Hänneschen TheaterDas kölsche Universum als Puppenbühne

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Hänneschen und Bärbelchen als Kinder-Detektive „Die zwei Fragezeichen“ entlarven die Täter.

Köln – Das Hänneschen-Theater ist die älteste Puppenbühne im deutschsprachigen Raum, gegründet 1802. Demnächst steht ein Jubiläum an. Kein offizielles, aber ein närrisches, was in Köln fast mehr zählt: 2024 wird das Haus 222 Jahre alt. Längst ist das Theater eine Institution in Köln und ein generationenübergreifendes Erfolgsmodell. Um die Entwicklung des Stockpuppen-Theaters und seine Rolle einordnen zu können, lohnt ein Blick auf die Personen an der Spitze.

Neue Leitung gesucht

Es gab Gründer, Verwalter, Erneuerer, Gescheiterte, Enttäuschte und Versöhner. Die Zahl der Spielleiter mag überraschen. In den mehr als 200 Jahren standen lediglich zehn Männer und zwei Frauen an der Spitze des Theaters. Die Longplayer-Hitliste führen Theatergründer Johann Christoph Winters (60 Jahre Chef), Karl Funck (32 Jahre im Amt) und Heribert Malchers (24 Jahre) an. In absehbarer Zeit steht erneut ein Wechsel an. Intendantin Frauke Kemmerling verlängert ihren bis zum 31. August 2022 laufenden Vertrag nicht. Die Nachfolge ist bisher nicht geregelt. „Die Oberbürgermeisterin wird zu gegebener Zeit eine Findungskommission ins Leben rufen“, heißt es auf Nachfrage unserer Zeitung aus dem Rathaus.

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Puppen aus dem Stück „D'r Rhing erop, d'r Rhing erav“

Der oder die auf diesem Weg Erwählte kommt in ein Theater, das sich auf eine treue Fangemeinde stützen kann. Die meisten Vorstellungen sind gut besucht. Das war nicht von Beginn an so und schon gar nicht durchgehend. Mehr als einmal geriet das Haus ins Trudeln. Nach dem ersten Weltkrieg war es besonders dramatisch. 1919 starb die „Inhaberin des ältesten Kölner Hänneschen-Theaters“ Elisabeth Klotz. Ein Nachfolger war nicht in Sicht, der Vorhang blieb zunächst geschlossen. Lange sah es so aus, als käme das Hänneschen nicht mehr auf die Beine. Gegen das endgültige Aus stemmten sich vor allem die Mitglieder des Heimatvereins „Alt Köln“ und des „Kölnischen Geschichtsvereins“. 1925 wurde eine „Kommission zur Wiederbelebung der Kölner Puppenspiele“ gegründet. Dieses Engagement führte dazu, dass das Theater auf eine solide Basis gestellt wurde. Seit 1926 ist „et Hännesche“ städtisch und heißt offiziell „Puppenspiele der Stadt Köln“. Vorausgegangen waren zähe Verhandlungen und eine drollige Aktion. Einige Puppenspieler überreichten Oberbürgermeister Konrad Adenauer eine Petition, in der die Knollendorfer um dauerhafte Eingemeindung nach Köln baten.

