Kinderpornografie-NetzwerkSpur zu landesweiten Missbrauchsfällen – Eine Chronologie

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Wohnhaus eines der Tatverdächtigen. 

  • Am Anfang stand der Verdacht, dass ein 42-jähriger Bergisch Gladbacher Kinderpornografie besitzt und verbreitet.
  • Seit August zieht der Fall immer weitere Kreise.
  • 250 Ermittler arbeiten aktuell an dem Fall, acht Männer wurden inzwischen festgenommen.
  • Die Polizei geht von weiteren Straftätern aus. Im Landtag in Düsseldorf werden mögliche Ermittlungspannen Thema.
  • Eine Chronologie zum Stand der Ermittlungen.

Bergisch Gladbach – Als die ersten Hinweise bei der Polizei in Bergisch Gladbach eingehen, geht es um den Verdacht, dass ein 42-jähriger Bergisch Gladbacher Kinderpornografie besitzt und verbreitet hat. Innerhalb weniger Wochen decken die Ermittler danach immer größere Teile eines Chatnetzwerks auf, in dem Männer auf grausame Weise zumeist ihre eigenen Kinder sexuell missbraucht, davon Bild und Videomaterial angefertigt und dieses dann in Internetchats beziehungsweise mit Messenger-Diensten untereinander getauscht haben.

Und die ganze Größe des Netzwerks und Kinderpornorings ist auch Wochen nach der ersten Festnahme noch gar nicht absehbar. Mittlerweile sind 250 Ermittler im Einsatz. Eine Chronologie.

Stand: 14. November 2019.

Alles zum Thema Herbert Reul

Ende August

Die Kölner Polizei und Staatsanwaltschaft erhalten von der Staatsanwaltschaft Kassel Informationen, dass es im Zusammenhang mit einem dortigen Verfahren zum Besitz von Kinderpornografie Hinweise auf einen Bergisch Gladbacher gibt. Die Kölner Polizei ermittelt die Personalien des 42-Jährigen, von dem bis dahin nur ein Internet-Pseudonym bekannt ist, und erwirkt einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Mannes.

12. September

Die Kölner Polizei übergibt die Ermittlungsakten samt Durchsuchungsbeschluss an die Kreispolizei in Bergisch Gladbach. Die beginnt mit Ermittlungen im Umfeld des Tatverdächtigen, um bei einem Zugriff möglichst alle potenziellen Beweismaterialien sicherstellen zu können. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch das Mobiltelefon des 42-Jährigen, auf dem die Ermittler später eine Fülle von kinderpornografischem Bildmaterial und Chatkontakte finden wird.

Anfang Oktober

Die rheinisch-bergische Kreispolizei hat die Umfeldermittlungen abgeschlossen und will das Haus des 42-jährigen Tatverdächtigen durchsuchen. Doch der Mann ist mit Frau und Tochter im Urlaub. Um zu vermeiden, dass der 42-Jährige gegebenenfalls sein Mobiltelefon oder andere potenzielle Beweismittel im Urlaub vernichtet, wenn er von einer Hausdurchsuchung daheim erführe, verschiebt die Polizei die Hausdurchsuchung.

21. Oktober

Montag nach den Herbstferien. Der 42-Jährige ist mit seiner Familie aus dem Urlaub zurückgekehrt. Die Polizei durchsucht sein Reihenhaus und stellt neben dem Mobiltelefon Datenträger mit mehreren hunderttausend kinderpornografischen Bildern und Videoszenen sowie Chatverbindungen sicher. Bei der Ausweitung zeigt sich: Eine Reihe der Aufnahmen zeigen sexuelle Missbrauchstaten, die der 42-jährige an seiner eigenen Tochter verübt hat. Bei der ersten ermittelten Tat ist diese laut Ermittler gerade mal ein Jahr und acht Monate alt. Die Polizei nimmt den 42-Jährigen fest und beantragt einen Haftbefehl. Das Bergisch Gladbacher Jugendamt kümmert sich um das Kind. Die laut Ermittler ahnungslose Ehefrau wird ebenfalls betreut.

