David Bowie in Köln: Siegertyp in Geberlaune

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Verwegen, charmant und ewig jung: Bowie in Köln.

Verwegen, charmant und ewig jung: Bowie in Köln.

Der 55-jährige Sänger und Saxofonist lieferte bei seinem einzigen Deutschland-Konzert Szenen, die Stoff für Heldenepen geben.

Eine umjubelte zweistündige Live-Show samt Zugabe im Kölner E-Werk hatte der Künstler bereits hinter sich gelassen, als etwas passierte, das selbst gestandene Bowie-Fans im ersten Moment für einen besseren Witz gehalten haben werden. David Bowie trat an den Bühnenrand und erklärte dem Publikum, dass die Band auch nicht recht wisse, was sie tun solle, mmh, sie spiele jetzt „Low“. Hatte er „Low“ gesagt? Es wäre wahrscheinlich auch nicht viel überraschender, wenn der Bundeskanzler morgen ein komplettes SPD-Wahlprogramm aus den Siebzigern vor versammelter Presse rezitieren würde oder die Rolling Stones live mal eben ihren alten Album-Klassiker „Exile On Main Street“ runterjammten.

„Low“, Bowies düsteres Soundgemälde der Mauerstadt Berlin aus dem Jahr 1977, galt der Kritik nicht zu Unrecht als schwer dechiffrierbares Avantgarde-Werk des britischen Pop-Genies, weithin instrumental, eine beklemmende Synthesizer-Romanze. Beim einzigen Deutschland-Konzert im Rahmen seiner aktuellen Tournee im E-Werk gerieten die Songs von „Low“ (nur „Weeping Wall“ fehlte verständlicherweise) zu einer epischen Suite, die an die Großtaten germanischer Neutöner erinnern durfte. David Bowie hätte auch eine kurze Frageminute einlegen können: Kennen Sie Kraftwerk? Oder vielleicht sogar Neu?

Alles zum Thema Let's Dance

Vorher gab es Hits satt. Auf vergangenen Tourneen hatte David Bowie sich immer mal wieder den Erwartungen des zahlenden Publikums verweigert, diesmal tendierte das Programm ganz konsumentenfreundlich in Richtung gute Mischung. Ein aufgeräumter David Bowie - Zahnpastalächeln, Kusshand hier, kecker Hüftschwung dort, spielte, was zu spielen war, mit der nötigen Verve: „China Girl“, „Fame“, „Let's Dance“ und das Hohe Lied aus den Tagen der bemannten Sternenfahrt, „Ziggy Stardust“. Bei „Changes“ konnte man über 2000 Menschen beobachten, wie sie ihre Zunge zwecks Erzeugung eines Zischlauts auf die Zähne drückten - „Ch-ch-ch-Changes“.

Songs des aktuellen Albums „Heathen“ („5:15 The Angels Have Gone“, „Everyone Says Hi“, das Neil-Young-Cover „I've Been Waiting For You“) fügten sich in das zwanzig Stücke starke Set, als gehörten sie immer schon dazu. Dass Gitarrist Earl Slick, der Bowie schon beim 2000er Auftritt im Londoner BBC Radio Theatre begleitete, mit ein paar unappetitlichen Soli einige wenige Songs an den Rand des Kippelns brachte, darf als kleinerer Betriebsunfall verbucht werden. So hat man mal Rockmusik gemacht. Der Rest der Band agierte auffällig unauffällig.

Wie eine kaputte Sirene

Bowie selber war definitiv in Geberlaune. „Ashes To Ashes“ klang furchterregend gut, aus dem vollendeten Gitarrengebrumme von „Heroes“ ragte die Stimme wie eine kaputte Sirene; es war die Botschaft eines Problemstücks, das nur zu gerne falsch verstanden wird. Als Bowie für das „Concert For New York“ anlässlich des Anschlags vom 11. September engagiert wurde, baten die Organisatoren ihn, „Heroes“ zu spielen. Der Künstler musste den Verantwortlichen erst erklären, dass der Song von zwei Betrunkenen an der Berliner Mauer handelt. So viel Missverständnis dürfte dem Mann, der sein Gedächtnis mal mit einem Schweizer Käse verglichen hat, eigentlich nicht fremd sein.

Der ehemalige Jazz-Saxofonist Bowie war lange Zeit in der Lage, Kritik und Publikum mit einer Folge von verwirrenden Stil- und Rollenwechseln zu irritieren. Er hat der Rockmythologie schließlich eines ihrer Kernstücke geschenkt: Im Grunde erzählten seine ins Bisexuelle und Außerirdische tendierenden Maskeraden der 70er Jahre von der Einsamkeit des Künstlers im Paralleluniversum des Pop. Von der Dominanz der Geste gegenüber dem Thema. Sein Gesicht war die Oberfläche, auf die Millionen Träume und Fantasien projizieren konnten, nicht ohne den ganzen schönen Betrug schon zu ahnen. Wenig ist davon in den Posen enthalten, die der 55-Jährige heute noch auf der Bühne zeigt. Eher fragte man sich, woran einen die im Bühnenwind wehenden Haare des Hauptdarstellers denn erinnerten. Nahaufnahmen zeigen: Es ist die Frisur, die David Beckham tragen würde, wenn Großbritannien eine Volksabstimmung machen würde.

David Bowie 2002: ein Siegertyp, physisch mopsfit und in jedem Moment bereit, das auch zu demonstrieren. Seine Arme wirft er ostentativ in die Luft, so als möchte er sagen: „Sind wir nicht alle großartig?“ Dann folgt „Starman“ als Mitsing-Version für jedermann, vom Künstler höchstselbst beklatscht. Aus solchen Szenen werden Heldenepen gedreht, das Konzert wurde gefilmt, vielleicht steht ja bald die „Low“-Suite in den DVD-Regalen. Als Bowie im finalen Song „Subterraneans“ das im Scheinwerferlicht schillernde Saxofon endlich zu spielen beginnt, fragt mich jemand mit Blick auf mein Notizblöckchen: „Kannst du mir sagen, was da vorgeht? Das ist ja abgefahren.“

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