GutenMorgenKölnMit Leistungskurs Kölsch zum Abi

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Interpretieren Sie Wolfgang Niedeckens "Südstadt verzäll nix"! Für die Schüler in Bilderstöckchen wird das Undenkbare normal. (Bild: dpa)

Interpretieren Sie Wolfgang Niedeckens "Südstadt verzäll nix"! Für die Schüler in Bilderstöckchen wird das Undenkbare normal. (Bild: dpa)

Bilderstöckchen – Nit för de Schull, för et Levve liehre mer“ - die bekannte Lehrerphrase, die in ihrer lateinischen Fassung „Non scholae, sed vitae discimus“ wohl jeder Oberschüler irgendwann einmal gehört hat, kennen die Schüler des Dreikönigsgymnasiums in Bilderstöckchen (DKG) auch auf Kölsch auswendig. Als erste Kölner Schule führte sie mit Schuljahresbeginn 2008/09 das Fach „Kölsch“ als Leistungskurs ein - mit riesigem Erfolg. 26 Schülerinnen und Schüler büffeln begeistert fünf Stunden pro Woche Willi Ostermann, Theodor Kuhlemann oder Wolfgang Niedecken, wogegen andere William Shakespeare, Molière oder Heinrich Böll bis zum Abi durchpauken.

In zwei Jahren, also 2011, werden voraussichtlich die ersten Kölsch-Abiturienten die allgemeine Hochschulreife erlangt haben. Es ist nämlich als Prüfungsfach im Abitur zugelassen dank einer Sondergenehmigung des Schulministeriums als oberster Schulaufsichtsbehörde. Das hat seinen Sitz pikanterweise in Düsseldorf.

Schulministerium reagiert skeptisch

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Vielleicht ist dies mit ein Grund für die anfängliche Skepsis. Schulleiterin Renate Windmüller-Loser berichtet: „Im Schulministerium hat man uns zunächst gar nicht ernst genommen und gefragt, ob wir mehr zu bieten haben als bloß »Dreimal Null ist Null«.“ Dies hatte man am DKG durchaus. Das Landes-Schulgesetz erlaubt nämlich ausdrücklich zusätzliche Fächer in der gymnasialen Oberstufe, wenn - so wörtlich - „im Versuch erprobte Lehrpläne für die Jahrgangsstufen 11 bis 13 und veröffentlichte Prüfungsanforderungen vorliegen.“ Windmüller-Loser: „Das war kein allzu großes Problem, denn es gibt schließlich eine umfangreiche, sehr ernst zu nehmende Literatur in kölscher Sprache.“ Bis zuletzt hätten aber die Düsseldorfer Beamten Zweifel gehabt, dass Kölsch tatsächlich mehr sei als bloß eine mundartliche Variante des Hochdeutschen. „Kölsch hat im Jahr 2007 von der Internationalen Organisation für Normung zur Kennzeichnung der Sprache den Code ksh ISO 639-3 erhalten“, erklärt die Oberstudiendirektorin und fügt lächelnd hinzu: „Da haben die in Düsseldorf richtig große Augen gemacht.“

Begeistert reagierte unter anderem Musiker Wolfgang Niedecken, als er von dem Projekt erfuhr: „Ich finde es großartig, dass so etwas gemacht wird. Gar nicht so sehr, weil dabei auch Texte von mir durchgenommen werden, obwohl ich mich natürlich sehr geehrt fühle dadurch. Kölsch ist ja mittlerweile eine bedrohte Sprache, wie die Unesco festgestellt hat. Von daher kann ich nur sagen DKG, jeff Jas!“

Vermittelt werden an Kölns ältestem Gymnasium mit mehr als 550-jähriger Tradition aber nicht nur fundierte Kenntnisse zu Sprache und Literatur, sondern auch die politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Region. Viele Schüler schätzen gerade dies: „Ich hoffe sehr, dass hier an der Uni bald der schon lange geplante Studiengang Regionalwissenschaften Köln, also das Colonistik-Studium angeboten wird“, sagt Schüler Thomas Baier, der dann sogar die Promotion anstreben würde und im Erfolgsfall den Titel „Doktor rerum coloniarum“ führen könnte. Andere erhoffen sich bessere Chancen für ein künftiges Fremdsprachenstudium. „Es ist die perfekte Kombination mit meinem Englisch-Leistungskurs. Außerdem habe ich schon Grundkenntnisse in Niederländisch. Ich stelle da ganz viele Gemeinsamkeiten fest“, meint Schülerin Jana Westphal.

Anfangs wurden sie von Mitschülern als „Jecke“ belächelt. Manche Eltern verspotteten gar das angestrebte Kölsch-Abitur als „Jodel-Diplom“. Das änderte sich jedoch nach der ersten Leistungskurs-Klausur. Gefragt wurde nach einem inhaltlichen und formalen Vergleich der Lieder „En unserem Veedel“ von den Bläck Fööss und „Südstadt verzäll nix“ von Bap im Kontext der Kölner Stadtsanierung der 1970er Jahre. „Dagegen ist der Mittsommernachtstraum, den wir in Englisch zurzeit behandeln, ein Klacks“, sagt Schüler Florian Sachse.

Das Fach „Kölsch“ wurde wie schon Französisch und Englisch in das Sprachenprofil der Schule integriert. Dabei werden die Schüler etappenweise für jeweils etwa sechs Wochen in verschiedenen Sachfächern wie Erdkunde, Biologie, Physik und Chemie „op Kölsch“ unterrichtet.

„Viele Lehrer waren hocherfreut, dass sie endlich einmal ihre Dialekt-Kenntnisse anbringen konnten“, so Windmüller-Loser. Beispielsweise Chemie-Lehrer Sebastian Schumacher: „Gerade vor Oberstufenschülern kommt man sich dabei natürlich immer ein wenig vor wie der Lehrer Bömmel aus dem Film Die Feuerzangenbowle“, schmunzelt Schumacher: Er ist jedoch überzeugt, dass beim Chemie-Unterricht im Dialekt die fachlichen Inhalte keineswegs leiden. Im Gegenteil, es helfe wenn beispielsweise beim Thema Kohlenstoff der direkte Bezug zu den „Klüttebuure“ im Kölner Umland hergestellt werden könne. Daher wird im Chemiesaal mittlerweile von vielen nur noch ganz unbefangen von „Kullestoff“, „Schwäfel“ oder „Suurstoff“ gesprochen. „Dat bruche mer alles, wann mer Klütte maache welle“, erklärt Schüler Thorsten Schwabe. Lehrer Schumacher ergänzt, dass die Umsetzung chemischer Kenntnisse in alltäglichen, technischen und industriellen Zusammenhängen grundlegende Bedeutung für Entscheidungen und Bewertungen im ökonomischen, ökologischen und sozialen Bereich habe. „Da ist es gar nicht einmal das Schlechteste, wenn man komplexe Zusammenhänge auch so ausdrücken kann, wie es auch der Mann auf der Straße tun würde“, sagt Schumacher und fügt hinzu: „Nit för de Schull, för et Levve liehre mer“

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