22. Oktober

Der Tatverdächtige kommt in Untersuchungshaft, wegen schweren sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung und Herstellung von Kinderpornografie. Bei der weiteren Auswertung des sichergestellten Datenmaterials auf seinem Mobiltelefon ergeben sich Hinweise auf zwei weitere Verdächtige in Kamp-Lintfort und in Niedernhausen bei Wiesbaden (Hessen). Die Ermittlungsbehörden in Kleve und Wiesbaden werden eingeschaltet.

24. Oktober

Bei der Durchsuchung der Wohnräume eines 26-Jährigen in Kamp-Lintfort bestätigt sich der Verdacht des schweren sexuellen Missbrauchs. Der Mann kommt in Untersuchungshaft.

25. Oktober

Ein weiterer Tatverdächtiger wird im hessischen Niedernhausen festgenommen und kommt in Untersuchungshaft.

30. Oktober

Die Ermittlungen werden öffentlich bekannt: Am Rande eines Pressegesprächs zur Verabschiedung des leitenden Polizeibeamten der Bergisch Gladbacher Kreispolizei gibt dieser bekannt, dass seine Behörde wegen eines Falls von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie ermittle und derzeit etwa ein halbes Dutzend Mitarbeiter mit der Auswertung von Datenmaterial befasst sei. Nach der Berichterstattung durch diese Zeitung gibt es ein bundesweiteres öffentliches Interesse. (Lesen sie den Archivartikel zum Bekanntwerden der Ermittlungen hier.)

Noch am Abend wird ein weiterer Tatverdächtiger in Langenfeld festgenommen.

31. Oktober

Auf Weisung des Innenministeriums übernimmt die Kölner Polizei die Ermittlungen, wird dabei weiter von Beamten aus Rhein-Berg unterstützt. Nun arbeiten mehr als 20 Ermittler an dem Fall. Kölner Polizei und Staatsanwaltschaft geben eine erste Pressekonferenz zum Stand der Ermittlungen. Dem am Vorabend in Langenfeld festgenommenen Mann wird wie den bisherigen Verdächtigen schwerer sexueller Missbrauch und die Herstellung und Verbreitung von kinderpornografischem Material vorgeworfen. Die Polizei kennt bisher sechs Opfer im Alter von unter einem Jahr und zehn Jahren. Die Opfer sollen die Kinder oder Stiefkinder der Tatverdächtigen sein.

Kölns Polizeipräsident Jacobs:

„Sie sehen mich fassungslos und bestürzt in Anbetracht dieser schrecklichen Taten.”

1. November

Die Polizei durchsucht mit Datenspeicherspürhunden erneut das Haus des Tatverdächtigen aus Bergisch Gladbach (zum Archivartikel).

3. November

Nach einer systematischen Befragung der weiteren Nachbarschaft in Bergisch Gladbach, bei der sich unter anderem Hinweise darauf ergeben, dass der Garten des 42-Jährigen jüngst neugestaltet wurde, wird auch das Grundstück des Mannes mit Datenspeicherspürhunden durchsucht.

4. November

Die erneute Durchsuchung von Haus und Grundstück des 42-Jährigen wird abgeschlossen. Insgesamt sind nun Speichermedien wie Handys, USB-Sticks und Festplatten sichergestellt mit einem Gesamtvolumen von mehr als sieben Terabyte. Das zweijährige Kind ist mittlerweile wieder bei seiner Mutter, da Polizei und Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben keinerlei Hinweise dazuhaben, dass sie von den mutmaßlichen Taten ihres Mannes wusste.