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Zäsurjahr 1926 

Vor dem Zäsurjahr 1926 ist die Geschichte der Theaterleitungen rasch erzählt. Das Puppentheater wurde mehrere Generationen lang als Familienbetrieb geführt. Los ging es mit dem Stammvater Johann Christoph Winters. Der Schneider aus Bonn ließ sich im Jahr 1800 in Köln nieder und sattelte um. Heute würde man sagen: Er gründete mit seiner Frau Elisabeth ein Start-up. Sie wurden Puppenspieler mit eigenem Theater. Die Idee mag Winters während seiner Wanderjahre als Geselle gekommen sein. In Antwerpen lernte er das flämische Puppenspiel kennen und schätzen. Flandern war zu diesem Zeitpunkt die Hochburg des Puppenspiels. In Köln hatte man nicht unbedingt auf den Seiteneinsteiger gewartet. Winters musste sich von Anfang an gegen Konkurrenten zur Wehr setzen. Sein schärfster Rivale wurde Franz Andreas Millewitsch. Im Laufe der Jahre änderte sich die Schreibweise des Namens in Millowitsch. Lange konkurrierten die Puppenspieler miteinander. Winters setzte sich durch, die Familie Millowitsch verabschiedete sich von den Puppen. Winters blieb in Köln Stockpuppenspieler Nummer eins. Richtig viel verdient hat er damit wohl nicht. Um seine größer werdende Familie über Wasser halten zu können, arbeitete er zusätzlich als Anstreicher.

Der Autodidakt Winters legte mit seinen Zeichnungen und Entwürfen zum Bühnenaufbau, zur Beleuchtung und vor allem mit seinen Stücken und den Figuren den Grundstock für den Charakter und das Wesen des Hänneschen-Theaters. Die kölsche Mundart war ebenfalls von Beginn an gesetzt. Das Repertoire aus den Anfangsjahren ist ausführlich dokumentiert in etlichen handschriftlichen Heftchen aus Winters’ Besitz. Das Material ist Teil der Theaterwissenschaftlichen Sammlung (TWS) der Universität zu Köln. Dazu zählt auch eine Reihe von Figuren aus der Frühzeit des Theaters, darunter Hänneschen, Bärbelchen und Tünnes sowie der Teufel als älteste erhaltene Hänneschen-Puppe. Die TWS ist seit 1955 auf Schloss Wahn in Porz untergebracht. Dort gibt es ein eigenes Hänneschen-Zimmer.

Puppenbühne in der Nazizeit

Über die Zeit von Peter Danz als Spielleiter von 1926 bis 1933 ist kaum etwas bekannt. Über die sieben Jahre seines Nachfolgers Hans Berschel umso mehr. Er übernahm die Spielleitung im Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Sie gaben nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 in Deutschland den Ton an. Dem Einfluss konnte sich auch das Hänneschen-Theater nicht entziehen. Der war womöglich intensiver als dies lange Jahre nach außen dargestellt wurde. Das zeigt unter anderem das Schicksal der Puppenspielerin Fanny Meyer, die ab März 1929 zum Ensemble gehörte. Am 29. März 1933 taucht ihr Name in einer kurzen Notiz der Personalverwaltung der Puppenspiele auf: „Die Puppenspielerin Fanny Meyer ist Jüdin. Ausser ihr ist niemand Jude und auch nicht mit einem Juden verheiratet.“

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Diese Auskunft stand in Zusammenhang mit der Vorbereitung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Es ermöglichte den Nazis, politische Gegner und Juden aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Auch eine junge Kölner Schauspielerin am Puppentheater, die einen Vater jüdischen Glaubens und eine katholische Mutter hatte. Sie musste 1935 das Hänneschen verlassen. Der Puppenspieler und spätere Spielleiter Karl Funck sagte dazu später in einem Interview mit der Mitgliederzeitschrift „Hinger d’r Britz“ des Hänneschen-Fördervereins: „Ich weiß noch, als die et letzte Mol met uns zur Stroßebahn jejange eß, dat han mer domols jar nit kapeet, dat die jonn moht…“ Nicht kapiert und nicht gewusst? In die Straßenbahn gestiegen und nicht mehr als „Bestemo“ im Hänneschen? Von Theaterseite wurde offenbar nicht nachgeforscht, was aus Fanny Meyer geworden ist. Jahrzehntelang nicht. Erst Marina Barth, die Autorin und Theaterleiterin (Theater Klüngelpütz), fand im Rahmen der Recherchen für ihren Roman „Lumpenball“ mehr über das Leben und den Tod von Fanny Meyer heraus. Zum Beispiel, dass sie 1938 Lothar Heineberg geheiratet hatte. Der letzte bekannte Aufenthaltsort des Ehepaares war das Sammellager in Müngersdorf.

