Richard David Precht„Ballerspiele töten die Neugier“

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Richard Precht vor seinem 800-Liter-Aquarium, in dem Elefantenrüsselfische wohnen. (Bild: Christoph Hennes)

Richard Precht vor seinem 800-Liter-Aquarium, in dem Elefantenrüsselfische wohnen. (Bild: Christoph Hennes)

Herr Precht, beten Sie eigentlich mit Ihrem Sohn?

RICHARD DAVID PRECHT Nein.

Warum nicht? Braucht ein Achtjähriger nicht manchmal einen Gott, der alles regelt, der tröstet, der Geborgenheit gibt?

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PRECHT Nein. Mein Sohn erlebt die Geborgenheit in der Familie. Das ist das, was für ihn wichtig ist. Wir reden aber natürlich auch über Religion. Aber ich sage ihm nicht, dass es einen Gott gibt, oder dass es keinen gibt. Wer soll das wissen?

Erklären Sie ihm denn, was Glück ist?

PRECHT Ich rede mit ihm darüber. Es ist ein Vergnügen, mit ihm zu philosophieren. Aber es gibt ja nicht den Satz: Das Glück besteht darin – und damit hat der Fall sich erledigt. Kinder können beim Philosophieren wie ein Detektiv vorgehen. Natürlich werden sie den Fall nicht lösen, aber spannend ist es allemal.

Welche Frage Ihres Sohnes hat Sie am meisten überrascht?

PRECHT Es hat mich keine wirklich überrascht. Interessant fand ich, dass sich Oskar Gedanken darüber macht, wie Tiere wirklich heißen. Er war der Meinung, sie müssten einen eigentlichen Namen haben, einen, den sie schon hatten, noch ehe wir sie benannten. Oskar fand, es wäre unsere Aufgabe, diese eigentlichen Namen herauszufinden, die sich die Tiere dann heimlich zuraunen, wenn kein Mensch ihnen zuhört.

Wie war das, als Sie selbst Kind waren? Welche philosophischen Fragen haben Sie sich gestellt?

PRECHT Ich hatte viele Fragen, die man nicht beantworten konnte. Meine Mutter hat dann immer ein Geheimnis daraus gemacht. Welche genau, kann ich nicht sagen. Ich habe auch mit meinem katholischen Religionslehrer viel philosophiert.

Ich dachte, Sie sind Atheist?

PRECHT Ich bin kein Atheist, sondern Agnostiker. Ich habe trotzdem den Religionsunterricht besucht. Den katholischen deshalb, weil im evangelischen nur von Sex und Drogen geredet wurde. Das hat mich als damals 13-Jähriger kein bisschen interessiert – jedenfalls nicht im Gespräch mit einem Religionslehrer. Bei den Katholiken haben wir über die Frage diskutiert, ob die Zeit ein Strahl oder vielleicht kreisförmig ist. Das fand ich viel spannender.

Für das Buch haben Sie mit Ihrem Sohn philosophische Spaziergänge durch Berlin unternommen. Der Vater mit dem Sohn auf philosophischer Entdeckungsreise, viel Zeit, keine Hektik, volle Konzentration. Das hört sich nach einer Idylle an, die viele Väter nicht leben können.

PRECHT Nun, die Anzahl der Väter, die sich liebevoll kümmern, hat aber stark zugenommen. Früher hieß Papa noch Vati und war am Wochenende mal für eine Stunde für seine Kinder da. Sonst wurde er nur im Streitfall als Landgerichtspräsident der Familie hinzugezogen. Heute sieht man im Prenzlauer Berg oder im Agnesviertel viele Männer mit Kinderwagen oder auf dem Spielplatz.

Dafür haben die Mütter heute weniger Zeit als früher. Müssen wir uns für unsere Kinder nicht mehr Zeit nehmen?

PRECHT Natürlich ist immer zu wenig Zeit da. Auch bei uns. Ich bin viel unterwegs, Oskar wächst hauptsächlich bei seiner Mutter auf. Aber viel wichtiger ist doch, was man in der Zeit tut, die man gemeinsam hat. Wir reden viel, wir interessieren uns beide für Dinosaurier und Fußball. Wir unternehmen etwas zusammen, ich kontrolliere seine Hausaufgaben und baue Modelle aus Tassen oder Schokolade, wenn er etwas nicht versteht.

Also kein Fernsehen, kein Computerspielen?

PRECHT Computerspiele sind strikt verboten. Gerade Ballerspiele töten Neugier und Begeisterungsfähigkeit. Und die sollten Kinder sich bewahren. Mein Sohn wird bevor er 13 ist auch kein Handy bekommen und sich nicht bei Facebook anmelden.