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5. November

Bei der weiteren Auswertung des sichergestellten Datenmaterials ergibt sich eine Spur zu einem weiteren Tatverdächtigen in Krefeld. Die Polizei nimmt am Abend einen 28-jährigen Mann in Krefeld fest (fünfte Festnahme). Bei ihm ist sein Kind, das er missbraucht haben soll. Bei der Vernehmung ergeben sich Hinweise auf einen weiteren Tatverdächtigen, der noch in der Nacht im Raum Viersen festgenommen wird (sechste Festnahme). Er soll ein Kind in Aachen missbraucht haben. „Es geht um jede Stunde, um weitere Missbräuche zu verhindern“, sagt Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob.

6. November

Die Ermittler der bei der Kölner Polizei eingerichteten Sonderkommission („Besondere Aufbauorganisation Berg“) arbeitet nun im Mehrschichtbetrieb. Auf einer Pressekonferenz in Köln geben Polizei und Staatsanwaltschaft Details zum Missbrauchsfall bekannt. Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer spricht von einer „Mammutaufgabe“, Polizeipräsident Uwe Jacob von einem „Verfahren, das es in dieser Art und Weise noch nicht in Köln gegeben hat“. Die Ermittler berichten, das bei den Verdächtigen Sexspielzeug und Fesselmaterial sowie Liebesbriefe in Kinderhandschrift gefunden worden seien, dazu Unmengen von schockierenden Fotos und Videos.

Mittlerweile arbeiten rund 130 Polizeibeamten an den Fällen. Sie arbeiten in unterschiedlichen Einsatzabschnitten in NRW, ein Großteil der Ermittler ist in Köln tätig. Der Krefelder Fall sowie die ohnehin in Köln angesiedelten Fälle sollen wie alle künftigen noch hinzukommenden in Nordrhein-Westfalen bei der „Zentral und Ansprechstelle Cybercrime“ (ZAC) der Kölner Staatsanwaltschaft angesiedelt werden. Dort sind allein vier Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit den Fällen befasst. Die Polizei rechnet mit weiteren Opfern. Sie berichtet von Chat-Gruppen mit bis zu 1800 Teilnehmern, die nicht alle Kinderpornografie getauscht haben, aber allesamt überprüft werden müssten.

7. November

Mehr als 150 Ermittler werten das sichergestellte Datenmaterial aus. Mindestens zehn Terabyte Daten konnten sichergestellt werden, berichtet Innenminister Herbert Reul im Landtag zum Missbrauchsfall und lobt die Arbeit der Polizisten. Neun Kinder konnten identifiziert und gerettet werden. Das jüngste ist unter einem Jahr, das älteste gerade mal elf Jahre als.

(Lesen Sie hier: Die Pressekonferenz zum Missbrauchsfall in Bergisch Gladbach).

8. November

Die Polizei fürchtet, dass weitere Täter noch immer aktiv sind. Mittlerweile arbeiten rund 200 Ermittler an dem Fall. Ein Treffen im Kölner Polizeipräsidium mit Bundeskriminalamt, Landeskriminalamt und der Sondereinheit Cybercrime deutet darauf hin, dass es sich um ein Netzwerk in mehreren Bundesländern handeln könnte. Konkrete Hinweise dementiert die Staatsanwaltschaft zwar auch in der folgenden Woche noch, die Polizei bereitet sich aber offenbar darauf vor, die Ermittlungen bundesweit oder sogar international auszuweiten. Mindestens zwei der nun sechs in Untersuchungshaft sitzenden Tatverdächtigen sollen Kinder zum sexuellen Missbrauch ausgetauscht haben.

Die Staatsanwaltschaft Kleve bestätigt Medienberichte, denen zufolge einer der sechs mittlerweile in Untersuchungshaft sitzenden Tatverdächtigen, ein 26-jähriger Bundeswehrsoldat aus Wesel, sich bereits Anfang Juni wegen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter und seines Stiefsohns selbst angezeigt hatte. Die Klever Staatsanwaltschaft veranlasste jedoch keine Hausdurchsuchung. Festgenommen wurde der Mann aus dem Großraum Wesel erst am 24. Oktober, nachdem bei der Hausdurchsuchung in Bergisch Gladbach vom 21. Oktober ein Spur gefunden wurde, die in den dringenden Tatverdacht brachte, seine Kinder und seine Nichte sexuell missbraucht zu haben und Bildmaterial davon getauscht zu haben.

