüber / die Menschen sind müde / doch viele gehn nicht gleich nach Haus / denn drüben klingt aus einer offenen Tür / Musik auf den Gehsteig hinaus.

Peter Alexander,

Alles zum Thema Wolfgang Niedecken

„Die kleine Kneipe“, 1976

Kneipen sind öffentliche Wohnzimmer, nur viel besser ausgestattet: mit einer Theke, Fassbier und „Premiere“ in der Glotze. Außerdem gibt es auf dem Männerklo lustige Fußballtore, auf die man beim Gebrauchtbierwegbringen zielen kann. Die kleine Kneipe - oder im Jargon der Karlsruher Richter: die Einraumkneipe - hält außerdem eine soziale Struktur bereit, die durchaus ans Familienleben erinnert mit dem Wirt oder der Wirtin als den unbestreitbaren Oberhäuptern, mit den schwarzen Schafen, die schon morgens vor der Tür stehen und ungeduldig auf das Frühstücksbier und den Aufwachkorn warten, und den Bescheidwissern, die zu jedem Thema eine umso ausgeprägtere Meinung haben, je später der Abend wird.

Die kleine Kneipe in unserer Straße / da wo das Leben noch lebenswert ist / dort in der Kneipe in unserer Straße / da fragt dich keiner, was du hast oder bist.

Peter Alexander,

„Die kleine Kneipe“

Den Begriff Kneipe haben wir, wie so vieles, den Studenten zu verdanken. Wenn die Verbindungen sich trafen und nach bestimmten Ritualen Reden gehalten oder neue Mitglieder in den Bund aufgenommen wurden, ging das nicht ohne Bier vor sich - sehr viel Bier. Sowohl der Vorgang des wohligen Bier-in-sich-Hineinschüttens als auch der Versammlungsort selbst hießen Kneipe. Im 19. Jahrhundert schwappte die Kneipe unversehens in die Umgangssprache hinüber, in der man zuvor je nach dem von Spelunke oder Beize, Schenke oder Wirtshaus gesprochen hatte.

Studentenkneipen und kleine Kneipen unterscheiden sich heute allerdings geradezu grundsätzlich voneinander, sieht man einmal vom Bierkonsum ab. In Studentenkneipen läuft Robbie Williams, in der kleinen Kneipe das:

Die Postkarten dort an der Wand in der Ecke / das Foto vom Fußballverein / das Stimmengewirr / die Musik aus der Jukebox / all das ist ein Stückchen Daheim.

Peter Alexander,

„Die kleine Kneipe“

Vermutlich wurde die Kneipe in Köln erfunden, und wahrscheinlich hatten ein paar Römer die Hand dabei im Spiel - damals schrieb man Taverne über die Eingangstür, dort wo heute „Em Backes“ oder „Jraadus“ steht. Köln ist ebenfalls bekannt für seine Kirchen, und so liegt eine gewisse Parallelität nicht fern: Sind die Wirte nicht auch Beichtväter, die ihrer Gemeinde ein engelsgeduldiges Gehör leihen und ihr Erleichterung verschaffen? In Köln ist die Kneipe überdies untrennbar verbunden mit dem „Veedel“, was in der Praxis bedeutet, dass kein Kölner weiter als 25 Meter gehen muss, um sein Bier zu trinken. Außerdem spielen kölsche Lieder häufig in der Kneipe und gehen meistens damit aus, dass Wolfgang Niedecken die rotweißblau gestreifte Frau nicht kriegt.

Du wirfst eine Mark in den Münzautomaten / schaust anderen beim Kartenspiel zu / und stehst mit dem Pils in der Hand an der Theke / und bist gleich mit jedem per Du.

Peter Alexander,

„Die kleine Kneipe“

Herr Lehmann, Sven RegenersRomanheld, der in Gestalt von Christian Ulmen auch im Kino auftauchte, gehört zum Inventar im „Einfall“. So heißt seine Kneipe in Berlin-Kreuzberg, und zwar in einem Berlin, in dem die Mauer noch steht. Auf der anderen Seite der Mauer gibt es keine Kneipen, und so entpuppen sich diese als ein kapitalistisches Phänomen - ein Phänomen freilich, das in schöner Paradoxie zugleich einen Schutzraum vor dem Kapitalismus bietet, wofür Herr Lehmann die perfekte Symbolfigur ist. Um das „Einfall“ brandet das Leben der Geldverdiener herum wie der Ozean um eine Insel. Kneipen sind solche Inseln, auf denen wir aus dem Alltag entschwinden.

Bei Korn und bei Bier findet mancher die Lösung / für alle Probleme der Welt / Wer Hunger hat / der bestellt Würstchen mit Kraut / weil es andere Speisen nicht gibt.

Peter Alexander,

„Die kleine Kneipe“

Falsch, Herr Alexander, das wäre nicht mehr getränkegeprägt - sondern speiseorientiert. Und damit keine kleine Kneipe mehr.

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