Notfallplan für LeverkusenSo bereitet sich die Stadt auf drohenden Gasmangel vor

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Manche Ampeln könnten in Leverkusen nachts abgeschaltet werden. 

Leverkusen – Dass uns ein kalter Winter bevorstehen kann, hat sich auch an den bisher heißesten Tagen im Jahr in den Köpfen festgesetzt. Und Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath klingt nicht grundlos besorgt, wenn er mit ernster Stimme betont: „Wir müssen zusammenhalten und dürfen uns nicht auseinander dividieren lassen.“ Der Rathauschef sieht eine wirtschaftliche Notlage mit starken sozialen Auswirkungen auf die Stadt zukommen und will Vorsorge treffen.

Es geht um den drohenden Gasmangel ab dem Herbst, wenn die russischen Gaslieferungen ausbleiben und das eine riesige Lücke in unsere Energieversorgung reißt.

Arbeitsgruppe gegründet

Richrath hat eine Arbeitsgruppe „Gasmangel-Lage“ unter der Leitung von Baudezernentin Andrea Deppe einberufen lassen, in der die verschiedenen Ressorts der Stadtverwaltung gemeinsam mit der Energieversorgung Leverkusen (EVL) und der Rheinischen Netzgemeinschaft daran arbeiten, so viel Energie wie möglich zu sparen, um einem Ausfall der Versorgung vorzubeugen. „Wir prüfen, was wir runterfahren können, wie wir den sozialen Druck in Folge der extremen Preisentwicklung mildern und auch Arbeitsplätze sichern können.“

Noch heißt sie „Arbeitsgruppe“, das könnte auch bald in die Bezeichnung „Krisenstab“ wechseln. „Wir sind ja krisenerprobt“, sagt Andrea Deppe dazu und verweist auf andere Krisenstäbe: zur Corona-Pandemie, der Flutkatastrophe und Ukraine-Geflüchteten. Nun also auch zu Gas und Strom.

Sollte Russland Drohungen wahr machen und die Belieferung auch Deutschlands durch Gazprom dauerhaft einstellen, muss in Leverkusen insgesamt knapp ein Drittel des gesamten Gasverbrauchs eingespart werden, wozu auch eine deutliche Senkung des Stromverbrauchs beitragen muss, da der Strom zu nicht geringen Teilen aus Gas hergestellt wird. Die Möglichkeiten dazu werden von den Fachbereichen der Stadtverwaltung mit den städtischen Tochtergesellschaften, dem Jobcenter und der EVL sowie in Kontakt mit dem Deutschen Städtetag ausgelotet.

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Sie treffen Vorbereitungen für eine mögliche Gasmangellage (v.l.):  Baudezernentin Andrea Deppe, Oberbürgermeister Uwe Richrath und  EVL-Geschäftsführer Ulrik Dietzler. 

Neben der zehnköpfigen Arbeitsgruppe sind drei Untergruppen gebildet worden die sich intensiver mit den sozialen Folgen beschäftigen, wenn Mieter ihre Nebenkosten nicht mehr aufbringen können, mit den Folgen für Gewerbetreibende, die von den hohen Energiekosten in der Existenz bedroht werden können, und schließlich mit den städtischen Immobilien, deren Betriebskosten gesenkt werden müssen.

Natürlich sei es immer am einfachsten, Schwimmbäder oder Sporthallen zu schließen und Leistungen für die Bürger zu reduzieren; mit einer Reduzierung von Öffnungszeiten und Temperaturen sei dort ja schon begonnen worden. Doch das sei auch am schmerzhaftesten für die Nutzer, so Dezernentin Deppe.

Noch mehr Homeoffice

Vielmehr werde nun geprüft, mehr Tätigkeiten als bisher ins Homeoffice zu verlegen, um womöglich ganze Verwaltungsgebäude nicht mehr voll heizen zu müssen – wobei die Verwaltung mit ihrem Bürgerservice voll handlungsfähig bleiben muss. Oder es geht darum, Straßenbeleuchtung und Ampeln nachts zu Teilen abzuschalten – sofern die Verkehrssicherheit gewährleistet bleibt.

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Die Gasspeicheranlage in Bürrig ist genauso leer wie der Wasserturm der EVL darüber, der zurzeit saniert wird.

Allein die Stadtverwaltung könne aber den Stromverbrauch Leverkusens nicht in dem erforderlichen Maß von 30 Prozent senken. Daher soll eine Aufklärungskampagne, die bei Pressestelle und Stadtmarketing in Vorbereitung ist, den Bürgerinnen und Bürgern taugliche Beispiele liefern, wie sie ihren Beitrag leisten können.

„Es muss Leverkusen nicht treffen, es kann aber Leverkusen treffen“, erklärt EVL-Geschäftsführer Ulrik Dietzler. Daher müsse sicherheitshalber schon frühzeitig Energie gespart werden. Falls es bei zu hohem Gasverbrauch und zu geringer Einspeisung zu einem Unterdruck im Leitungsnetz komme, drohe ein Netzausfall von längerer Dauer mit enormem Aufwand: „Wir müssten in jedes Haus, um jeden einzelnen Anschluss wiederherzustellen.“

Weniger heizen hilft

Also heiße es, zu sparen, wo immer es geht. Eben nicht so lange und weniger warm duschen oder die Raumtemperatur runterregeln. „Ein Grad weniger Raumtemperatur spart sechs Prozent im Verbrauch, zwei Grad weniger zwölf Prozent“, rät Dietzler, der dies selbst daheim anzuwenden beteuert.

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Wenn dies noch nicht ausreiche, drohe vor allem mittleren und großen Unternehmen als gesetzlich (nach dem „Notfallplan Gas“) nicht geschützten Kunden eine völlige Gasabschaltung. Beispiele will Dietzler nicht nennen, nur so viel: Es träfe Unternehmen mit einem Gasverbrauch, der dem von etwa 70 Einfamilienhäusern entspräche. In Leverkusen aber nicht die ganz Großen: „Der Chempark ist außen vor, dessen Energieversorgung ist eine ganz andere.“

Gasmangel ist greifbar

Die Verknappung des Erdgas-Zuflusses aus Russland beobachtet Currenta aufmerksam. Aber: „Nordstream 1 ist zwar eine wichtige Versorgungsleitung für Deutschland, aber bei weitem nicht die einzige. Gaslieferungen aus Skandinavien und den Niederlanden zum Beispiel sind erwartungsgemäß stabil“, so Lars Friedrich. Doch bereite sich der Chempark „mit großen Teams“ auf einen Mangel vor und spiele denkbare Szenarien durch.

Am Alternativ-Brennstoff Kohle herrsche im Chempark kein Mangel. Man werde für die Dampf-Erzeugung auch ohne russische Kohle auskommen, so Friedrich. (tk) 

Nicht vor Abschaltungen fürchten müssten sich Einrichtungen der Daseinsvorsorge, beispielsweise im Gesundheits- und Pflegewesen, der Versorgung und Verwaltung sowie Privathaushalte. Alle aber müssen explodierende Kosten verkraften.

Zum 1. Oktober werden die Energietarife auch bei der EVL der aktuellen Kostenentwicklung „angepasst“. Dietzler rechnet dabei mit „mindestens“ einer Verdoppelung der Preise.

Für praxisnahe Tipps zum Energiesparen im Internet empfiehlt die EVL die Seite http://www.ganz-einfach-energiesparen.de

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