„So, wie ich gerade Laune hab“Wie der Alltag einer Sexarbeiterin in Leverkusen aussieht

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Ein Zimmerschlüssel hängt in einem Schloss an einer Zimmertür.

Ein Zimmerschlüssel hängt in einem Schloss an einer Zimmertür. (Symbolbild)

Nadine Kopp berichtet über ihren Alltag im Laufhaus, in Wohnungen, Bordellen, Clubs und auf der Straße.

Mitte September stand eine kurze Meldung in dieser Zeitung: 15 angemeldete Prostituierte gab es in Leverkusen im Dezember 2022. Nicht viele, eigentlich nur eine Randnotiz. Dass hinter solchen Zahlen echte Menschen und echte Leben stecken, fällt bei derlei Statistiken oft hinten über. Und doch gibt es eben auch in Leverkusen Menschen, die in der Prostitution arbeiten. Nur öffentlich darüber sprechen wollen die allermeisten von ihnen nicht.

Bei Nadine Kopp ist das anders. Sie geht offen mit ihrem Job um. Die heute 39-Jährige arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Prostitution. Geplant war dieser Berufsweg nicht: „Nach der Schule habe ich eine Ausbildung als Krankenpflegerin gemacht und dann auch lange in der Branche gearbeitet.“

Zur Prostitution gelangte sie eher zufällig: „Ich war schon immer sexuell sehr aufgeschlossen und hatte viel Sex. Dann meinte jemand mal zu mir, ich sei doch eigentlich eine geborene Hure und solle doch Geld dafür nehmen.“ So gelangte sie dann an einen Escort-Service. 

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Leverkusen: Sexarbeit zunächst als Nebenberuf

Einige Jahre lang arbeitete sie hauptberuflich im Krankenhaus und nebenberuflich als Sexarbeiterin. Diese Doppelbelastung war zwar anstrengend, aber es war ein guter zusätzlicher Verdienst und die Prostitution erlaubte im Gegensatz zu anderen Nebenjobs eine hohe Flexibilität.

Nadine Kopp steht an einem Brückengeländer.

Nadine Kopp ist seit über 20 Jahren Sexarbeiterin.

Irgendwann jedoch war die Belastung durch zwei Jobs zu hoch. Kopp entschied sich, die Arbeit im Krankenhaus ruhen zu lassen und zukünftig hauptberuflich in der Prostitution zu arbeiten. Erst als wegen der Corona-Pandemie 2020 der Branche ein Betätigungsverbot auferlegt wurde, kehrte sie in ihren alten Beruf zurück.

Heute ist Kopp wieder hauptberuflich Sexarbeiterin. Und das in praktisch allen Zweigen der Branche: „Straße, Laufhaus, Club, Bordell, Terminwohnung. Ich mache das so, wie ich gerade Laune habe.“ Oft ist sie mehrere Wochen im Monat nicht im Rheinland, arbeitet an Orten im gesamten europäischen Ausland. Sie reist auch herum, um mit eigenen Augen zu sehen, wie es um die Branche bestellt ist.

Das gesellschaftliche Stigma

Denn die Prostitution zu verstehen – gerade dann, wenn man von außen auf sie schaut – ist alles andere als einfach. Das liegt daran, dass die meisten Freier, aber auch die meisten Sexarbeiterinnen nicht öffentlich über ihr Geschäft reden wollen. 

Kopp macht dafür das gesellschaftliche Stigma verantwortlich, das die Prostitution in Deutschland auch nach ihrer Legalisierung im Jahr 2002 weiterhin umgibt: „Meine Kolleginnen haben mir oft gesagt, dass ich bloß niemandem erzählen darf, was ich mache. Verstanden habe ich das aber nicht. Schließlich hat Intimität auch in meinem Pflege-Job eine große Rolle gespielt.“

Unverständnis aus dem Umfeld

Das Stigma ist in Kopps Alltag allgegenwärtig. Einen Kredit aufzunehmen, eine Wohnung anzumieten oder auch nur ein Paypal-Konto zu nutzen, werden ihr regelmäßig verwehrt. Auch aus ihrem direkten Umfeld erfährt sie immer wieder Ablehnung und Unverständnis.

Das Problem der Stigmatisierung kennen auch die Mitarbeiterinnen von „Rahab“ nur allzu gut. Dieses Projekt des Sozialdiensts katholischer Frauen und Männer in Düsseldorf berät Menschen in der Prostitution. Sie betonen, dass das Stigma nicht nur dazu führt, dass Sexarbeiterinnen nicht über ihren Beruf reden, sondern sich auch ihrer Rechte, zum Beispiel gegenüber Freiern, nicht bewusst sind.

Verschiedene Realitäten

Das aber ist dringend notwendig. Denn es gibt zwar Frauen wie Kopp, die sich selbstbestimmt für diesen Berufsweg entscheiden. Die gut organisiert und sich ihrer Rechte bewusst sind und die sich genau überlegen können, welche Kunden sie annehmen. 