Späte Erinnerung an Opfer 

Von dort wurden sie in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert und ermordet. Wann genau, ist unbekannt. Am 24. Oktober 1955 wurden Fanny und Lothar Heineberg rückwirkend zum 31. Dezember 1945 für tot erklärt. Hänneschen-Intendantin Frauke Kemmerling sorgte 2013 dafür, dass Fanny Meyer für einige Wochen wieder sichtbar wurde. Sie ließ ein Schaufenster zur Markmannsgasse mit Gedenkbüchern, Urkunden, Zeitungsauschnitten, Fotos und einer von der Puppenabteilung eigens erstellten Fanny-Puppe dekorieren.

Der Mann des Neuanfangs und Wiederaufbaus war Karl Funck. Er war bereits vor dem Krieg 1928 als 14-Jähriger bei Fritz Danz in die Lehre gegangen, 1946 wurde er Spielleiter. Da lag das Theater im wahrsten Wortsinn am Boden. Es war 1940 geschlossen worden, kurz vor Kriegsende wurde das Haus am Eisenmarkt von einer Bombe getroffen. Der Fundus an Bühnenbildern, Puppen, Requisiten und Kostümen wurde dabei nahezu komplett zerstört. Das Textarchiv blieb unversehrt. Leider, raunten später etliche Puppenspieler hinter vorgehaltener Hand. Denn Funck griff mit Vorliebe auf alte Stoffe zurück. Was er für bewährt hielt, galt anderen als verstaubt.

Funck schaffte es, ehemalige und neue Spieler wieder zusammenzuführen. Am 15. August 1948 wurde im Hörsaal I der Universität erstmals wieder Hänneschen-Theater gespielt. Es folgte eine Odyssee durch Köln, ehe sich am 1. August 1951 im Theater am Eisenmarkt wieder der Vorhang für das Stück „Düxer Bock“ hob. Karl Funck trat 1980 in den Ruhestand. Ungern. Der Theaterbesessene war Spielleiter, Spieler (Hänneschen und Speimanes), Regisseur. Die Puppen führte er grandios, seine Mitarbeiter nicht so. Noch Jahre nach seinem Abschied bezeichnete ein damaliges Ensemblemitglied die Arbeit unter Karl Funck als „Halb-Sklaverei“.

Der Kölner Theaterfachmann Berni Klinkenberg mit eigenem Theater – „Klinkenbergs Kölsche Bühne“ – startete 1980 mit viel Elan und frischen Ideen als neuer Hänneschen-Spielleiter. Der damals 50-Jährige hatte vor, weitere Spieler zu engagieren und auszubilden, um neben dem festen Ensemble über eine Gastspieltruppe zu haben. Die hätte als Wanderbühne unterwegs sein können. Klinkenberg dachte darüber nach, Puppenopern und Musicals aufführen zu lassen. Er wollte Seminare für Puppenspieler-Nachwuchs anbieten. Der Unterricht sollte Sprechtechnik, Puppenführung und Kölner Mundart umfassen. Nur wenige seiner Pläne konnte er umsetzen. Er erkrankte etwa ein Jahr nach seinem Start am Eisenmarkt schwer.

