Abschied von der „teuren Kanzlerin“Angela Merkel trifft türkischen Staatschef Erdogan

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Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan im Gespräch am Präsidentenpalast in Istanbul.

Istanbul – Recep Tayyip Erdogan schlägt beim Treffen mit Angela Merkel ungewohnt freundliche Töne an. Er würdigt sie als „geschätzte Freundin“. Tatsächlich dürfte Merkel ihm in Zukunft fehlen. Mit der nächsten Bundesregierung kann es für Erdogan ungemütlicher werden.

Zum Abschiedsbesuch der Bundeskanzlerin zeigte sich Erdogans Heimatstadt Istanbul am Samstag von ihrer besten Seite. Der Bosporus glitzerte im Sonnenlicht eines warmen Spätsommertages. Hier liegt im Istanbuler Vorort Tarabya einer der vielen Paläste, über die Erdogan im ganzen Land verfügt. Als der Staatschef und die Kanzlerin in einer Gesprächspause auf den Balkon hinaustreten, breitet sich vor ihnen das einzigartige Panorama der Bosporusmetropole aus. Jenseits der Meerenge beginnt Asien. Die Wasserstraße, die hier die Kontinente trennt und zugleich verbindet, könnte ein Symbol sein für die Brückenfunktion der Türkei zwischen Europa und Asien, der abendländischen und der islamischen Welt. Aber unter Erdogan hat sich der Graben, der die Türkei von Europa trennt, in den letzten Jahren vertieft.

Merkel hat Erdogans Wandlung vom pro-europäischen Reformer zum Autokraten so eng verfolgt, wie kaum ein anderer ausländischer Politiker. Als sie 2005 zur Kanzlerin gewählt wurde, amtierte Erdogan bereits zwei Jahre als Ministerpräsident. Mit innenpolitischen Reformen wie der Abschaffung der Todesstrafe öffnete er damals die Tür zu Beitrittsverhandlungen mit der EU. Aber inzwischen hat Erdogan die meisten Demokratisierungen wieder zurückgedreht, sogar die Hinrichtungen will er wieder einführen.

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Verherrlichung von „deutsch-türkischer Waffenbrüderschaft“

Trotzdem ließ Merkel den Gesprächsfaden nie abreißen. Zwölf Mal reiste sie in ihren 16 Regierungsjahren in die Türkei. „Wir merken, dass wir geostrategisch voneinander abhängen, ob wir gleich agieren oder nicht“, sagte sie am Samstag. Dabei dürfte sie nicht nur die Bedeutung der Türkei als NATO-Verbündeter im Blick haben, sondern auch Erdogans Rolle als Partner in der Migrationspolitik.

Der Ort der Begegnung, Tarabya, ist eng mit der deutsch-türkischen Geschichte verbunden. Das beginnt mit Erdogans Residenz, der früheren Villa Huber. Erbauen ließ den Holzpalast Ende des 19. Jahrhunderts Auguste Huber, der damals die deutschen Waffenschmieden Krupp und Mauser im Osmanischen Reich als Repräsentant vertrat. Unweit der Villa Huber befindet sich der deutsche Soldatenfriedhof. Die meisten hier bestatteten Soldaten fielen im Ersten Weltkrieg.

Viele in der Türkei verherrlichen noch heute die „deutsch-türkische Waffenbrüderschaft“ als ein Fundament der Freundschaft beider Völker. Der Friedhof liegt auf dem Gelände der Sommerresidenz des deutschen Boschafters. Sultan Abdülhamit schenkte das Gelände 1880 dem deutschen Kaiserreich.

Dunkles Kapitel der deutsch-türkischen Beziehungen

Hier spielte ein dunkles Kapitel der deutsch-türkischen Beziehungen: Anfang 2017 suchte der wegen „Spionage“ und „Terrorpropanda“ verfolgte Welt-Korrespondent Deniz Yücel in der deutschen Residenz Zuflucht. Einige Wochen hielt er sich dort versteckt, bevor er sich der Polizei stellte. Trotz intensiver Bemühungen Merkels um Yücels Freilassung verbrachte der deutsche Journalist über ein Jahr im berüchtigten Silivri-Gefängnis, bevor er ausreisen durfte.

Die Affäre markierte einen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Berlin und Ankara. Wegen des Auftrittsverbots für türkische Politiker in Deutschland warf Erdogan damals Merkel sogar „Nazi-Methoden“ vor. Heute klingt das ganz anders. Erdogan würdigte in der gemeinsamen Pressekonferenz Merkel als „teure Kanzlerin“ und sprach sie sogar zweimal als „geschätzte Freundin“ an.

Den Schmusekurs dürfte Erdogan nicht zuletzt im Blick auf Merkels Nachfolger eingeschlagen haben. Die Kanzlerin sagte, sie „rate und denke, dass auch eine zukünftige Bundesregierung die Beziehungen zur Türkei in ihrer gesamten Komplexität erkennt“. Mit einer Ampelkoalition könnte es aber für Erdogan ungemütlicher werden. Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff fordert das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen und energischeren Widerspruch gegen Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen.

Zugespitzte Menschenrechtslage

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir ist einer der schärfsten Erdogan-Kritiker. Gemeinsam mit seiner Parteifreundin Claudia Roth, ebenfalls eine engagierte Türkei-Kennerin, warnt er jetzt: Angesichts der „dramatisch zugespitzten Menschenrechtslage, dem autokratischen Umbau der Türkei und der abenteuerlichen Außenpolitik“ Erdogans sei eine „freundschaftliche Annäherung ein grundfalscher Kurs“.

Mit einer Regierungsbeteiligung der Grünen könnte auch das Thema eines verschärften deutschen Waffenembargos gegen Ankara wieder auf die Tagesordnung kommen. Die Aufrüstung von türkischen Leopard-Panzern hat die Bundesregierung wegen Erdogans Militärinterventionen in Syrien und Libyen bereits gestoppt.

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Jetzt könnte auch die Lieferung sechs deutscher Jagd-U-Boote auf den Prüfstand kommen. Vor dem Hintergrund der türkischen Gebietsansprüche im östlichen Mittelmeer sind die EU-Staaten Griechenland und Zypern deswegen alarmiert. Kanzlerin Merkel hielt aber bisher an dem bereits 2009 vereinbarten U-Boot-Geschäft fest.

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