Doch es gibt eben auch sehr viele Sexarbeiterinnen, die unter sehr prekären Bedingungen arbeiten. Oft sind es Frauen aus dem Ausland, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen, aus armen Verhältnissen kommen und über die rechtliche Situation nicht Bescheid wissen. Viele von ihnen sind nicht amtlich als Sexarbeiterinnen gemeldet. Deshalb ist davon auszugehen, dass es in Leverkusen wesentlich mehr als die offiziell registrierten 15 Frauen gibt, die in der Prostitution arbeiten.

Hinzu kommt, dass die Branche ein signifikantes Problem mit Menschenhandel und Zwangsprostitution hat. Wenn Frauen online ihre Dienstleistungen anbieten, ist nicht zu erkennen, wer von ihnen dies freiwillig oder aus Zwang macht. Kopp schätzt aber, dass von den mehr als 80 Angeboten aus Leverkusen, die sie auf einer einschlägigen Website findet, immerhin etwa 20 Fälle von Zwangsprostitution sind. Auch die Sozialarbeiterinnen von Rahab gehen von einem großen Dunkelfeld aus.

Bordelle sind meistens relativ sicher, aber gerade wer Straßenprostitution betreibt, ist sehr gefährdet.
Sozialarbeiterin

Aber auch im legalen Bereich der Prostitution gibt es Probleme. Immer wieder erleben Sexarbeiterinnen Übergriffe durch Freier. Wie groß das Risiko ist, so etwas zu erleben, hängt wiederum von den Umständen der eigenen Arbeit ab: „Bordelle sind meistens relativ sicher, aber gerade wer Straßenprostitution betreibt, ist sehr gefährdet“, erklärt eine Sozialarbeiterin der Rahab.

Dass es diese Probleme gibt, ist auch Kopp bewusst. Sie selbst hat auch schon negative Erfahrungen bei der Arbeit gemacht. Dennoch betont sie, dass sie persönlich bei ihrer Arbeit in der Pflege mehr Gewalt erlebt hat als in der Prostitution.

So steht die Leverkusenerin zum Sexkaufverbot

Zuletzt hatte ein Vorstoß der CSU-Politikerin Dorothee Bär, den Kauf von Sex zu verbieten, bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. In der politischen Debatte ist ein solches Sexkaufverbot schon länger Thema.  Auch in Leverkusen hatte diese Maßnahme zuletzt Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden. Eine Initiative des Hitdorfer CDU-Politikers Joshua Paul Valentin Kraski stellte sich hinter Bärs Forderung. 

Die Befürworterinnen und Befürworter eines solchen Verbots klagen an, dass die jetzige Legalisierung Deutschland in das „Bordell Europas“ verwandelt hätte. Statt Frauen in der Prostitution zu schützen und Zwangsprostitution zu stoppen, ignoriere die Politik die Situation. Sie fordern daher, die Freier für den Sexkauf rechtlich zu verfolgen.

Kopp spricht sich entschieden gegen dieses Vorhaben aus: Die Politik habe keine Ahnung von der Branche. „Auch wenn ein Verbot auf die Freier abziele, träfe es am Ende auch die Frauen.“ Diese seien durch eine zurückgehende Nachfrage entweder dazu gezwungen, den Job zu wechseln oder müssten ihren Job künftig geheim ausüben. 

Kampf gegen Menschenhandel

Zusammen mit dem zusätzlichen Stigma würde das dazu führen, dass eine Kontrolle der sehr wohl existierenden Probleme in der Branche, kaum noch möglich sei. Für die Frauen wäre eine solche Situation am Ende unsicherer als der Ist-Zustand.

Auch die meisten der Frauen, die Rahab berät, sehen das ähnlich: Sie haben Angst vor einem Sexkaufverbot. Denn für viele von ihnen würde das bedeuten, dass sie in ihre Heimatländer zurückkehren müssten und ihre Familien nicht wie bisher unterstützen können.

Statt die Branche als Ganzes noch mehr in einen unkontrollierbaren Dunkelbereich zu drängen, brauche es einen konsequenten Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution. Auch die Schaffung von Ausstiegsmöglichkeiten aus der Prostitution sei dringend notwendig. 

Für Kopp geht es auch darum, die Frauen in der Prostitution zu stärken. Es sei wichtig, ihre Kolleginnen zu sensibilisieren, ihnen zu zeigen wie man klar macht, was man will und was nicht und ihnen beizubringen, sich selbst zu verteidigen. Für all das seien mehr Beratungsstellen notwendig. 

In Leverkusen zumindest gibt es eine solche Stelle, die spezifisch für Menschen in der Prostitution da ist, noch nicht. Dabei könnte gerade sie dafür sorgen, dass die Frauen, um die es geht, keine bloße Randnotiz bleiben, sondern sie wirklich unterstützt werden.

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