Das klingt aber streng. Gibt es da nicht Widerstand von Ihrem Sohn?

PRECHT Bislang nicht. Mein Sohn akzeptiert das. Und Kinder dürfen auch nicht alles bekommen, was sie sich wünschen. Wenn sie erwachsen sind, bekommen sie das auch nicht. Verwöhnte Kinder können mit diesem Frust dann gar nicht umgehen und werden unglücklich.

Kein Computer, kein Handy, keine sozialen Netzwerke. Das klingt sehr kulturpessimistisch.

PRECHT Die moderne Technik ist die größte Herausforderung für mich als Vater. Der technische Fortschritt treibt die Gesellschaft in eine bestimmte Richtung. Und er macht die Kluft zwischen Bildungsgewinnern und Bildungsverlierern immer größer.

Inwiefern?

PRECHT Kinder aus schwachen Milieus haben früher Cowboy und Indianer auf der Straße gespielt. Das hat ihre Fantasie gestärkt. Heute sitzen sie vor dem Computer und zerstören sich ihre Kreativität. Und durch den Bewegungsmangel werden sie auch noch dick.

Und die Kinder der Oberschicht lernen Chinesisch und Geige mit vier.

PRECHT Ja, wobei ich das auch falsch finde. Wenn ein Kind ein Papierflugzeug bastelt, muss gleich einer sein Talent im Papierflugzeugbasteln fördern. Die Kinder werden überfördert, sie lernen mittags Französisch und müssen abends Klavier üben. Dabei entstehen die kreativsten Ideen, wenn ein Kind alleine mit einem Haufen Pappkartons im Zimmer sitzt und sich langweilt. Die Kinder der Mütter, die sich nur um die perfekte Frühförderung kümmern, werden vermutlich oft langweilige Menschen.

Und bei Ihnen: nur Tiere, Ausflüge und Philosophie. Gar kein unpädagogisches Rumgammeln vor der Glotze?

PRECHT Doch. Wir gucken Filme auf DVD, Karl May zum Beispiel oder Star Wars. Ich selbst schaue kaum fern. Ich beobachte lieber die Fische im Aquarium hinter mir.

Sind das Elefantenrüsselfische, wie sie in Ihrem Buch vorkommen?

PRECHT Ja. Die sehen aus wie kleine Delfine, sehen Sie den Pharaonenbart unter dem Maul? Sie sind nicht ganz leicht zu halten, weil das Kölner Wasser so kalkhaltig ist und erst aufbereitet werden muss. In Kölner Wasser können Sie nur Goldfische und ostafrikanische Barsche aus dem Victoriasee halten. Nur diese Fische sind einen solch hohen Kalkgehalt gewohnt.

Sie haben einen Sohn aus einer früheren Beziehung, Ihre Frau hat drei Kinder mit in die Ehe gebracht. Solch große Familien gibt es nur noch selten. Brauchen wir mehr Kinder?

PRECHT Eigentlich nicht. Die Welt ist überbevölkert. Wir könnten genug Kinder haben. Letztlich ist es doch egal, ob ein kleiner Marokkaner oder ein kleiner Deutscher später in die Rentenkasse einzahlt. Das Problem ist, dass ein Großteil der Migranten-Kinder aus ärmlichen Verhältnissen kommt und schlechtere Bildungschancen hat. Daran müssen wir etwas ändern.

Können Großeltern helfen?

PRECHT Großeltern waren nie so wertvoll wie heute. Früher hat man zwar zusammen gewohnt, heute kümmern sich die Großeltern aber mehr. Auch wenn sie wo anders wohnen. Alte Menschen sollten sich aber auch außerhalb der Familie mehr engagieren und ihre Erfahrung weitergeben.

Wenn Sie mal alt sind, wie geben Sie dann Ihre Erfahrung weiter?

PRECHT Ich könnte mir gut vorstellen, mich als Nachhilfelehrer für Kinder aus sozial schwachen Familien einzusetzen.

Das Gespräch führte Claudia Lehnen

Richard David Precht ist 47 Jahre alt und wohnt seit 24 Jahren in Köln. Er ist promovierter Germanist und Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität in Lüneburg. Bekannt wurde er mit seinem populärwissenschaftlichen Philosophiebuch „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ Er hat einen acht Jahre alten Sohn, seine Frau, die luxemburgische Fernsehjournalistin Caroline Mart, hat drei Kinder mit in die Ehe gebracht. Gerade ist das Buch „Warum gibt es alles und nicht nichts. Ein Ausflug in die Philosophie“ bei Goldmann erschienen.Der Hörverlag bietet den Titel als Hörbuch an.

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