Am Abend wird ein weiterer, 57 Jahre alter Tatverdächtiger in Alsdorf bei Aachen festgenommen (siebte Festnahme). Die Ermittlungen bei den Tatverdächtigen in Krefeld und im Raum Viersen hatten die Ermittler auf seine Spur gebracht.

9. November

Der am Vortag festgenommene 57-Jährige in Alsdorf kommt in Untersuchungshaft. Die Durchsuchung seines Anwesens werde wegen des unordentlichen Zustands noch mehrere Tage dauern, so die Polizei.

In Lünen wird ein 47 Jahre alter Tatverdächtiger festgenommen (achte Festnahme). Die Auswertung des in Bergisch Gladbach sichergestellten Daten- und Chatmaterials hat laut Staatsanwaltschaft auf seine Spur geführt (Zum Archivartikel zu der Festnahme in Lünen: Hier klicken). Anders als die übrigen Tatverdächtigen, soll er in Dortmund nicht seine eigenen Kinder oder Stiefkinder, sondern andere Opfer sexuell missbraucht haben.

10. November

Auf Antrag der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC) bei der Staatsanwaltschaft Köln hat ein Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Dortmund am Sonntagabend (10. November) Untersuchungshaft gegen den 47-Jährigen aus Lünen angeordnet.

11. November

Laut Staatsanwaltschaft sind nun zwölf Opfer in Nordrhein-Westfalen sowie ein Opfer in Hessen (Niedernhausen bei Wiesbaden) bekannt. bekannt. Polizei und Staatsanwaltschaft rechnen aber damit, dass die Zahl der Opfer und Täter noch steigen wird.

Die SPD-Fraktion will die Ermittlungen rund um den Missbrauchsfall zum Thema im Landtag machen. SPD-Fraktionsvize Sven Wolf, Landtagsabgeordneter für Remscheid und Radevormwald, fragt nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Bergisch Gladbach. Außerdem will Wolf wissen, wie das NRW-Innenministerium den auch von dieser Zeitung berichteten langen Zeitraum zwischen der Selbstanzeige eines mutmaßlichen Missbrauchstäters in Wesel und der anschließenden Übergabe der Akten an die Staatsanwaltschaft Kleve am 10. Juni sowie der Festnahme des Tatverdächtigen erst am 25. Oktober 2019 erklärt. Wolf spricht von Pannen bei der Staatsanwaltschaft Kleve, zu der sich die Landesregierung äußern müsse.

13. November

Das Kindesmissbrauchs- und Kinderpornografie-Netzwerk, das seinen Ausgangspunkt in Ermittlungen bei einem 42-jährigen Bergisch Gladbacher hatte, ist Thema in der Fragestunde des nordrhein-westfälischen Landtags. Dort hat der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) am Mittwoch „zwei handwerkliche Fehler“ der damals zuständigen Staatsanwaltschaft Kleve eingeräumt. in dem Fall des 26 Jahre alten Zeitsoldaten der Bundeswehr habe das Jugendamt im Juni 2019 ein Kontaktverbot des Mannes zu den Kindern verhängt. Die Ehefrau habe dessen Gewährleistung zugesagt. Die Staatsanwaltschaft habe daher keine Fluchtgefahr gesehen und keine weiteren Straftaten erwartet.  In der Folge habe sie auch keinen Antrag auf einen Untersuchungshaftbefehl gestellt.

Im Zuge der Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs eines weiten Täterrings, der in Bergisch Gladbach aufgeflogen ist, war der 26-Jährige wieder ins Visier der Fahnder geraten und wurde dann schließlich Ende Oktober festgenommen. Ob er in der Zwischenzeit weitere Straftaten begangen habe, stehe noch nicht fest, sagte Biesenbach. (mit dpa)

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