Aufbruch in die Neuzeit

1982 gelang es ihm noch, die Knollendorfer zu Fernsehstars zu machen. Am 22. Februar (Rosenmontag) lief auf „West 3“ erstmals die Aufzeichnung der Puppensitzung. Vorgänger Karl Funck hatte dem Werben des WDR-Redakteurs Kurt Brünler mit dem entsetzen Ausruf „jetzt mäht uns och noch et Fernsehen kapott“ eine Absage erteilt. Klinkenberg war aus anderem Holz geschnitzt. Seine Gesundheit war allerdings so angegriffen, dass er 1983 seinen Vertrag als Spielleiter offiziell auflösen musste. Im Juli 1983 wurde der Journalist und Buchautor Gérard Schmidt Chef des Hänneschen-Theaters. Er blieb es bis 1988. In diese Zeit fiel der umfangreiche Umbau des Theaters und der zeitweilige Umzug in die Wolkenburg. Schmidt legte viel Wert auf den Austausch mit anderen Bühnen und forcierte die Gründung des „Fördervereins der Freunde des Hänneschen-Theaters“. Als Spielleiter agierte er glücklos. Es gelang ihm nicht, das gesamte Ensemble für sein Reformkonzept zu begeistern. Schmidt wollte die Knollendorfer Typen moderner und zeitgemäßer über die Britz bringen. In der Rückschau könnte man auch sagen, dass das Publikum und die Mehrzahl der Puppenspieler 1984 noch nicht bereit waren für die „Knolli Horror Schäl Schau“ mit einem Schäl, der in Strapsen zu Rockmusik tanzt. Beim Versuch, die Balance zwischen Tradition und Moderne zu gestalten, strauchelte Schmidt. Nach fünf Jahren wurde sein Vertrag als Spielleiter nicht verlängert.

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Aus dem aktuellen Familienstück „Klassenfahrt noh’m Drachefels“

Der Schauspieler, Autor und Regisseur Heribert Malchers traf 1988 auf ein Ensemble, das es mit den vorherigen Chefs nicht immer leicht gehabt hatte. Entsprechend mau war die Stimmung. Zudem waren die Zuschauerzahlen in den Spielzeiten 85/86 und 86/87 deutlich zurückgegangen. Heribert Malchers ging es behutsam an. Er ließ die verstaubten Stücke der Marke „Zauberer Tartüff“ im Archiv und verzichtete auf extravagante Experimente. Das Hänneschen wurde trotzdem moderner. Der neue Spielleiter wählte kleine Schritte und kam damit besser vorwärts. Er brachte das Theater wieder auf Kurs und leitete es 24 Jahre lang.

Ein bemerkenswertes Detail: Heribert Malchers war der erste Intendant des Hänneschen-Theaters. Nach seiner ersten Amtszeit als Spielleiter stimmte der Hauptausschuss am 1. März 1993 einer Vertragsverlängerung für Malchers bis 2003 zu. In dieser Sitzung wird er noch als „Leiter“ bezeichnet. In der Drucksache zu diesem Beschluss steht indes „Intendantenvertrag“. Damit wurde den veränderten und erweiterten Aufgaben des Theaterchefs in den Bereichen Verwaltung, Management, Personalwesen und Regie Rechnung getragen. Zu den Höhepunkten der Theaterleitung von Heribert Malchers zählten 2002 das Jubiläum zu 200 Jahre Hänneschen-Theater und seine Verdienste als Geburtshelfer: Mit Röschen und Köbeschen hat er den Typenkatalog um zwei Figuren ergänzt.

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Hänneschen-Intendantin Frauke Kemmerling

Mit Frauke Kemmerling trat im Oktober 2012 eine Frau an die Spitze des Hänneschens, die ebenso wie Karl Funck bereits als Volontärin im Theater gearbeitet hat. Sie verlässt das Haus im August 2022 auf eigenen Wunsch. Eine abschließende Bilanz zu ihrer Amtszeit lässt sich erst danach ziehen. Für ihr Abschlussjahr plant sie die Ausrichtung eines Figurentheater-Festivals im Hänneschen-Theater. Dessen Umsetzung hat der Rat am 6. Februar 2020 beschlossen. Das Festival soll sich über mehrere Tage erstrecken. Die teilnehmenden Puppenbühnen sollen aus dem Kreis der Partnerstädte Kölns kommen.

Kemmerling denkt an das Puppentheater „Puck“ aus Cluj-Napoca in Rumänien und eine Bühne aus Esch-sur-Alzette in Luxemburg, eine der Kulturhauptstädte Europas im Jahr 2022.

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